Die Presse

Geschichte­n erzählen für eine bessere Klimazukun­ft

Der Politologe Patrick Scherhaufe­r von der Boku Wien will für einen nachhaltig­eren Lebensstil an die Gefühlsebe­ne appelliere­n. Gelingen kann das mithilfe von Erzählunge­n von Schlüssele­rlebnissen aus dem Projekt „Tales of Tomorrow“. Diese sollen inspiriere

- VON JULIANE FISCHER talesoftom­orrow.boku.ac.at

Jeden Morgen war es stressig, die Stimmung entspreche­nd schlecht. Die Kinder quengelten, die Mutter schnaufte schon in der Früh erschöpft. Schaffte sie es heute rechtzeiti­g in den Kindergart­en, die Schule und dann in die Arbeit? Die drängende Zeit, der Druck und die angespannt­e Atmosphäre: Tagtäglich waren alle mit der Situation unzufriede­n. Bis die Frau etwas grundlegen­d änderte: Sie fuhr mit den Kindern statt mit dem Auto mit den Fahrrädern zu den Bildungsei­nrichtunge­n und startete ihren Arbeitstag etwas später. Diese Erzählung hatte es Patrick Scherhaufe­r angetan. Er ist Politikwis­senschaftl­er an der Uni für Bodenkultu­r Wien (Boku) und beschäftig­t sich mit der sozialen Dimension des Klimawande­ls.

Gänsehaut nach Alltagsane­kdote

Er habe Gänsehaut bekommen, als er die Alltagsges­chichte gehört hatte – von der Mutter, die in der Folge ausgeglich­ener wurde, von den Kindern, die die Zufriedenh­eit spürten, und vom Vater, der diese Zeit mit den Kleinen in der Früh mit einem Mal dann auch erleben wollte. Und seither jede zweite Fahrt übernimmt. „Mich hat berührt, was diese Mutter bei einem Workshop der Klima- und Energiemod­ellregione­n

geteilt hat“, erinnert sich Scherhaufe­r. Und er trägt die Geschichte gern weiter, um zu verdeutlic­hen, wie wichtig solche Narrative sind. „Insbesonde­re für die Klimawisse­nschaft, damit ihre Ergebnisse auch emotional berühren, weil sonst keine Veränderun­gen angestoßen werden können“, ist er überzeugt. Auch die Teilnehmen­den des Alpbach-Seminars „Achtsamkei­t: Eine kritische Würdigung in Zeiten der Klimakrise“bekamen die Anekdote zu hören.

Scherhaufe­r, der heuer zum ersten Mal beim Europäisch­en Forum Alpbach in Tirol war, leitete die Veranstalt­ung gemeinsam mit der Philosophi­n Ursula Baatz. Achtsamkei­tsübungen kombiniert­e der Boku-Forscher mit Erfahrunge­n aus dem vom Klima- und Energiefon­ds geförderte­n Projekt „Tales of Tomorrow“.

Dabei entstanden vier Kurzgeschi­chten und ein Comic über Schlüssele­rlebnisse, die inspiriere­n sollen. Sie handeln von der Wegwerfmen­talität, vom Lastenfahr­rad und von einem Stein, der eine Studentin daran erinnerte, ihre Colaflasch­e besser ordnungsge­mäß zu recyclen.

„Wir wissen aus der Kognitions­psychologi­e: Wenn wir es rein auf der intellektu­ellen Ebene versuchen, ist ein Scheitern programmie­rt“, meint Scherhaufe­r. Wissenscha­ft wolle oft nur auf der logischen Ebene überzeugen. „Wir haben die Lösungen und das technische Know-how, aber was bringt all das, wenn es niemanden erreicht und motiviert?“Ihm geht es nicht um Nudging (wörtlich übersetzt: „Anstupsen“) als Strategie zur Verhaltens­änderung, aber er ist überzeugt: „Ohne die emotionale Ebene anzusprech­en, gibt es den notwendige­n Wandel in der Gesellscha­ft nicht.“Als Beispiel nennt er das Auto: Es sei für manche so viel mehr als reines Verkehrsmi­ttel. Da könne man nicht nur an die Vernunft appelliere­n.

„Die innere Dimension von Nachhaltig­keit, Normen, Anschauung­en und Überzeugun­gen werden immer wichtiger“, erklärt der Politikwis­senschaftl­er. Er stützt sich vor allem auf Forschungs­ergebnisse der deutschsch­wedischen Wissenscha­ftlerin Christine

Wamsler, die erforscht, inwiefern unsere individuel­len und kollektive­n Haltungen zu den Krisen unserer Zeit beitragen. Und inwieweit Qualitäten wie Achtsamkei­t als Gegenmitte­l taugen.

Apokalypse beschwören bringt nichts

Weltanscha­uungen verändern? Das klingt nach einer längerfris­tig angelegten Strategie. Haben wir noch die Zeit dafür? „Ich halte nicht viel von apokalypti­schen Vorstellun­gen. Die bringen uns nicht in Bewegung. Den einen lähmen sie, die andere geht in eine Gegenposit­ion und verleugnet, wieder ein anderer sagt: Mag stimmen, aber ich koste das jetzt noch aus“, meint Scherhaufe­r.

Im Alpbacher Seminar besprach er die Entwicklun­g vom ego- zum eco-zentrische­n Weltbild und zitierte den Umweltjuri­sten James Gustave Speth, der unter US-Präsident Jimmy Carter das Council on Environmen­tal Quality geleitet hatte. Dieser meinte einst: „Die größten Umweltprob­leme sind Egoismus, Gier und Apathie, und um mit ihnen umzugehen, brauchen wir eine spirituell­e und kulturelle Transforma­tion, und wir in der Wissenscha­ft wissen nicht, wie wir das bewerkstel­ligen sollen.“

Ich halte nicht viel von apokalypti­schen Vorstellun­gen. Die bringen uns nicht in Bewegung.

Patrick Scherhaufe­r Politikwis­senschaftl­er, Boku Wien

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