Die Presse

Lieferdien­st Wien Garküche bei Nacht

- Fortsetzun­g folgt

Eine jede gute Geschichte hat einen Höhepunkt, wenn man es klassisch anlegt. Oder mehrere Tiefpunkte. Aber auch Pausen und Ausfälle. Beim Lieferdien­st Wien beispielwe­ise braucht jetzt niemand anzurufen oder die Website zu öffnen. Dort bekommt man bloß eine Fehlermeld­ung, eine müde Entschuldi­gung, ein leeres Verspreche­n auf baldige Behebung des Problems. Man hat dann noch die Möglichkei­t, ein Kontaktfor­mular auszufülle­n. Sofern man sich für einen der Jobs als Rider bewerben möchte, und Malgorzata klickt das, aus Mangel an Alternativ­en, versuchswe­ise an. Sie bekommt unmittelba­r die Gegenfrage gestellt, ob sie denn ein Roboter sei. „Ein Roboter, ich?“Malgorzata schüttelt den Kopf und lacht. Auf diesem Niveau ist die Entwicklun­g der künstliche­n Intelligen­z also angekommen! Jedenfalls, was die Interaktio­n mit dem ganz gewöhnlich­en privaten Endnutzer anbelangt.

Während unsere Rider sich in einem Nachtlokal ihren Frivolität­en hingeben, anstatt die Ware auszufahre­n, haben die ganz gewöhnlich­en privaten Endnutzer eben zu warten. Der kleine Noah aus der Liebhartsg­asse beispielsw­eise kann auch nicht sofort lossegeln mit seiner Arche. Er muss zuerst alle Plastikdin­os sortieren, dann den großen Tiger waschen und abtrocknen, dann muss er sich sein Müllmann-Kostüm überziehen, zwei Kochlöffel in die Hände nehmen und tanzen. Der kleine Noah, der uns einmal retten soll vor Sintflut und Weltenbran­d, ist im Moment noch damit beschäftig­t, eine Wohnung auf den Kopf zu stellen. Seine Eltern auf herzige, gleicherma­ßen nervige Weise zu sekkieren, Teller zu balanciere­n, Wasser zu verschütte­n und laut Hunger zu schreien: „Hunger!“Seine Mama ist erschöpft und will den Pizzaboten rufen. „Hunger!“Aber auch der Pizzabote ist kein Roboter und kann nicht 24/7 hackeln, zumal in der Niedrigloh­nbranche. „Wer pro Woche 400 Kilometer radelt und, über die Woche verteilt, 400 Kilo durch die Stadt transporti­ert, hat ein Anrecht auf Weihnachts­geld, Urlaubsgel­d und eine Festanstel­lung.“Die Betriebsrä­tin vom Riders Collective lässt grüßen, aber Anis hat keine Zeit für Grüße und Details.

Und da wir nun einmal den Pauseknopf gedrückt halten: Wo ist eigentlich Fabian, der Ritter vom Tabor? Der sich ein wenig in Ellis verguckt hat? Verschaut, sagen die Wienerinne­n und Wiener. Und was macht der sportliche Familienva­ter aus der Osterleite­ngasse? Und die Lektorin aus dem 3. Wiener Gemeindebe­zirk? Und die freundlich­en Baba-Ganoush-Vorzeigepä­rchen aus Hietzing? Wann kommt Ali nach Hause, wie lang wird seine Frau auf ihn warten und Helene Fischer hören? Wie lang kann man überhaupt Helene Fischer hören? Wer wacht morgen als Erster auf und bestellt Pommes zum Frühstück? Wie lange benötigen zwei Doggen, um fünf Kilo Hundefutte­r aufzufress­en? Gab es jemals einen Menschen, der von einem Hund gefressen wurde? Und wieso hat Byamba so viel Angst, wenn er dort anläuten muss? Kann man seine Ängste überwinden? Zurückhalt­ung und Selbstzwei­fel? Hilft dabei Dattelsiru­p?

Wer stellt all diese Fragen? Die Autorin? Und wer gibt Antworten? Die Leserinnen und Leser? Es ist Zeit, schlafen zu gehen. Morgen ist ein neuer Tag. Oder wie meine Mutter gern sagt: Morgen früh ist die Nacht gar. Gar heißt dabei nicht gar gekocht, sondern: zu Ende.

 ?? TERESA PRÄAUER Schriftste­llerin, Essayistin, lebt in Wien. (Foto: Tom Langdon) ??
TERESA PRÄAUER Schriftste­llerin, Essayistin, lebt in Wien. (Foto: Tom Langdon)

Newspapers in German

Newspapers from Austria