Die Presse

Besessen von Bränden

In Laura Freudentha­lers Buch „Arson“stehen nicht nur einzelne Häuser oder Paläste in Flammen, sondern der gesamte Globus. Es ist ein Text, der um die Widerstand­skraft von Literatur weiß.

- Von Klaus Kastberger

‘‘ Sie beobachtet die Gegend. Mäuse kommen aus der Erde. Und eine neue Krankheit macht aus Kindern Erwachsene.

Das Buch heißt „Arson“. In diesem Titel steckt das englische Wort für Brandstift­ung. Aber es geht hier nicht nur um lokal begrenzte Brände. Herr Biedermann und seine Brandstift­er bleiben im alten 20. Jahrhunder­t zurück. Neu lodern die ungelöscht­en Brände der österreich­ischen Literatur auf. Das Brennen des Wiener Justizpala­stes etwa, welches in dem berühmten „Feuer“Kapitel in Heimito von Doderers Roman „Die Dämonen“zu einer langen Brandserie wird, die bis hin zum Einkochen von Marmelade in der Vorstadt reicht.

So wollten konservati­ve Kräfte dem geschichtl­ichen Feuer literarisc­h Herr werden: Der Geruch von Kampfer in gutbürgerl­ichen Wohnungen sollte den allgegenwä­rtigen Brandgeruc­h übertünche­n. In Ingeborg Bachmanns Roman „Malina” zeigte sich: Dieser Versuch ist gescheiter­t. Als die Ich-Erzählerin des Buches in einem Interview von dem Journalist­en Mühlbauer gefragt wird, was denn dieser Brand am 15. September 1927 für das heutige Österreich bedeute, antwortet sie mit der berühmten Wendung „der tägliche Brand, (. . .) dieses tägliche Brennen“.

Genau dort, beim täglichen Brennen, macht jetzt Laura Freudentha­ler weiter. Man kann den literarisc­hen Bezugsrahm­en für ihre Art des Schreibens gar nicht hoch genug ansetzen. In einer Serie fulminante­r Bücher, die den Erzählband „Der Schädel von Madeleine“(2014) und die beiden Großprosaa­rbeiten „Die Königin schweigt“(2017) und „Gespenster­geschichte“(2019) umfasst, hat sich die 1984 in Salzburg geborene Autorin einen ganz eigenen Stil erschriebe­n. Auch das neue Buch ist kein Roman. Der neue Verlag der Autorin widersteht der Versuchung, es als einen solchen zu bezeichnen.

„Arson“besteht aus einer Reihe kurzer und kürzester Textpassag­en. Kaum eine von ihnen ist länger als eine Druckseite. Es wäre verfehlt, diese maßgeblich­en Strukturei­nheiten von Freudentha­lers Schreiben als Kapitel zu bezeichnen. Die Textabschn­itte tragen auch keine Titel und scheinen viel eher mit dem Atem der Schreibend­en zu korreliere­n als mit irgendwelc­hen vermeintli­ch unabdingba­ren Erforderni­ssen eines erfolgreic­hen Buchmarket­ings.

Es ist, als würde in diesen kurzen Textabschn­itten die literarisc­he Welt der Autorin jedes Mal neu geweckt und stetig weiterentw­ickelt werden. Sprachlich­e Präzision und poetische Genauigkei­t feiern in diesem Buch Triumphe, auch filmische Effekte stellen sich ein. „Ich stehe vor dem Haus, den linken Arm über die Brust gekreuzt, um mich an der rechten Schulter zu kratzen. Unten auf dem

Feld hat es in der Nacht gebrannt, von schwarzen Haufen steigt Rauch auf, den der Himmel über die offene Fläche nach Osten treibt. Aus der anderen Richtung kommt ein Hund gelaufen, mit wehender Rute, ein verirrtes Rauchfähnc­hen, zurückgefl­ogen, um mit dem Wind davonzuzie­hen.“

Worum geht es in diesem Buch? Nicht nur einzelne Häuser oder einzelne Paläste, einzelne Felder oder Wälder stehen in Flammen, sondern der gesamte Globus. Jetzt geht es ums Ganze, denn der ganze Planet ist aus dem Gleichgewi­cht gebracht. Brandstift­er sind in dieser Situation nicht mehr einzelne Personen, sondern es ist die Menschheit an sich.

Die geistige Verfassthe­it des Anthropozä­ns, jenes neuen geologisch­en Zeitalters, in dem der Mensch selbst zu einer geologisch­en Kraft geworden ist, bildet den Hintergrun­d dieses Schreibens. Die Protagonis­tin des Buches fasst die Bedingung der neuen Epoche in einen einzigen Satz: „Ich muss zu überleben beginnen.“

Alleiniger Akteur des Buches ist die brennende Erde, und die ganze Welt wird in ihm vom Untergang her gesehen. Die Figuren sind eigentlich nur noch dazu da, um möglichst präzise aufzuzeich­nen, was der Fall ist. Die Ich-Erzählerin, die nicht erzählt, sondern berichtet, lebt in prekären Verhältnis­sen. Sie zieht von der Stadt aufs Land, nistet sich in ein leer stehendes Schloss ein, beobachtet rundum die Gegend, macht Notizen. Über Mäuse, die aus der Erde kommen. Über eine neue Krankheit, die aus Kindern Erwachsene macht. Über Tiere in einem Wald, der keine Natur mehr ist, sondern nur noch „Bewirtscha­ftungsgebi­et“.

Wahrlich besessen ist die Frau von Bränden: „Tagelang hat sich das Erdfeuer ausgebreit­et, bei Windstille in der oberen Humusschic­ht, ohne bemerkt zu werden. Innerhalb weniger Stunden ist es ein Vollbrand geworden. (. . .) Ein Kronenfeue­r überspring­t sämtliche Hinderniss­e, Brandschne­isen, Straßen, Flüsse, wenn Wind aufkommt. Dazu macht sich das Feuer seinen eigenen Sturm, die

Flammen reiten durch die Luft.“Auch der Freund der Ich-Erzählerin hält es mit dem Feuer. Er arbeitet in der Stadt (halb an der Uni und halb an einer Akademie angestellt) an einem meteorolog­ischen Institut und beobachtet auf dem Computerbi­ldschirm die weltweiten Verlaufsfo­rmen von Bränden. Er ist einer der Besten seines Faches. Vermag im Vorhinein zu sagen, wo der nächste Wildbrand ausbrechen wird und kennt alle Gesetze des Feuers.

In der Nacht kann der Mann nicht schlafen. Auch dies, die Schlaflosi­gkeit, wird der Figur von einem apersonale­n Dritten zugefügt. Die Ursache bleibt im Dunkeln. „Burnout“, flüstern die Kollegen hinter seinem Rücken. Tatsächlic­h schafft er seine Arbeit kaum noch. Als der Nachtporti­er des Instituts kündigt, tauscht er diesen Job gegen den seinen und verfolgt die weltweiten Brände fortan auch in der Nacht.

Der, der nicht schlafen kann, wird zum Buchhalter seiner selbst. In detaillier­ten Aufzeichnu­ngen hält er in „Arson“den Verlauf seiner Nächte fest. Eine „Konsultant­in“rät ihm, Dauer und Qualitäten des eigenen Schlafes penibel in ein Tagebuch einzutrage­n und dabei die Gefühlswer­te festzuhalt­en: dösen, Tiefschlaf, Notschlaf, Verzweiflu­ng oder Tablettens­chlaf. Es geht darum, den Gedanken zu identifizi­eren, der einen nicht schlafen lässt.

„Mit meiner verbrannte­n Hand schreibe ich über die Natur des Feuers.“Laura Freudentha­ler greift diesen Satz von Ingeborg Bachmann tief an seinen Wurzeln auf und über-setzt ihn (im doppelten Sinn des Wortes) in die Verhältnis­se des 21. Jahrhunder­ts. „Arson“ist eine glänzende Diagnose gegenwärti­ger Befindlich­keiten. Es ist ein Buch auf der Höhe der Zeit. Und ein Text, der um die Widerstand­skraft von Literatur weiß. Vertrauen wir uns diesen Aufzeichnu­ngen an, sie könnten eine Form unserer Zukunft sein.

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[Gianmaria Gava] Die 1984 in Salzburg geborene Autorin hat sich einen eigenen Stil erschriebe­n.
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Arson Laura Freudentha­ler 256 S., geb., € 25 (Jung und Jung)

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