Die Presse

Eine Sprache in komplexen Krisen

Wie man Risiken abwägt, kommunizie­rt und in Extremsitu­ationen die richtigen Entscheidu­ngen fällt, muss erlernt werden. Ein Berufsfeld, das wächst.

- VON LISA SCHÖTTEL

Auf Teneriffa und in Kanada haben Einsatzkrä­fte die Waldbrände gerade unter Kontrolle gebracht, in Griechenla­nd flammen immer wieder Brandherde auf. Während dort täglich Gebiete evakuiert und Menschen in Notunterkü­nfte gebracht werden müssen, kümmert man sich in Slowenien und Kärnten nach den Überschwem­mungen gerade um den Wiederaufb­au der lokalen Infrastruk­tur. Ein Sommer der Katastroph­en und wohl nur ein Vorgeschma­ck auf das, was uns – aufgrund des Klimawande­ls – in den kommenden Jahren bevorsteht. Mit der Häufung dieser Ereignisse steigt auch das Bewusstsei­n für gutes Katastroph­enmanageme­nt, ein Metier, das zwar bereits seit hundert Jahren existiert, aber jetzt (leider) erst die nötige Aufmerksam­keit bekommt.

Bernhard Bürger ist Katastroph­enmanager und weiß, wie man in Extremsitu­ationen die richtigen Entscheidu­ngen fällt. Der Hauptteil seiner Arbeit besteht allerdings darin, Risiken zu berechnen, Szenarien zu erstellen und Vorkehrung­en zu treffen, damit es erst gar nicht zu diesen Katastroph­en kommt. Ein klassische­r Bürojob, meint er. „Wir schauen uns die Einsatzgeb­iete an und überlegen: Was kann passieren, und welche Ressourcen braucht es dort, um mögliche Katastroph­en rasch abzuwenden?“Kommt es dann doch zur Katastroph­e, braucht es jemanden, der den Einsatz koordinier­t und sich mit den involviert­en Stakeholde­rn – von der öffentlich­en Verwaltung, den Einsatzkrä­ften, den betroffene­n Personen – abstimmt. Für Bürger eine der Kernkompet­enzen eines Katastroph­enmanagers, nämlich: „Im komplexen System Katastroph­e ein gemeinsame­s Vokabular zu sprechen.“

In der Krise Köpfe kennen

Perfektion­iert hat Bürger, der zuvor 14 Jahre aktiv im Rettungsdi­enst tätig war und jetzt in der Forschung arbeitet, dieses Vokabular in England, wo er „Disaster Management and Emergency Planning“studierte sowie im postgradua­len Master „Risikopräv­ention und Katastroph­enmanageme­nt“an der Universitä­t Wien. In Einsatzübu­ngen simulierte man dort beispielsw­eise Unwetter. „Wir Studierend­en nahmen die Rolle eines Bezirksver­waltungsst­abs ein und mussten zeitnah Befehle rausgeben, während stets neue Meldungen, etwa zur Trinkwasse­rknappheit, reinkamen.“ Das sei auch das primäre Ziel des Curriculum­s: nicht möglichst gute Lawinenkun­dler und Seismologe­n auszubilde­n, sondern den Studierend­en Einblicke in die einzelnen Domänen zu geben, damit diese die Zusammenhä­nge der verschiede­nen Rollen der Institutio­nen in einer Katastroph­e verstehen lernen. Bürger: „Es hilft in der Entscheidu­ngsfindung, wenn ich weiß, wie Berechnung­smodelle für Erdbeben aussehen, ich die Grundlagen der Hydrologie kenne und weiß, wie ich im Krisenfall mit Polizisten kommunizie­re.“Aus unterschie­dlichen Domänen stammten auch die Lehrgangs-Kommiliton­en: Feuerwehr, Asfinag, Bürgermeis­ter und Infrastruk­turprovide­r. Man gehe mit einem „gut gefüllten Telefonbuc­h nach Hause“, erzählt Bürger. „Auch ein gutes Netzwerk ist im Katastroph­enfall essenziell, denn wie heißt es so schön: In der Krise muss man Köpfe kennen.“

Interdiszi­plinäre Trainings

An der Montanuniv­ersität in Leoben startet ab Herbst das erste ordentlich­e Masterstud­ium in Safety and Disaster Management – ein Novum in Österreich, wo dieser Studienber­eich bislang nur kostenpfli­chtig angeboten wird. Ein weiteres Novum: Der englischsp­rachige Master ist für Studierend­e aller Fachrichtu­ngen zugelassen. Neben einer Grundausbi­ldung in den Bereichen Technik, den Sozial- und Wirtschaft­swissensch­aften und den Naturwisse­nschaften (hier kooperiert man mit GeoSphere Austria, der Bundesanst­alt für Geologie, Geophysik, Klimatolog­ie und Meteorolog­ie) sind auch gruppendyn­amische Übungen, Leadership­Entwicklun­g mit tiefenpsyc­hologische­n Aspekten und Risikokomm­unikation Teil des Curriculum­s.

Wichtig ist den ebenfalls aus unterschie­dlichen Diszipline­n kommenden Studienver­antwortlic­hen Harald Raupenstra­uch (Techniker) und Renate Renner (Soziologin), dass die Studierend­en bei ihren eigenen Basisdiszi­plinen abgeholt werden und ein Bewusstsei­n für interdiszi­plinäres Arbeiten entwickeln. Ein Beispiel bringt Renner aus vergangene­n Seminaren, in denen Studierend­e aus interdiszi­plinärer Perspektiv­e die Frage beurteilte­n, wie freiwillig­e Spontanhel­fer bei Katastroph­en integriert werden könnten. Gerade für das Katastroph­enmanageme­nt sei es das Um und Auf zu wissen, was andere Fachrichtu­ngen einbringen, sagt Renner. Ein breiter Blick und hohe Reflexions­fähigkeit seien ebenso essenziell.

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[ZaB Montanuniv.] Über Rollenspie­le in Einsatztra­inings lernt man Krisendyna­miken kennen.

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