Relaxen, wo Aphrodite dem Meer entstieg
Wo sich zwischen 9000 Jahren Geschichte, viel Tourismus und Business entspannt wie exklusiv urlauben lässt. Und was der Bockshörndl-Baum mit der Prosperität der Insel zu tun hat.
Die Mittagshitze hat eingesetzt an der Südküste Zyperns. Selbst die sanfte Brise vom Mittelmeer lindert sie kaum. Wir machen kurz Rast unter einem schattenspendenden Johannisbrotbaum, der in der Wissenschaft als Ceratonia siliqua bezeichnet wird. Die Reiseführerin greift sich eine Schote von diesem Bockshörndl-Baum, bricht sie auf und zeigt auf ein Samenkorn. Da man geglaubt hat, dass diese Körner der Ceratonia siliqua ein konstantes Durchschnittsgewicht von rund 200 Milligramm haben, wurden sie in der Antike als Maß für etwas äußerst Wertvolles genommen: für Diamanten, für Gold. Diese Schätze hat man also in Karat gemessen. Das Lehnwort haben Franzosen von den Italienern geborgt. Diese hatten es von den Arabern, den Lateinern, den Griechen.
Kyprion, das Erz
Ein Bockshörnchen als Maß aller Luxusdinge passt zum geschäftigen Zypern; die drittgrößte mediterrane Insel liegt so zentral im östlichen Mittelmeer, dass sie ideal für den Handel in der Levante ist, aber auch nicht zu umgehen für Kreuzzüge, Heilige Kriege. Und ideal für den Tourismus.
Seit mindestens 9000 Jahren, seit der Jungsteinzeit, ist dieses Eiland an der Peripherie Asiens und Europas, besiedelt – zuerst wahrscheinlich vom heutigen Syrien aus. Den Namen hat es von einem Metall, nach dem vor 5000 Jahren ein ganzes Zeitalter benannt wurde. Die Kupferzeit. Kyprion ist das „Erz von der Insel Zypern“. Das wollten damals alle haben, vor allem in der Bronzezeit.
Kaum eine angrenzende Macht in Europa, Asien, Afrika ließ es sich entgehen, auf Zypern Fuß zu fassen; unter anderem Hethiter, Mykener, Assyrer, Ägypter, Perser, Griechen, Mazedonier, Römer, Araber, die Kreuzritter aus dem Westen, Genuesen, Venezianer, Osmanen, Briten. 1960 wurde Zypern unabhängig, 14 Jahre später
besetzte die Türkei den Norden. Seither ist das Land, so wie seine Hauptstadt, Nikosia, gegen den Willen der UNO geteilt. Von den mehr als 1,2 Millionen Einwohnern Zyperns leben rund drei Viertel im südlichen griechischen, ein Viertel im nördlichen türkischen Teil, ein Großteil von Letzteren
sind Neuzugänge, Siedler aus Anatolien. Wer nach Zypern reist, macht also eine verwirrende multikulturelle Erfahrung.
Viele Geschäftsleute
Wir bleiben für ein paar Tage in Limassol an der Südküste. Die Einwohnerzahl der Großstadt (knapp 110.000) ist während der vergangenen fünfzig Jahre rasant gestiegen. Wer zog denn zuletzt hier zu? Die Russen seien zurück, hieß es unlängst sinngemäß in dieser Zeitung. Und die Ukrainer. Es dürfte kein Zufall sein, dass auch viel Hotelpersonal, vielleicht zur optimalen Verständigung, aus diesen
Regionen kommt. Limassol zieht nicht nur Touristen, sondern ebenfalls Geschäftsleute an, neuerdings vor allem aus Osteuropa sowie dem Nahen Osten. Es ist ein Zentrum für Reeder, Banker und Offshore-Firmen. Man braucht wohl einen ganzen Wald von Bockshörndl-Bäumen, um all die Karat zu messen, die hier gehandelt werden.
Ersichtlich ist das ökonomische Aufblühen der Stadt an der Skyline, nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Rasant schossen Hochhäuser in der Bucht von Akrotiri nach oben. „Betongold“nennen das die Zyniker hier, denn viele Tausende Briefkastenfirmen findet man entlang dieser Meile. Den neuen Reichtum sieht man, geradezu symbolisch, direkt am Meer. Der alte Hafen, den es bereits im Mittelalter gegeben hat, wird bedrängt von einer modischen Marina. Wer will all die Jachten zählen, die es hier bis zu Größen von Fregatten gibt? „Es sind an die tausend“, sagt der Reiseführer. Wer glaubt, die Nähe der Reichen und Schönen suchen zu müssen, sollte in diese Flaniermeile mit schicken neuen Lokalen eintauchen. Limassol ist eine Stadt, die niemals schläft. Party, Party, Party.
Design und Spitzenküche
Ja, es gibt auch ruhigere Ecken, traditionelle Tavernen in der kleinen Altstadt, ein Kastell, in dem Richard Löwenherz zur Zeit des Dritten Kreuzzugs Berengaria von Navarra heiratete (1191) und zur Königin von England krönte. Es gibt ebenso keinen Mangel an Kirchen, Moscheen und Museen für eine kontemplative Auszeit.
Aber wir wollten es doch noch ruhiger angehen, bei unserem kurzen Erholungsurlaub. Dafür ist das 2019 eröffnete und vom New Yorker Architektur- und Designbüro David Rockwell gestaltete Hotel Amara bestens geeignet: Der Strand davor mit seinem schwarzen Sand ist an keinem einzigen Tag überfüllt. Dichter wird es an den Pools und der Bar, gut besucht
sind auch die exquisiten Restaurants mit japanischer, italienischer und lokaler Küche. Luxus pur, in angemessener Entfernung vom Treiben in Limassol, nahe von Amathous, einer der ältesten königlichen Städte auf der Insel. Wie alt sie ist, erahnt man im Untergeschoß des Hotels, wo man bei den Bauarbeiten für das großzügig bemessene Wellness-Spa auf eine mächtige Mauer gestoßen ist. Osmanisch? Römisch? Griechisch? „Älter“, heißt es bei der Besichtigungstour, mit heiligem Ernst, als glaubte man zu wissen, dass hier bereits Aphrodite gebadet habe.
Schildkröten und Zugvögel
Zu der griechischen Göttin zieht es uns auch bei einem Ausflug, nach Pafos (Paphos) ganz im Südwesten der Insel. Nach einem kurzen Zwischenstopp vor dem Felsen im Meer, beim Petra tou Romiou in Kouklia, wo die Liebesgöttin dem Mythos nach an Land gegangen ist, kommen wir in Europas Kulturhauptstadt von 2017 an. Bei Zyprioten aus den anderen Zentren ist dieser – aus ihrer Sicht entlegene Ort – nicht besonders populär, aber er bietet angenehme Überraschungen, vor allem, wenn man sich ein wenig Zeit nimmt.
Bei der Entschleunigung hilft der Besuch noch authentisch wirkender Dörfer im Umland. Am Strand kann man, hoffentlich aus nötiger Distanz, Schildkröten beobachten. Wer ornithologischen Neigungen nachgehen will, hat reichlich Gelegenheit dazu. Via
Zypern verläuft eine der Hauptrouten für Zugvögel.
Auch die Liebhaber des Imperium Romanum kommen auf ihre Kosten. Nach den Griechen hatten die Römer in Neo-Pafos ihre Hauptstadt auf Zypern, das sie Cuprum nannten. Seit 1962 weiß man genauer, wie sie dort lebten. Beim Pflügen stieß ein Bauer auf ein altes Mosaik. Was dann ausgegraben wurde, gehört seit 1980 zum Weltkulturerbe der Unesco: Hier standen einst römische Villen aus dem dritten bis fünften Jahrhundert nach Christus. Diese Häuser sind zwar längst weg, doch die Bodenmosaike haben sich erhalten.
Man sollte sich bei einem Spaziergang durch den weitläufigen Archäologischen Park von Pafos Zeit für all diese Kunstwerke nehmen, deren Häuser nach den Hauptmotiven benannt worden sind: Dionysos, Thesos, Aion und Orpheus. In zwei bis drei Stunden hat man dabei einen Intensivkurs in antiker Mythologie absolviert.
Eine Menge Prähistorisches
Noch älter als die antiken Villen sind Teile der nahen Nekropole, bis zur Gründungszeit der Neustadt von Pafos vor mehr als 2300 Jahren. (Das alte Pafos war noch wesentlich älter.) Eine Menge an Prähistorischem taucht allenthalben in Zypern auf. Irgendwann wird man auf dieser Insel noch viel weiter in der Zeit zurückgeworfen, als vorstellbar ist. Auch das mahnt uns zur Gelassenheit.