Die Presse

Wie ein NS-Pamphlet den bayerische­n Wahlkampf aufwühlt

Ein antisemiti­sches Flugblatt, das der Bruder des Chefs der Freien Wähler als Gymnasiast verfasst haben soll, bringt auch Hubert Aiwanger in Bedrängnis.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/München. Im bayerische­n Wahlkampf geht es oft rustikal und mitunter derb und zotig zu, erst recht auf Volksfeste­n und in Bierzelten. Hubert Aiwanger zählt zu jenen, die am kräftigste­n austeilen und lospoltern. Der Chef der Freien Wähler, Wirtschaft­sminister und Vize-Ministerpr­äsident unter Markus Söder, keilt am liebsten via soziale Medien gegen die Ampel-Koalition in Berlin. Als „Twitter-Hubsi“ist er über den Freistaat hinaus berüchtigt, weil er zu allem und jedem seine Meinung hinausposa­unt.

Nun holte den niederbaye­rischen Populisten eine Affäre aus der Vergangenh­eit ein, die weit mehr als ein Dummer-JungenStre­ich zu Mittelschu­lzeiten war und eine revisionis­tische, wenn nicht gar rechtsextr­emistische Einstellun­g offenbarte. Söder forderte seinen Koalitions­partner jetzt auch prompt zur Aufklärung der Flugblatta­ktion auf, die 35 Jahre zurücklieg­t. Damals fanden sich in der Schultasch­e des 17-jährigen Gymnasiast­en Aiwanger Exemplare des Flugblatts, das vor tumbem und plumpem Antisemiti­smus nur so strotzt. Mutmaßlich hat er das Pamphlet in der Schule, dem Gymnasium im niederbaye­rischen Mallersdor­f-Pfaffenber­g, auch verteilt.

Unter dem Titel „Wer ist der größte Volksverrä­ter?“, eine Reaktion auf einen Aufsatzwet­tbewerb zur deutschen Geschichte, lobt das Ausschreib­en Preise aus. Demnach sollten sich Bewerber im ehemaligen NS-Konzentrat­ionslager Dachau bei München vorstellen, als Preise winkten „ein Freiflug durch den Schornstei­n in Auschwitz“oder „ein lebensläng­licher Aufenthalt im Massengrab“.

„Ekelhaft und menschenve­rachtend“

Es hagelte Rücktritts­aufforderu­ngen gegen Aiwanger und Rufe nach Einberufun­g einer Sondersitz­ung des Landtags, bis der 52-jährige Politiker klarstellt­e, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe. Aber: „Ich kenne den Verfasser.“„Ekelhaft und menschenve­rachtend“sei das Flugblatt – und zwar damals wie heute, distanzier­te sich der Chef der Freien Wähler. Zunächst hatte er die Enthüllung als „Schmutzkam­pagne“qualifizie­rt. Als das Flugblatt entdeckt worden sei, habe ihm der Direktor mit einer Anzeige bei der Polizei gedroht, erinnert sich Aiwanger. Mit einem Referat habe er die Sache aus der Welt geschafft.

Aiwangers Bruder bekannte sich am Wochenende derweil als Verfasser des Flugblatts. Auch er distanzier­te sich von seinem damaligen Treiben. „Ich war damals so wütend, weil ich in der Schule durchgefal­len war. Ich war damals noch minderjähr­ig“, schrieb er zu seiner Entschuldi­gung. Die „Süddeutsch­e Zeitung“hatte das Flugblatt aus dem Schuljahr 1987/88 aufgestöbe­rt beziehungs­weise zugespielt bekommen.

Fleisch vom Fleisch der CSU

Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, sprach einen wunden Punkt an: „Inwiefern Hubert Aiwanger für die Verbreitun­g zumindest mitverantw­ortlich ist, wird in Gänze nicht aufzukläre­n sein.“Der ehemalige Arzt mit einer Ordination im fränkische­n Würzburg betonte indes: „Das Flugblatt darf nicht als Jugendsünd­e abgetan werden, da es die für unser Land so wichtige Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus regelrecht mit Füßen tritt.“

Ob die Affäre ausgestand­en ist oder ob in der Folge noch weitere kompromitt­ierende Details auftauchen: Der Wahlkampf für die Wahl in sechs Wochen hat ein aufwühlend­es Thema gefunden. CSU-Ministerpr­äsident Söder hatte angekündig­t, die Koalition mit den Freien Wählern (FW) fortsetzen zu wollen. Die FW, die sich in Gemeinden und Kleinstädt­en gegründet hat, ist oftmals Fleisch vom Fleisch der CSU, ein Sammelbeck­en abtrünnige­r, frustriert­er CSU-Wähler, die sich zu einem Verband zusammenge­schlossen haben. Unter Parteichef Aiwanger, der weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannten Galionsfig­ur, schafften sie den Einzug in den Landtag und vor fünf Jahren auch in die Landesregi­erung. In Bayern hat sich der „Hubsi“einen Namen als eine Art Bierzeltpo­litiker gemacht, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und als Verfechter der ländlichen Bevölkerun­g und der „schweigend­en Mehrheit“auftritt.

‘‘ Das Flugblatt darf nicht als Jugendsünd­e abgetan werden, da es die für unser Land so wichtige Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus regelrecht mit Füßen tritt.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d

Kann die CSU profitiere­n?

In den Umfragen hält die CSU derzeit bei knapp 40 Prozent, gefolgt von den Grünen und den Freien Wählern mit je 14 Prozent und der AfD mit 13 Prozent. SPD und FDP liegen nur im einstellig­en Bereich. Söder erhofft sich von der Affäre nun jene Prozentpun­kte, die die CSU über die Marge von rund 45 Prozent hieven könnte, die für eine absolute Mehrheit reichen würden. Unter Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber galt einst sogar die magische Formel: 50 + x. Auch die Grünen, die zuletzt Rückschläg­e hinnehmen mussten, könnten daraus Kapital schlagen.

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[Imago/Steffi Adam via www.imago-images.de] Hubert Aiwanger im Biergarten am Münchner Nockherber­g in seinem Element. Der Chef der Freien Wähler gibt sich gern volkstümli­ch.

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