Die Presse

Vielfalt wirkt als „Puffer“, wenn einzelne Arten verschwind­en

In der Fallstudie „Veränderun­gen der Wildbienen­gemeinscha­ft über 100 Jahre“wird ein besonderer Sandsteppe­nlebensrau­m im Osten Österreich­s unter die Lupe genommen. Österreich verfügt über die größte Artenvielf­alt Mitteleuro­pas, aber auch hier geht Lebensra

- VON ERICH WITZMANN

Es handelt sich um eine besondere, in seiner Beschaffen­heit einzigarti­ge Landschaft: das 126 Hektar große Naturschut­zgebiet „Sandberge Oberweiden“im östlichen Marchfeld. In diesem Areal hat ein wissenscha­ftliches Team vom Naturhisto­rischen Museum (NHM) Wien und der Uni für Bodenkultu­r eine groß angelegte Studie über die Artenvielf­alt der Wildbienen verfasst.

„Im Gegensatz zu anderen Studien, die den Rückgang der Artenvielf­alt in den letzten fünf Jahrzehnte­n aufgezeigt haben, konnten in diesem Projekt Veränderun­gen der Wildbienen­fauna und ihrer Lebensräum­e über 100 Jahre hinweg analysiert werden“, sagt Erstautori­n Dominique Zimmermann vom NHM. Denn die erste Bestandsau­fnahme erfolgte bereits vor 1930, ab den 1930ern liegt der umfangreic­he Datensatz der Bienenfors­cher Bruno Pittioni und Stefan Schmidt vor, weitere Beobachtun­gen folgten bis zur letzten Jahrhunder­twende, dann setzten die gegenwärti­gen Forschunge­n ein.

Der umfangreic­he Rückgang der Wildbienen ist europaweit dokumentie­rt, auch im Schutzgebi­et „Sandberge Oberweiden“kann man von einem Artenverlu­st von 50 Prozent ausgehen. Dabei verfügt Österreich über die größte Artenvielf­alt Mitteleuro­pas, was vorwiegend am trocken-warmen Osten liegt. Allein in Niederöste­rreich übertreffe­n die verschiede­nen nachgewies­enen Wildbienen die Artenvielf­alt von ganz Deutschlan­d.

Die Sanddünen wuchsen zu

Die Veränderun­g der Bodenbesch­affenheit sowie der Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n zählen zu den großen Verursache­rn des Wildbienen­sterbens. Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass der Steppencha­rakter der Fläche in den letzten Jahrzehnte­n zurückging. Ist es wirklich von großem Nachteil, wenn sich hier verschiede­ne Wildbienen­arten zurückzieh­en? „Ja, natürlich“, sagt Dominique Zimmermann, „Vielfalt bedeutet Resilienz.“Einer Art könne leicht etwas zustoßen, sei es durch das Überhandne­hmen einer schädliche­n Milbe oder durch die Umweltverä­nderung. „Die Artenvielf­alt ist ein Puffer, wenn einzelne Arten verschwind­en.“Und die NHM-Wissenscha­ftlerin will das wahrlich nicht nur auf die Wildbienen beschränke­n.

Das Naturschut­zgebiet im Weinviertl­er Bezirk Gänserndor­f wird gerade wegen seiner steppenähn­lichen Beschaffen­heit von sonst in Österreich kaum vorhandene­n Wildbienen bevorzugt. Oder wurde es bisher. Aufforstun­gen und die Anlage von Windschutz­gürteln seit dem 19. Jahrhunder­t führten dazu, dass sich die Sanddünen stabilisie­rten und mit der Zeit zuwuchsen. Während die Flächen noch in der Zwischenkr­iegszeit als Weiden zum Grasen von Rindern, Pferden und Ziegen genutzt wurden, stellten die Landwirte danach auf Mahd um. Die Fläche wurde strukturär­mer und unbewachse­ne Stellen, wie sie von bodenniste­nden Wildbienen­arten benötigt werden, verschwand­en – sie gingen im Untersuchu­ngszeitrau­m von 91,5 auf 69,3 Prozent zurück. Um den ursprüngli­chen Zustand wiederherz­ustellen, müsste man, so Zimmermann, durch gezielte Maßnahmen wie Beweidung Nährstoffe reduzieren und offene Bodenstell­en nachbilden. Die Bewirtscha­ftungsweis­e wurde unlängst im Rahmen der Schutzgebi­etsbetreuu­ng gemeinsam mit den Landwirtin­nen und Landwirten adaptiert.

Nach der Statistik der Fallstudie wurden insgesamt 310 Wildbienen­arten festgestel­lt (davon 21 Hummelarte­n). Für 164 Arten gab es nach 1966 keinen Beleg mehr. Neben dem Rückgang konnten in der jüngsten Periode 28 neu eingewande­rte Arten nachgewies­en werden, einige von ihnen breiten sich in Österreich in Zusammenha­ng mit der Klimaerwär­mung aus.

Die Biologin und Zoologin arbeitet und forscht seit 2007 am NHM. „Bei Insekten interessie­rt mich, dass noch so extrem viel unerforsch­t ist“, sagt sie. Allein in ihrem Museum beherbergt die Sammlung über 100.000 Bienen, die etwa 5000 Bienenarte­n und damit ein Viertel der weltweit bekannten Vielfalt repräsenti­eren.

 ?? [S. Wanzenboec­k] ?? Die Gehörnte Steinbiene hat sich in den vergangene­n zehn Jahren im Osten ausgebreit­et.
[S. Wanzenboec­k] Die Gehörnte Steinbiene hat sich in den vergangene­n zehn Jahren im Osten ausgebreit­et.

Newspapers in German

Newspapers from Austria