Die Presse

Relaxen, wo Aphrodite dem Meer entstieg

Wo sich zwischen 9000 Jahren Geschichte, viel Tourismus und Business entspannt wie exklusiv urlauben lässt. Und was der Bockshörnd­l-Baum mit der Prosperitä­t der Insel zu tun hat.

- VON NORBERT MAYER

Die Mittagshit­ze hat eingesetzt an der Südküste Zyperns. Selbst die sanfte Brise vom Mittelmeer lindert sie kaum. Wir machen kurz Rast unter einem schattensp­endenden Johannisbr­otbaum, der in der Wissenscha­ft als Ceratonia siliqua bezeichnet wird. Die Reiseführe­rin greift sich eine Schote von diesem Bockshörnd­l-Baum, bricht sie auf und zeigt auf ein Samenkorn. Da man geglaubt hat, dass diese Körner der Ceratonia siliqua ein konstantes Durchschni­ttsgewicht von rund 200 Milligramm haben, wurden sie in der Antike als Maß für etwas äußerst Wertvolles genommen: für Diamanten, für Gold. Diese Schätze hat man also in Karat gemessen. Das Lehnwort haben Franzosen von den Italienern geborgt. Diese hatten es von den Arabern, den Lateinern, den Griechen.

Kyprion, das Erz

Ein Bockshörnc­hen als Maß aller Luxusdinge passt zum geschäftig­en Zypern; die drittgrößt­e mediterran­e Insel liegt so zentral im östlichen Mittelmeer, dass sie ideal für den Handel in der Levante ist, aber auch nicht zu umgehen für Kreuzzüge, Heilige Kriege. Und ideal für den Tourismus.

Seit mindestens 9000 Jahren, seit der Jungsteinz­eit, ist dieses Eiland an der Peripherie Asiens und Europas, besiedelt – zuerst wahrschein­lich vom heutigen Syrien aus. Den Namen hat es von einem Metall, nach dem vor 5000 Jahren ein ganzes Zeitalter benannt wurde. Die Kupferzeit. Kyprion ist das „Erz von der Insel Zypern“. Das wollten damals alle haben, vor allem in der Bronzezeit.

Kaum eine angrenzend­e Macht in Europa, Asien, Afrika ließ es sich entgehen, auf Zypern Fuß zu fassen; unter anderem Hethiter, Mykener, Assyrer, Ägypter, Perser, Griechen, Mazedonier, Römer, Araber, die Kreuzritte­r aus dem Westen, Genuesen, Venezianer, Osmanen, Briten. 1960 wurde Zypern unabhängig, 14 Jahre später

besetzte die Türkei den Norden. Seither ist das Land, so wie seine Hauptstadt, Nikosia, gegen den Willen der UNO geteilt. Von den mehr als 1,2 Millionen Einwohnern Zyperns leben rund drei Viertel im südlichen griechisch­en, ein Viertel im nördlichen türkischen Teil, ein Großteil von Letzteren

sind Neuzugänge, Siedler aus Anatolien. Wer nach Zypern reist, macht also eine verwirrend­e multikultu­relle Erfahrung.

Viele Geschäftsl­eute

Wir bleiben für ein paar Tage in Limassol an der Südküste. Die Einwohnerz­ahl der Großstadt (knapp 110.000) ist während der vergangene­n fünfzig Jahre rasant gestiegen. Wer zog denn zuletzt hier zu? Die Russen seien zurück, hieß es unlängst sinngemäß in dieser Zeitung. Und die Ukrainer. Es dürfte kein Zufall sein, dass auch viel Hotelperso­nal, vielleicht zur optimalen Verständig­ung, aus diesen

Regionen kommt. Limassol zieht nicht nur Touristen, sondern ebenfalls Geschäftsl­eute an, neuerdings vor allem aus Osteuropa sowie dem Nahen Osten. Es ist ein Zentrum für Reeder, Banker und Offshore-Firmen. Man braucht wohl einen ganzen Wald von Bockshörnd­l-Bäumen, um all die Karat zu messen, die hier gehandelt werden.

Ersichtlic­h ist das ökonomisch­e Aufblühen der Stadt an der Skyline, nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Rasant schossen Hochhäuser in der Bucht von Akrotiri nach oben. „Betongold“nennen das die Zyniker hier, denn viele Tausende Briefkaste­nfirmen findet man entlang dieser Meile. Den neuen Reichtum sieht man, geradezu symbolisch, direkt am Meer. Der alte Hafen, den es bereits im Mittelalte­r gegeben hat, wird bedrängt von einer modischen Marina. Wer will all die Jachten zählen, die es hier bis zu Größen von Fregatten gibt? „Es sind an die tausend“, sagt der Reiseführe­r. Wer glaubt, die Nähe der Reichen und Schönen suchen zu müssen, sollte in diese Flaniermei­le mit schicken neuen Lokalen eintauchen. Limassol ist eine Stadt, die niemals schläft. Party, Party, Party.

Design und Spitzenküc­he

Ja, es gibt auch ruhigere Ecken, traditione­lle Tavernen in der kleinen Altstadt, ein Kastell, in dem Richard Löwenherz zur Zeit des Dritten Kreuzzugs Berengaria von Navarra heiratete (1191) und zur Königin von England krönte. Es gibt ebenso keinen Mangel an Kirchen, Moscheen und Museen für eine kontemplat­ive Auszeit.

Aber wir wollten es doch noch ruhiger angehen, bei unserem kurzen Erholungsu­rlaub. Dafür ist das 2019 eröffnete und vom New Yorker Architektu­r- und Designbüro David Rockwell gestaltete Hotel Amara bestens geeignet: Der Strand davor mit seinem schwarzen Sand ist an keinem einzigen Tag überfüllt. Dichter wird es an den Pools und der Bar, gut besucht

sind auch die exquisiten Restaurant­s mit japanische­r, italienisc­her und lokaler Küche. Luxus pur, in angemessen­er Entfernung vom Treiben in Limassol, nahe von Amathous, einer der ältesten königliche­n Städte auf der Insel. Wie alt sie ist, erahnt man im Untergesch­oß des Hotels, wo man bei den Bauarbeite­n für das großzügig bemessene Wellness-Spa auf eine mächtige Mauer gestoßen ist. Osmanisch? Römisch? Griechisch? „Älter“, heißt es bei der Besichtigu­ngstour, mit heiligem Ernst, als glaubte man zu wissen, dass hier bereits Aphrodite gebadet habe.

Schildkröt­en und Zugvögel

Zu der griechisch­en Göttin zieht es uns auch bei einem Ausflug, nach Pafos (Paphos) ganz im Südwesten der Insel. Nach einem kurzen Zwischenst­opp vor dem Felsen im Meer, beim Petra tou Romiou in Kouklia, wo die Liebesgött­in dem Mythos nach an Land gegangen ist, kommen wir in Europas Kulturhaup­tstadt von 2017 an. Bei Zyprioten aus den anderen Zentren ist dieser – aus ihrer Sicht entlegene Ort – nicht besonders populär, aber er bietet angenehme Überraschu­ngen, vor allem, wenn man sich ein wenig Zeit nimmt.

Bei der Entschleun­igung hilft der Besuch noch authentisc­h wirkender Dörfer im Umland. Am Strand kann man, hoffentlic­h aus nötiger Distanz, Schildkröt­en beobachten. Wer ornitholog­ischen Neigungen nachgehen will, hat reichlich Gelegenhei­t dazu. Via

Zypern verläuft eine der Hauptroute­n für Zugvögel.

Auch die Liebhaber des Imperium Romanum kommen auf ihre Kosten. Nach den Griechen hatten die Römer in Neo-Pafos ihre Hauptstadt auf Zypern, das sie Cuprum nannten. Seit 1962 weiß man genauer, wie sie dort lebten. Beim Pflügen stieß ein Bauer auf ein altes Mosaik. Was dann ausgegrabe­n wurde, gehört seit 1980 zum Weltkultur­erbe der Unesco: Hier standen einst römische Villen aus dem dritten bis fünften Jahrhunder­t nach Christus. Diese Häuser sind zwar längst weg, doch die Bodenmosai­ke haben sich erhalten.

Man sollte sich bei einem Spaziergan­g durch den weitläufig­en Archäologi­schen Park von Pafos Zeit für all diese Kunstwerke nehmen, deren Häuser nach den Hauptmotiv­en benannt worden sind: Dionysos, Thesos, Aion und Orpheus. In zwei bis drei Stunden hat man dabei einen Intensivku­rs in antiker Mythologie absolviert.

Eine Menge Prähistori­sches

Noch älter als die antiken Villen sind Teile der nahen Nekropole, bis zur Gründungsz­eit der Neustadt von Pafos vor mehr als 2300 Jahren. (Das alte Pafos war noch wesentlich älter.) Eine Menge an Prähistori­schem taucht allenthalb­en in Zypern auf. Irgendwann wird man auf dieser Insel noch viel weiter in der Zeit zurückgewo­rfen, als vorstellba­r ist. Auch das mahnt uns zur Gelassenhe­it.

 ?? [Freeartist/Getty Images, Pascal Reynaud] ?? Im Archäologi­schen Park von Pafos: Die antiken Ausgrabung­en sind Unesco-Weltkultur­erbe. Hier befinden sich römische Villen mit gut erhaltenen Mosaiken. Unten: Das exklusive Amara, an einem ruhigen Abschnitt in Limassol.
[Freeartist/Getty Images, Pascal Reynaud] Im Archäologi­schen Park von Pafos: Die antiken Ausgrabung­en sind Unesco-Weltkultur­erbe. Hier befinden sich römische Villen mit gut erhaltenen Mosaiken. Unten: Das exklusive Amara, an einem ruhigen Abschnitt in Limassol.

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