Unternehmen schaden sich selbst
Gehaltsangaben. Jobsuchende machen einen Bogen um Unternehmen, die in Stelleninseraten – wie gesetzlich vorgesehen – nur das Mindestgehalt angeben, ermittelt Julia Brandl in einer Studie.
Bis vor gut zehn Jahren war es in Bewerbungsgesprächen meist so: Erst nachdem die inhaltlichen Fragen geklärt waren, wurde das Gehalt thematisiert. Die gesetzliche Verpflichtung, das Gehalt in internen (Schwarzes Brett usw.) wie externen (Zeitungsinserat etc.) Stellenausschreibungen auszuschildern, veränderte das Bild: Das Gehalt transparent zu machen wurde zur Bringschuld der Arbeitgeber – noch bevor sich überhaupt jemand beworben hatte. Und verschob das Gehaltsthema an den Anfang des Bewerbungsprozesses.
„Das Gehalt, das Arbeitgeber hier angeben, wirkt wie ein Anker auf die Erwartungen“, sagt Julia Brandl, Professorin an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Der Ankereffekt ist ein psychologisches Phänomen: Gibt es in Situationen mit unsicherem Ausgang einen Orientierungspunkt (eine Zahl), einen Anker, beeinflusst dieser unsere bisherigen Erwartungen. In Gehaltsverhandlungen ist der erste Betrag, den das Gegenüber nennt, sowohl für das Ergebnis als auch für die Frage, ob jemand an einer Kontaktaufnahme interessiert sei, entscheidend.
Brandl, sie leitet den Bereich Human Resource Management an der Fakultät für Betriebswirtschaft, untersuchte die Auswirkungen der Gehaltsangaben in Stellenausschreibungen in einer Studie – und stellte fest: So, wie viele Unternehmen das Gesetz umsetzen, ist es für sie schädlich.
Ist in der Ausschreibung nur das kollektivvertraglich vorgesehene Mindestgehalt angegeben, ist das für drei Viertel der Jobsuchenden ein Impuls, sich erst gar nicht zu bewerben. „Daran ändert auch der gängige Hinweis ,Bereitschaft zur Überzahlung‘ nichts“, sagt Brandl. Das wirke sich besonders dramatisch für „No-Name-Unternehmen“aus, die über keine prestigeträchtige Arbeitgebermarke verfügen: Sie verspielen die Chance, mit potenziellen Mitarbeitenden in Kontakt zu kommen.
Sich ernst genommen fühlen
Besser sei es, sagt Brandl, „eine Gehaltsspanne anzugeben. Dann beginnen Interessierte, sich selbst anhand ihrer Qualifikation und Erfahrung einzuordnen.“Eine Sorge der Unternehmen kann Brandl mit Blick auf die Studienergebnisse zerstreuen: Weit weniger Bewerber als erwartet verorten sich selbst am höheren Ende der Gehaltsspanne.
Vielmehr löse die Gehaltsspanne bei Interessierten das Gefühl aus, mit all dem, was sie individuell mitbringen, ernst genommen zu werden. Und es zwinge Bewerber, sich über den eigenen Wert Gedanken zu machen, so Brandl. Zudem habe die Gehaltsspanne – sie wirkt wie ein Doppelanker – einen Einfluss auf die Gehaltserwartungen: Jene der Männer würden tendenziell gedämpft, jene der Frauen tendenziell gesteigert. „Eine Bandbreite bei den Gehältern hilft bei der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern.“Deshalb empfiehlt sie dem Gesetzgeber, Unternehmen zu verpflichten, statt eines Hinweises auf mögliche Überzahlung eine Gehaltsspanne anzugeben.
Stellt sich die Frage, wie Unternehmen die Spanne begrenzen. Die untere ist einfach: Sie bemisst sich am Kollektivvertrag, dem Mindestlohntarif, der Satzungserklärung oder Betriebsvereinbarung. Die obere, sagt Brandl, idealerweise an der Vergütungssystematik, die es im Unternehmen gibt.
Die Vergütungssystematik intern zu kommunizieren, versteht sie als wesentlichen Teil guter Personalpolitik. „Darüber ins Gespräch zu kommen, ist Teil der Transparenz“, sagt sie. So könne man Mitarbeitenden erklären, warum es im Vergütungssystem etwa für neue Mitarbeitende Aufschläge als Gehaltsextra gebe, wenn es temporär schwierig sei, Kandidaten auf dem Arbeitsmarkt zu finden.
Übrigens: Bewerber haben aktuell keine individuellen Ansprüche, ist das Mindestgehalt nicht angegeben. Sie bzw. die Gleichbehandlungsanwaltschaft können aber bei der Bezirksverwaltungsbehörde eine Anzeige erstatten. Die Bezirksverwaltungsbehörde verwarnt das Unternehmen bei erstmaliger Pflichtverletzung, bei weiteren Verstößen verhängt sie eine Verwaltungsstrafe bis zu 360 Euro.