Die Presse

„Wir dürfen nur so viel Wasser verwenden, wie nachkommt“

Der Mensch müsse wieder lernen, seinen Lebensraum zu schützen, sagt Ökologe Martin Kainz. Nur so könne man Überschwem­mungen und Dürren vermeiden – und die Wasservers­orgung sicherstel­len.

- VON ALICE SENARCLENS DE GRANCY

Die Presse:

Sie haben beim Forum Alpbach über die Bedeutung von Wasserqual­ität und funktionie­renden Ökosysteme­n für das Überleben der Menschen gesprochen. Das klingt drastisch, steht uns das Wasser buchstäbli­ch bis zum Hals?

Martin Kainz: Es geht nicht nur um die Wassermeng­e, die an einem Ort fällt. Wir müssen verstehen lernen, dass wir Menschen nicht nur Wasser trinken, sondern dass all das, was wir essen und an Kleidern haben, Wasser bedarf. Wir brauchen dieses indirekte Wasser zum Überleben.

Wir nutzen also etwa auch Wasser in China und Indien, wenn wir ein T-Shirt kaufen.

Wir nutzen Wasser auf der ganzen Welt, richtig, auch, wenn wir in Wien oder in Alpbach sitzen. Ein Shirt braucht Tausende Liter.

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Im Umgang des Menschen mit der Natur. Wir müssen begreifen, dass wir Teil der Natur sind. Wir können nur dann funktionie­ren, wenn wir unseren Lebensraum intakt halten. Das haben wir in vielen vergangene­n Jahrzehnte­n verabsäumt.

Was passiert, wenn 2050 zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben?

Wenn wir das Ökosystem weiter beschädige­n, etwa durch Versiegelu­ng der Böden oder nicht konsequent­e Rückbauten der Flüsse, werden wir weniger Wasser haben. Das Um und Auf ist, das Wasser nur dort zu verwenden, wo es wirklich zur Verfügung steht. Das ist ein Prinzip der Ökologie: Man darf nur so viel Wasser verwenden, wie im Jahr nachgefüll­t wird.

Zehn Milliarden Menschen sind sehr viel. Kann sich das überhaupt noch ausgehen?

Es kann sich ausgehen, ja. Wir haben genug Wasser auf dem Planeten. Es kommt immer darauf an, wie wir es verwenden oder verschwend­en – und zurzeit achten wir viel zu wenig darauf. Denken Sie an die Versiegelu­ng: Jeden Tag verbauen wir etwa 15 Hektar Boden. Und das allein in Österreich. Nur in den Niederland­en und in Belgien ist es noch mehr.

Welche ökologisch­en Folgen hat das?

Das Wasser dringt nicht mehr ein. Es kommt zu Bodendegra­dierung, fruchtbare­r Boden verschwind­et. Das bedeutet, wir können die zehn Milliarden Menschen nicht mehr so gut ernähren. Die Biodiversi­tät nimmt ab. Außerdem haben wir mehr Überschwem­mungen. Und: Durch Versiegelu­ngen nimmt der Boden auch weniger Kohlenstof­f auf. In den ersten paar Zentimeter­n haben wir den meisten Kohlenstof­f. Dadurch gelangt mehr CO2 in die Atmosphäre.

Wenn wir so weitermach­en wie bisher, wo auf der Welt wären die Auswirkung­en am schlimmste­n spürbar?

Dort, wo es am heißesten wird und wo am meisten Menschen leben. Das ist zurzeit noch immer in den städtische­n Gebieten. Dort gibt es eine extrem hohe Verdunstun­g, die durch die steigenden Temperatur­en noch zunehmen wird, und wenig direktes Wasserange­bot. In Wien haben wir eine Ausnahmesi­tuation in der Welt, weil wir Wasser von den Bergen bekommen.

Ihre Prognose für Österreich?

Bei uns hat die Verdunstun­g in den letzten 40 Jahren um 17 Prozent zugenommen. Der Niederschl­ag war mit etwas über 1000 Millimeter­n lang konstant, 2022 waren es rund 900 Millimeter. Erst kürzlich haben sich die Menschen in Kärnten weniger Wasser gewünscht – letztes Jahr hätten sie gern mehr gehabt. Die Stetigkeit fehlt. Die Zuverlässi­gkeit, dass Wasser fällt, wenn wir es brauchen, ist nicht gegeben, und das wird in Zukunft noch schlimmer werden. Im Osten und Südosten Österreich­s wird es wärmer werden und weniger Niederschl­ag geben. Als Sentinel können wir den Neusiedler See sehen, der letztes Jahr sehr gelitten hat. Das hat es immer gegeben, er ist schon hundertmal ausgetrock­net. Aber: Da hat es noch nicht so eine rasante Temperatur­zunahme gegeben. Und: Dort, wo das Trink- und Brauchwass­er seicht ist, etwa bei Baggerseen oder beim Neusiedler See, wird es zu höherer Verdunstun­g kommen, Tiere und Pflanzen werden in Zukunft weniger Wasser haben.

Zurück zur internatio­nalen Perspektiv­e. Wie wird all das die klimabedin­gte Migration beeinfluss­en?

Die Vereinten Nationen sagen, dass allein 2021 über 50 Millionen Menschen – das ist mehr als fünfmal Österreich – wegen extremer Witterungs­ereignisse migrieren

werden. Früher floh man v. a. wegen politische­r Unstimmigk­eiten. Jetzt gibt es noch mehr Fluchtverh­alten, weil das Wasser fehlt oder weil man vor zu viel Wasser fliehen muss.

Mit dem ehemaligen UN-Generalsek­retär Boutros Boutros-Ghali gesprochen: Werden die Kriege der Zukunft also um Wasser geführt werden?

Ja. Einst hat man gesagt, um Öl, dann um Geld, dann um Wasser. Aber auch das ist zu einfach ausgedrück­t: Es gibt Organismen, die ohne Sauerstoff leben können, es gibt keinen einzigen Organismus, der ohne Wasser leben kann. Wir brauchen die Lebensgrun­dlagen. Und die können durch Wasser gefördert, aber auch beeinträch­tigt werden.

Sie leiten eine Arbeitsgru­ppe am WasserClus­ter Lunz. Welche Veränderun­gen beobachten Sie dort am See?

Er wird seit 1980 spürbar wärmer, und zwar das Oberfläche­nwasser. Wir hatten vor 100 Jahren noch ca. 100 Tage Eisbedecku­ng. 2007 war das erste Mal ohne Eis, und jetzt haben wir nur tageweise eine dünne Eisbedecku­ng. Das ist besorgnise­rregend. Und wir sehen auch, dass der Lunzer See in der Tiefe wärmer wird. Nicht nur in Schwimmtie­fe, im ersten Meter, heuer haben wir in bis zu drei Metern Tiefe eine Erwärmung auf 25 Grad gehabt. Das haben wir sonst nie gesehen.

Was sind die Konsequenz­en?

Wenn es wärmer wird und wir uns bewegen, atmen nicht nur wir mehr. Das ist auch bei Bakterien in Seen so. In nur einem Milliliter Wasser – so viel fasst ein Kaffeelöff­el – lebt rund eine Million Bakterien. Atmen sie mehr, gelangt mehr CO2 in die Atmosphäre. Bei höheren Wassertemp­eraturen ist auch die Nahrungsqu­alität schlechter. Wärmeliebe­nde Organismen etablieren sich. Für kälteliebe­nde Meeres- und Süßwasserf­ische wie lachsartig­e Fische, Forellen, Saiblinge wird der Lebensraum knapp – und die biochemisc­he Zusammense­tzung wird schlechter für den menschlich­en Bedarf. Unser Gehirn hat aber 70 Prozent Fett, das wir nur teilweise über die Nahrung bilden können. Fehlt es, ist das Überleben der Menschen tatsächlic­h nicht mehr sichergest­ellt. Überhaupt ist Wasser Lebensgrun­dlage, wir bestehen aus 70 Prozent Wasser. Wenn uns das ausgeht, haben wir als Spezies ein riesengroß­es Problem.

Sie sind seit Februar Professor für Ökosystemf­orschung und Gesundheit an der Donau-Uni Krems. In Ihrer Antrittsvo­rlesung im Mai haben Sie über aktuelle Bedrohunge­n, aber auch über mögliche Lösungen gesprochen. Wie sind wir noch zu retten? Man muss den Experten zuhören – und wir müssen in Dialog mit der Gesellscha­ft treten. Es gibt kein Medikament, das die Welt nehmen kann, wie bei einem Husten oder einem Schnupfen. Die Welt ist viel komplexer. Wir müssen verstehen lernen, wie wir unseren Lebensraum intakt halten. Schon die Maya hatten vor 3000 bis 4000 Jahren eine natürliche Wasserspei­cherung, die vor Dürreschäd­en schützte: Sie haben Wasser in den Bergen zurückgeha­lten, damit sie es sich bei einer Dürre nehmen können. So etwas müssen wir wieder lernen.

Was können wir sonst ändern?

Das Konsumverh­alten. Wir wissen, dass ein Kilogramm Orangen über 500 Liter Wasser braucht, bis wir es kaufen können. Beim Kaffee ist es noch schlimmer, da sind es 1000 Liter Wasser. Städtische Landwirtsc­haft, also Wasser und Nahrung direkt bei den Menschen, ist auch ein Ansatz. Wir müssen das Wasser dort halten, wo die Menschen es brauchen. Dann werden wir auch mit Dürren und Starkregen­ereignisse­n besser umgehen können. Es braucht ein komplettes Umdenken, wie wir mit unserem Lebensraum umgehen.

Wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie den Wasserhahn aufdrehen, werden Sie manchmal nachdenkli­ch?

Ja, absolut. Jeden Tag.

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[Sonja Jordan] Der völlig ausgetrock­nete Zicksee südöstlich von Wien, nahe dem Neusiedler See, gleicht heute einer Wüste. Er hat seit 2022 kein Wasser mehr.

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