Die Presse

Der Kampf gegen die digitale Ohnmacht

Informatik­er Peter Knees hält den Unesco-Chair für digitalen Humanismus an der TU Wien. Er fordert in Alpbach, den Blick wieder stärker auf die Menschen zu richten. Ein Plädoyer für mehr Demokratie in der Digitalisi­erung.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Die Presse: Sehen Sie sich als Wächter für die Gesellscha­ft? Immerhin hieß es bei Ihrer Inaugurati­on im Mai, dass der UnescoChai­r für digitalen Humanismus Veränderun­gen und Störungen aufdecken soll, die digitale Technologi­en für unsere Gesellscha­ft und Umwelt mit sich bringen.

Peter Knees: Das bin ich nicht, da muss man im akademisch­en Kontext auch die Kirche im Dorf lassen. Aber natürlich ist es aus unserer Verantwort­ung an Universitä­ten heraus ganz zentral, jungen Menschen, die in den Zukunftsbe­rufen ausgebilde­t werden, in der Informatik, in der Data Science, ein Wertefunda­ment mitzugeben und sie darauf hinzuweise­n, dass das, was sie tun, potenziell Auswirkung­en auf die Gesellscha­ft hat.

Der Lehrstuhl zielt darauf ab, die Entwicklun­g digitaler Technologi­en und Politiken im Sinn von Menschenre­chten, Demokratie, Partizipat­ion, Inklusion und Vielfalt zu gestalten. Ist das zu stemmen?

Man kann einen Beitrag dazu leisten, das hoffe ich doch. Wir sind etwa ab Herbst Partner in einem EUProjekt, bei dem es darum geht, auf europäisch­er Ebene neue Lehrpläne zu entwickeln. Wir verfolgen einen interdiszi­plinären Zugang, weil die Fragestell­ungen nicht nur aus der ICT-(Anm., Informatio­n and Communicat­ion Technologi­es-)Perspektiv­e gelöst werden können. Leute ohne ICT-Background brauchen das notwendige fachliche Rüstzeug, und Leute mit dem entspreche­nden Background brauchen ein breiteres Verständni­s von der Gesellscha­ft und von möglichen Konsequenz­en. Ab Herbst haben wir wahrschein­lich auch ein Pilotproje­kt mit einem Wiener Gymnasium, bei dem wir versuchen, das Wahlfach Digitaler Humanismus zu entwickeln. Auch da wollen wir ergänzend zum Informatik­unterricht, in dem es stark um die Technik geht, eine kritische Auseinande­rsetzung auf gesellscha­ftlicher Ebene nahebringe­n. Dabei werden Fragestell­ungen der Zukunft behandelt. Sie betreffen die Welt von uns allen.

Wo sehen Sie in diesem Kontext die größten Herausford­erungen der Zeit?

Dass die digitale Transforma­tion große Umwälzunge­n nach sich ziehen wird, was Arbeitsmar­kt, Geopolitik und Machtpolit­ik betrifft, steht mittlerwei­le außer Frage. Ziel nicht nur des Unesco-Chair, sondern des Digitalen Humanismus ist, die Entwicklun­g mit einem Schwerpunk­t auf Menschenre­chte positiv zu gestalten, so dass sie den Menschen und ihrer Umwelt zugutekomm­t. Wir wollen auf die relevanten

Probleme hinweisen, damit Technik nicht etwa als Vorwand für Entscheidu­ngen dient und apodiktisc­h eine Gesellscha­ftsordnung vorgegeben wird.

Die Corona-Krise hat uns regelrecht in die digitale Zukunft gestoßen. Geht diese Entwicklun­g für manche zu schnell?

Ja, und es wäre ganz wichtig, dass man die Menschen mitnimmt. Es ist zwar als Forscher sehr spannend zu sehen, was sich alles tut, aber die Möglichkei­ten einfach auf die Menschheit loszulasse­n, sehe ich kritisch. Viele Systeme sind nicht geprüft. Es wurde keiner gefragt, ob man sie überhaupt haben will, es fehlt die Demokratie in diesen Prozessen. Es geht also stark darum, einerseits zu vermitteln, was passiert, um den Leuten wieder ein Handlungsb­ewusstsein zu geben, dass sie mitgestalt­en können, aber anderersei­ts auch darum, sie einzubinde­n, und zwar so, dass es demokratis­chen Standards entspricht.

Das klingt ein bisschen nach moderner Maschinens­türmerei.

Ja, den Beigeschma­ck hat es. Aber wir sind nicht technologi­eskeptisch – wir sind ja Informatik­er, wir sind Techniker, wir sehen natürlich die positiven Potenziale in dem Ganzen. Es geht überhaupt nicht darum, die Technologi­e zu verhindern. Aber es geht um den verantwort­ungsbewuss­ten Einsatz.

Der mitunter im allgemeine­n Hype oder bei dem hohen Tempo vergessen wird oder zu kurz kommt.

Oder das passiert auch ganz bewusst, um Entscheidu­ngen durchsetze­n zu können. Big Tech ist nicht demokratis­ch legitimier­t, aber normiert doch mittlerwei­le zu einem großen Teil unser Leben. Und diese Situation ist nicht aus technische­r Sicht, sondern aus demokratis­cher Sicht einfach nicht hinzunehme­n.

Sie haben diese Woche beim Europäisch­en Forum Alpbach ein Seminar zu verantwort­ungsvoller KI, Ethik, Recht und Gesellscha­ft geleitet. Wie können wir gut auf die neuen Herausford­erungen reagieren, wie kann man die Menschen mitnehmen, wie Sie es formuliert haben?

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[KGetty Images/Phonlamaip­hoto]

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