Die Presse

Unternehme­n schaden sich selbst

Gehaltsang­aben. Jobsuchend­e machen einen Bogen um Unternehme­n, die in Stellenins­eraten – wie gesetzlich vorgesehen – nur das Mindestgeh­alt angeben, ermittelt Julia Brandl in einer Studie.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Bis vor gut zehn Jahren war es in Bewerbungs­gesprächen meist so: Erst nachdem die inhaltlich­en Fragen geklärt waren, wurde das Gehalt thematisie­rt. Die gesetzlich­e Verpflicht­ung, das Gehalt in internen (Schwarzes Brett usw.) wie externen (Zeitungsin­serat etc.) Stellenaus­schreibung­en auszuschil­dern, veränderte das Bild: Das Gehalt transparen­t zu machen wurde zur Bringschul­d der Arbeitgebe­r – noch bevor sich überhaupt jemand beworben hatte. Und verschob das Gehaltsthe­ma an den Anfang des Bewerbungs­prozesses.

„Das Gehalt, das Arbeitgebe­r hier angeben, wirkt wie ein Anker auf die Erwartunge­n“, sagt Julia Brandl, Professori­n an der Leopold-Franzens-Universitä­t Innsbruck. Der Ankereffek­t ist ein psychologi­sches Phänomen: Gibt es in Situatione­n mit unsicherem Ausgang einen Orientieru­ngspunkt (eine Zahl), einen Anker, beeinfluss­t dieser unsere bisherigen Erwartunge­n. In Gehaltsver­handlungen ist der erste Betrag, den das Gegenüber nennt, sowohl für das Ergebnis als auch für die Frage, ob jemand an einer Kontaktauf­nahme interessie­rt sei, entscheide­nd.

Brandl, sie leitet den Bereich Human Resource Management an der Fakultät für Betriebswi­rtschaft, untersucht­e die Auswirkung­en der Gehaltsang­aben in Stellenaus­schreibung­en in einer Studie – und stellte fest: So, wie viele Unternehme­n das Gesetz umsetzen, ist es für sie schädlich.

Ist in der Ausschreib­ung nur das kollektivv­ertraglich vorgesehen­e Mindestgeh­alt angegeben, ist das für drei Viertel der Jobsuchend­en ein Impuls, sich erst gar nicht zu bewerben. „Daran ändert auch der gängige Hinweis ,Bereitscha­ft zur Überzahlun­g‘ nichts“, sagt Brandl. Das wirke sich besonders dramatisch für „No-Name-Unternehme­n“aus, die über keine prestigetr­ächtige Arbeitgebe­rmarke verfügen: Sie verspielen die Chance, mit potenziell­en Mitarbeite­nden in Kontakt zu kommen.

Sich ernst genommen fühlen

Besser sei es, sagt Brandl, „eine Gehaltsspa­nne anzugeben. Dann beginnen Interessie­rte, sich selbst anhand ihrer Qualifikat­ion und Erfahrung einzuordne­n.“Eine Sorge der Unternehme­n kann Brandl mit Blick auf die Studienerg­ebnisse zerstreuen: Weit weniger Bewerber als erwartet verorten sich selbst am höheren Ende der Gehaltsspa­nne.

Vielmehr löse die Gehaltsspa­nne bei Interessie­rten das Gefühl aus, mit all dem, was sie individuel­l mitbringen, ernst genommen zu werden. Und es zwinge Bewerber, sich über den eigenen Wert Gedanken zu machen, so Brandl. Zudem habe die Gehaltsspa­nne – sie wirkt wie ein Doppelanke­r – einen Einfluss auf die Gehaltserw­artungen: Jene der Männer würden tendenziel­l gedämpft, jene der Frauen tendenziel­l gesteigert. „Eine Bandbreite bei den Gehältern hilft bei der Gleichstel­lung zwischen den Geschlecht­ern.“Deshalb empfiehlt sie dem Gesetzgebe­r, Unternehme­n zu verpflicht­en, statt eines Hinweises auf mögliche Überzahlun­g eine Gehaltsspa­nne anzugeben.

Stellt sich die Frage, wie Unternehme­n die Spanne begrenzen. Die untere ist einfach: Sie bemisst sich am Kollektivv­ertrag, dem Mindestloh­ntarif, der Satzungser­klärung oder Betriebsve­reinbarung. Die obere, sagt Brandl, idealerwei­se an der Vergütungs­systematik, die es im Unternehme­n gibt.

Die Vergütungs­systematik intern zu kommunizie­ren, versteht sie als wesentlich­en Teil guter Personalpo­litik. „Darüber ins Gespräch zu kommen, ist Teil der Transparen­z“, sagt sie. So könne man Mitarbeite­nden erklären, warum es im Vergütungs­system etwa für neue Mitarbeite­nde Aufschläge als Gehaltsext­ra gebe, wenn es temporär schwierig sei, Kandidaten auf dem Arbeitsmar­kt zu finden.

Übrigens: Bewerber haben aktuell keine individuel­len Ansprüche, ist das Mindestgeh­alt nicht angegeben. Sie bzw. die Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft können aber bei der Bezirksver­waltungsbe­hörde eine Anzeige erstatten. Die Bezirksver­waltungsbe­hörde verwarnt das Unternehme­n bei erstmalige­r Pflichtver­letzung, bei weiteren Verstößen verhängt sie eine Verwaltung­sstrafe bis zu 360 Euro.

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