Semmering: Alte Pracht neu bespielt
Niederösterreich. Die Gegend um Semmering und Rax ist ein Treffpunkt. Der Glanz vergangener Tage zeigt sich bei Kultur in alten Hotelprachtbauten und beim Wandern.
Da lauschte man den einen Nachmittag noch den tragenden Worten von Klaus Maria Brandauer, der aus der Korrespondenz von Albert Einstein und Sigmund Freud („Warum Krieg?“) las, traf man am nächsten zufällig Heinz Marecek im Kaffeehaus nach seiner Vorstellung und wechselt mit ihm ein paar Worte. Die Granden und die Renommierten aus der Theater-, Musik- und Kabarettszene geben sich am Semmering noch bis in den Herbst hinein die Klinke in die Hand. Das Kulturprogramm in der ganzen Region Semmering-Rax ist dicht. Schauplätze sind die zwar prächtigen, aber in Renovierung befindlichen Grandhotels, in denen zur Hochblüte Sigmund Freud, Alma Mahler oder Arthur Schnitzler ihre Sommerfrische verbracht haben, ebenso wie die neu gebauten oder historischen Pavillons, Schlösser, Gärten und Theater. Wie damals sind die Orte in der sogenannten Region Wiener Alpen komfortabel mit dem Zug erreichbar. Mittlerweile sorgt auch der 2023 flächendeckend eingeführte „Ruf-Bus“dafür, dass die Gäste jederzeit vom Bahnhof zum Hotel, zu den Veranstaltungen, in andere Urlaubsorte und auch wieder „nachhause“gebracht werden.
Alter Charme, neue Pläne
Semmering mit seinen historischen Villen, Hotels und Kureinrichtungen dämmert seit Jahrzehnten in einer Art Dornröschenschlaf – was aber auch Charme hat und von vielen geschätzt wird. Umgekehrt gibt es einige ambitionierte, manche Kritiker meinen „überambitionierte“, Pläne für die alten, ehrwürdigen Häuser wie das Grandhotel Panhans, das Südbahnhotel und das Kurhaus, um diese in ihrer alten Pracht zu restaurieren und wieder zu eröffnen. So oder so, die Gäste mögen die Kombination aus Natur, herrlichem, aber nicht allzu hohem Bergpanorama, Kunst und Kultur, dem Charme der alten Zeit und der Ahnung, wie die „Promis“, Künstlerinnen und Künstler, Musen, Intellektuellen, die Adeligen und die Industriellen vor mehr als hundert Jahren und Erholung vom Stadtleben gefunden haben. Moderne Einsprengsel sind erlaubt.
Ein Ort für viel Kultur ist etwa das Grandhotel Panhans, das 1888 von Vinzenz Panhans, dem ehemaligen Küchenchef des Südbahnhotels, auf 1000 Metern Seehöhe eröffnet wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts galt das Haus als eines der größten Luxushotels Europas. In dessen Gästebuch fanden unzählige Prominente und Adelige Eintrag, nicht zuletzt auch Kaiser Franz Joseph I. 1969 wurde das Panhans geschlossen, danach kam es zu unterschiedlichen Nutzungen und Renovierungen. Zuletzt war für 2020 eine Wiedereröffnung für das Hotel im Stil des Fin de Siècle geplant, das teilsanierte Gebäude wartet jedoch noch immer auf seine endgültige Bestimmung. Während des „Kultur Sommer Semmering“dienen einige Räumlichkeiten hochkarätigen Veranstaltungen als Spielort. So bietet sich etwa an, am Nachmittag eine Vorstellung im Veranstaltungssaal oder im neuen aus Holz und Glas gebauten Kulturpavillon gegenüber zu besuchen, einen Aperitif auf der Panoramaterrasse mit Blick in die Bergwelt zu nehmen und danach ein Diner unter dem Motto „Goldene Zwanziger à la Carte“zu genießen. Das Fünf-Gänge-Haubenmenü ist inspiriert von den Zutaten, wie sie entlang der historischen Südbahnstrecke zwischen Wienerwald und Adria zu finden sind, sprich Pilze, Fisch, Meeresfrüchte oder Trüffel. Kuratiert wird die Speisenfolge von Kulinarik-Autor Klaus Kamolz, für die Umsetzung ist Spitzenkoch und Gastronom Mario Bernatovic (Albert, Wien 1080) verantwortlich.
Die Bahn als Zugpferd
Spektakulärer Veranstaltungsort für sein Kulturprogramm ist auch das illustre Südbahnhotel am Semmeringpass. Hier ist die Zeit seit den späten 1960er-Jahren völlig stehen geblieben, manches zeigt sich noch original in dem 1880 begonnenen und mehrfach erweiterten Bau. Bei einer Führung durch das Haus – und auch durch die Theaterkulisse von Paulus Mankers „Alma“-Inszenierung („Nichts berühren, nicht auf die Stühle setzen!“, so die Anweisung) – gewinnen die Besucher einen Eindruck davon, wie hier die Schönen und Reichen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Sommer verbracht haben. Anders als heute blieben sie – samt Personal – meist einige Wochen vor Ort. „Die Devise war: Sehen und gesehen werden. Wer hier residiert hat, hat es bereits geschafft im Leben“, heißt es bei der Tour.
Der damalige Erfolg vom Semmering basierte auf dem spektakulären Bau der Semmeringbahn im Auftrag der k. k. privilegierten Südbahngesellschaft. Nach der Eröffnung der Bahnstrecke 1854 schlug das Angebot von Panoramafahrten ab Wien oder Baden von Gloggnitz über den Semmering bis nach Mürzzuschlag und zurück ein wie der Blitz. 1882 wurde auch das Südbahnhotel als erstes Luxushotel am Semmering und Aushängeschild der Südbahn AG mit vorerst 60 Zimmern eröffnet, dann ständig erweitert und verbessert. Alle
Wünsche sollten den erlauchten Gästen erfüllt werden. Aber wie im Panhans waren auch für das Südbahnhotel die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung und der Zweiten Weltkrieg sowie die Veränderungen der Urlaubsgewohnheiten das Aus für das Hotel. Und schwierig für den Tourismus in Semmering allgemein.
Original mit Patina
Das Haus mit den gut erhaltenen Böden und Wandverkleidungen, Tapetentüren, großzügigen Fenstern, den edlen Möbeln und Lampen steht unter Denkmalschutz und ist heute im Besitz der SBH Immobilienbesitz GmbH, welche das Hotel zum Teil im Originalzustand und mit seiner „Patina“(darunter auch 60 bis 70 Zimmer) 2026 eröffnen will, so die kolportierten Pläne. In den vergangenen Jahren wurde zudem auch das renovierungsbedürftige Kurhaus Semmering (1909 eröffnet) als Spielort für
Theateraufführungen genutzt – und wartet nach Neuübernahme auf seine Wiedereröffnung.
Wanderziel: 20-Schilling-Blick
Kultur und Natur verbindet eine Wanderung rund um den Ort, auf der sogenannten ZauberblickRunde. Von der Passhöhe verläuft die Strecke vorbei am Panhans und der Pfarrkirche, an verschiedenen Villen, Schlösschen und Hotels, am Skulpturenpark und zum berühmten „20-Schilling Blick“– also die Aussicht auf das „Kalte Rinne“-Viadukt der Semmeringbahn. Weiter geht’s zur Doppelreiter-Aussichtswarte,
vorbei am Kurhaus (wo auch der Bahnwanderweg vorbeiführt), zum Bahnhof Wolfsbergkogel und zum Semmering-Bahnhof. Im neueren Gemeindezentrum kann man auch die Hirschenkogel-Seilbahn auf den „Zauberberg“nehmen. Diese bringt nicht nur Wanderer, sondern auch Mountainbiker hinauf, um den weniger mondänen, dafür modernen Bikepark zu nutzen.
Der Ruf-Bus bringt die Besucher auch in andere Orte, etwa nach Reichenau. Die Entwicklung von Reichenau ist ebenfalls eng mit jener der Süd- und Semmeringbahn
verbunden. Das idyllische Dorf am Fuße der Rax wurde so zum Sommerrefugium mit vielen Hotels, Gärten, Villen und Schlössern für die feine Gesellschaft Wiens katapultiert und hat immer noch den Rang eines Luftkurorts und Bergsteigerdorfs. Außerdem sind die Festspiele Reichenau ein fixer Programmpunkt im Sommer. Während das beeindruckende Schloss Rothschild mit riesigem Park heute hauptsächlich Angestellten des Österreichischen Bundesheers zugänglich ist, ist Schloss Reichenau ein öffentliches Museum und Veranstaltungsort für Konzerte und Theater.
Salon, Park und Habsburger
Sehenswert ist die Ausstellung, die nicht nur in die Historie des Ortes und den Bezug zum Kaiserhaus, sondern auch in das Leben der ehemaligen Besitzerfamilie Waissnix Einblick gibt. In der Villa Wartholz (1872 fertiggestellt) wurde 1912 Otto von Habsburg, ältester Sohn von Kaiser Karl und Kaiserin Zita, geboren. Später sollte er der heutigen Besitzerfamilie Blazek, Initiatoren des Literatursalons, sogar Mobiliar zur Verfügung stellen. Die Villa, die auch als Filmkulisse für „Spiel im Morgengrauen“oder die TV-Serie „Altes Geld“gedient hat, der Park, die Gärtnerei und das zauberhafte Restaurant-Café im Wintergarten sind das ganze Jahr über Treffpunkt von Kunst und Kultur. Auf (geführten) Spaziergängen durch den Ort oder im Rahmen verschiedenster Veranstaltungen können sich die Besucher auch hier auf Zeitreise und auf die Spuren all der bedeutenden Künstler begeben.