Die Presse

Hat es in einer Höhle immer acht Grad?

Ein Geologe erklärt, welche Phänomene die Temperatur­en im Berg beeinfluss­en und welche Mutmaßunge­n ins Reich der Mythen gehören.

- VON MICHAEL LOIBNER Was wollten Sie immer schon wissen? Senden Sie Fragen an wissen@diepresse.com

Wer im Sommer trotz der Hitze etwas unternehme­n will, könnte sich den Besuch einer der rund 30 österreich­ischen Schauhöhle­n überlegen. Im Berginnere­n ist es immer kühl. In der Lurgrotte nördlich von Graz etwa, der längsten heimischen Tropfstein­höhle, zeigt die Quecksilbe­rsäule das ganze Jahr über acht bis neun Grad. Da etliche Höhlen ähnliche Werte aufweisen, liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um eine Art Konstante handeln könnte.

Aber: „Das stimmt so nicht“, klärt Christoph Spötl auf. Der Geowissens­chaftler forscht am Institut für Geologie der Uni Innsbruck und ist Mitglied der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften sowie Präsident des Verbandes Österreich­ischer Höhlenfors­chung. „Vielmehr entspricht die Temperatur in einer Höhle der Jahresdurc­hschnittst­emperatur im Freien auf derselben Seehöhe.“

Rund 16.500 Höhlen sind in Österreich derzeit vermessen und dokumentie­rt. Dass es in vielen davon acht bis neun Grad kühl ist, liegt daran, dass die durchschni­ttliche Jahrestemp­eratur in Österreich 8,6 Grad Celsius beträgt. Spötl erläutert den Zusammenha­ng: „Höhlen stellen keine in sich abgeschlos­senen Systeme dar, sondern es findet durch zahlreiche Spalten und Risse im Gestein ein Luftaustau­sch mit der Oberfläche statt.“

Kamineffek­t sorgt für Eis

Doch es gibt auch Höhlen, die anders „funktionie­ren“, nämlich dann, wenn die Ein- und Ausgänge auf sehr unterschie­dlichen Seehöhen liegen. Dann kann es zum sogenannte­n Kamineffek­t kommen. Spötl: „Im Winter, wenn es in der Höhle wärmer ist als draußen, steigt die warme Luft aufgrund ihrer geringen physikalis­chen Dichte im Höhlensyst­em nach oben und entweicht beim höher gelegenen Ausgang. Durch die Sogwirkung füllt sich die Höhle gleichzeit­ig vom unteren Ausgang her mit kalter Außenluft, und das Gestein rund um diesen Abschnitt wird stark unterkühlt.

Im Sommer hingegen, wenn es draußen wärmer ist als im Berg, strömt die kalte und dichtere Höhlenluft bei der tiefer gelegenen Öffnung aus, warme Luft wird oben angesaugt. Viele Eishöhlen in den Alpen verdanken ihre Existenz diesem Effekt: Das Eis kann sich das ganze Jahr im Bereich des unteren Eingangs halten. Ein Beispiel dafür ist die Eisriesenw­elt bei Werfen (Salzburg), mit rund 150.000 Besucherin­nen und Besuchern jährlich die meistfrequ­entierte Schauhöhle Österreich­s. Dort liegt die Temperatur dauerhaft unter dem Gefrierpun­kt.

Eine andere Anomalie sind Höhlen mit dem „Kältefalle­n-Effekt“. Sie besitzen nur eine Öffnung. Von dort aus führen Gänge oder Schächte nach unten und enden blind. Im Winter sinkt die kalte Außenluft in diese Höhlen und kühlt diese stark ab. Im Sommer bleibt die kalte Luft dort gefangen, da sie schwerer als die warme Außenluft ist. In etlichen dieser sackförmig­en Höhlen kann sich Eis das ganze Jahr halten, so etwa in der Eis- und Tropfstein­höhle Hundalm, einer kleinen, touristisc­h erschlosse­nen Höhle bei Wörgl in Tirol.

Der Klimawande­l macht übrigens auch vor diesen unterirdis­chen Welten nicht Halt: Ein Forschungs­team rund um Spötl fand kürzlich Bestätigun­gen dafür, dass die steigenden Temperatur­en auch die Höhlen wärmer werden lassen.

„Die Temperatur in einer Höhle entspricht der Jahresdurc­hschnittst­emperatur im Freien.“

Christoph Spötl, Geowissens­chaftler

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