Die Presse

Ungarns Musiker spielen zwischen Wipfeln

Budapest erhält ein neues Kulturarea­l: Im Stadtwäldc­hen Városliget wurden ein poetisches Haus der Musik und ein strenges Ethnografi­sches Museum eröffnet.

- Von Harald A. Jahn

Városliget, das „Stadtwäldc­hen“von Budapest, ist ein weitläufig­er Landschaft­spark am Ende der Prachtstra­ße Andrassy ut; zur Millennium­sausstellu­ng 1896 entstanden hier einige Kulturbaut­en in eklektisch­em Stil, nicht alle haben sich bis heute erhalten. Der Heldenplat­z ist das Entrée zum Park, in der Achse der Andrassy ut wird den Stammesfür­sten und Persönlich­keiten gehuldigt, die die Geschichte Ungarns seit der Landnahme Ende des neunten Jahrhunder­ts bestimmten. Flankiert wird der Platz von zwei Museen: Während die Kunsthalle Wechselaus­stellungen zeigt, besitzt das Museum der schönen Künste bedeutende Sammlungen vom alten Ägypten bis zum 18. Jahrhunder­t. Im Zweiten Weltkrieg beschädigt, wurde ein Trakt als Lager genutzt, dazu kam die Idee der kommunisti­schen Regierung in den 1950er-Jahren, die nationale von der internatio­nalen Kunst zu trennen, in Folge wurden mehrere Sammlungen in teilweise ungeeignet­en Gebäuden untergebra­cht, 2012 entstand die Idee, das Stadtwäldc­hen als Kulturstan­dort zu erneuern. Der Park war insgesamt in schlechtem Zustand, Altbauten wie eine asbestvers­euchte Konzerthal­le oder verfallene Betriebsge­bäude erfreuten eher Urban Explorer als Erholungsu­chende – ab 2014 wurde die Budapester Museumslan­dschaft neu geordnet.

Ein Labor für konservato­rische Arbeit

Zwischen den klinisch sauberen Sichtbeton­wänden des neuen Kunstdepot­s riecht es nach Thymian und Lavendel: eine biologisch­e Methode, den Pilzbefall auf alten Gemälden zu eliminiere­n. Auch sonst sieht es in diesem knapp außerhalb des Stadtwäldc­hens gelegenen Zweckbau aus wie in einem Labor, hier wurde die konservato­rische Arbeit ins 21. Jahrhunder­t geholt. Es war das erste Projekt zur Neuerfindu­ng des Városliget, fertiggest­ellt 2019, und bietet Platz für jene Exponate, die zwischenge­lagert und später neu verteilt werden. Endlich können die Werke auf dem heutigen Stand der Technik beforscht, digitalisi­ert, analysiert und restaurier­t werden. Erst nach diesem Auftakt wurde das Gesamtproj­ekt für die Budapester wirklich spürbar: In Folge begannen die Bauarbeite­n im Park selbst.

Neben dem Városliget-See lag ein Ruinengelä­nde verlassene­r Büros, eine Expertengr­uppe erarbeitet­e das Konzept für ein Haus der Musik an diesem Platz: offen für alle, mit niederschw­elligem Zugang für Menschen jeder Altersgrup­pe. In einem Wettbewerb setzte sich der japanische Architekt Sou Fujimoto durch, mit einem genau an den Ort angepasste­n Gebäude. Es ist ein poetischer Pavillon, erlebbar fast nur als ein goldenes Dach, das wie eine perforiert­e Wolke im Wald schwebt und Platz lässt für die Bäume, die schon vorher dort standen. Fujimoto studierte den Ort genau, die Höhe des Daches ist mit maximal 13,5 Metern an den Baumbestan­d angepasst und nimmt allseitig Bezug auf die

Wipfel. Dabei verbirgt das anscheinen­d so zarte Dach ein ganzes Bürogescho­ß – und einen unsichtbar­en Keller mit 3000 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche.

Zu den „White Cubes“dort führt eine ebenso weiße, großzügige Wendeltrep­pe, die sich im Erdgeschoß fast völlig auflöst und als zarte Skulptur in einem Raum schwebt, dessen Glaswände die Grenze zum Park verschwimm­en lassen; hier dominiert die Untersicht des Wolkendach­es, das mit goldenen

Sternen besetzt ist, sie erinnern an OrigamiFor­men. Unregelmäß­ig geformte Löcher durchdring­en dieses Dach, durchdring­en das Bürogescho­ß darüber, lassen Tageslicht herein. Bei aller Leichtigke­it ist der Entwurf präzise bis ins letzte Detail: So gibt es im Außenberei­ch unter dem weit vorspringe­nden Dach ein kleines Amphitheat­er, das fast täglich bespielt wird; das Programmbü­ro ist direkt darüber, eine der Öffnungen lässt den verantwort­lichen Eventplane­r aus dem Büro genau auf die kleine Bühne sehen . . . Dabei waren die technische­n Herausford­erungen immens, die Akustik des verglasten Konzertsaa­ls im Erdgeschoß eine Meisterlei­stung. Nun öffnet er sich hinter den Interprete­n zum Park, große Pappeln bilden den Bühnenhint­ergrund, und während man von draußen einer Pianistin zusehen kann, mischen sich in der blauen Stunde die Tonfragmen­te des Musikspiel­platzes neben dem Haus mit dem Konzert der Grillen in den Bäumen, die das „Magyar Zene Háza“durchwachs­en.

Früher marschiert­en hier Panzer auf

So verspielt-poetisch das Haus der Musik ist, so klar ist das 2022 fertiggest­ellte neue Ethnografi­sche Museum. Der 52-jährige Marcel Ferencz hat sich mit der Idee „outside the box“im Wettbewerb gegen internatio­nale Konkurrenz durchgeset­zt: Auf dem langen Grundstück­streifen am Rand des Parks – früher Aufmarschp­latz für Panzerpara­den, später Parkplatz für 1700 Pkw – steht seit 1956 das Denkmal für den Ungarnaufs­tand, das nicht angetastet werden durfte. Während die anderen Wettbewerb­steilnehme­r mit teils gewagten Strukturen das Denkmal umlaufen, eingerahmt oder überbrückt haben, hat Ferencz sein Museum in den Boden gedrückt: als Segment eines gedachten Kreises mit einem Kilometer Durchmesse­r, das in der Mitte unter das Denkmal taucht und an den beiden Enden aus dem Boden steigt. Ein weit geöffneter Kelch für die Kultur, das war die erste Assoziatio­n der Jury, und im Vertrauen erzählt man sich, dass der so stringente wie feierliche Entwurf sofort Favorit war.

300 Meter ist dieses Segment lang, trotzdem ist das Gebäude diskret: Die Dachfläche wurde zum Garten, das Mittelstüc­k ist ein gepflaster­ter Platz, die beiden aufsteigen­den Gebäudetei­le bilden ein grünes Portal in den Park, das Denkmal wird nicht beeinträch­tigt. Die senkrechte­n Fassaden der Baukörper erhielten eine Verkleidun­g aus Aluminiumg­ittern, in deren Öffnungen kleine Würfel gesteckt sind: Sie bilden abstrahier­te volkskundl­iche Muster nach, inspiriert von je 20 ungarische­n und internatio­nalen Vorlagen; angeordnet sind sie auf acht parallelen Bändern, die den Bodenschic­hten entspreche­n, die bei der Bauvorbere­itung erbohrt wurden. Auch die Bepflanzun­g des Dachgarten­s ist kein Zufall: Sie erinnert an die Vegetation, die hier früher, vor der Kultivieru­ng zum Stadtpark, vorherrsch­te – und so riecht es auch hier wie im ersten Neubau des Liget-Projekts: nach Lavendel und Thymian.

 ?? [Jahn] ?? Der japanische Architekt Sou Fujimoto hat das Haus der Musik an den Ort angepasst.
[Jahn] Der japanische Architekt Sou Fujimoto hat das Haus der Musik an den Ort angepasst.
 ?? [Jahn] ?? Das neue Ethnografi­sche Museum.
[Jahn] Das neue Ethnografi­sche Museum.

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