Comeback im Big Apple
Abseits der größten Tennisbühne schlug Novak Djoković ein neues Karrierekapitel auf. Nun ist er zurück in New York.
Die unteren Ränge des Arthur Ashe Stadium waren gut gefüllt, für eine Trainingseinheit in der größten Tennisarena der Welt jedenfalls beachtlich. Novak Djoković genoss diesen Umstand sichtlich, er gab sogar wie von den Fans gewünscht unter tosendem Gelächter ein paar seiner Aufschlagimitationen von Maria Scharapowa, Goran Ivanišević oder Pete Sampras zum Besten. Der 36jährige Serbe ist also zurück bei den US Open, nachdem sein Impfstatus bei der vergangenen Auflage eine Einreise in die USA verhindert hatte. Und schon vor seinem Auftaktmatch gegen den Franzosen Alexandre Muller (Nightsession ab Dienstagfrüh 1 Uhr Mesz) wurde deutlich, wie wohl er sich in New York fühlt und dass er einmal mehr bereit ist, beim letzten Grand-SlamTurnier des Jahres Tennisgeschichte zu schreiben.
Vor 20 Jahren besuchte Djoković erstmals New York, vor 18 Jahren spielte er erstmals im Hauptbewerb der US Open. Seine Geschichte mit diesem Turnier ist seither eine mannigfaltige. Er feierte schier unglaubliche Siege wie 2011, als er in unnachahmlicher Manier als Rückschläger zwei Matchbälle von Roger Federer abwehrte und danach im Finale gegen Rafael Nadal noch den Titel holte. Aber auch bittere Niederlagen wie 2020, als er disqualifiziert wurde, weil er im Zorn den Ball unabsichtlich auf eine Linienrichterin schoss. Und da war diese besondere Episode im Jahr 2021 mit der Finalniederlage gegen Daniil Medwedew – das allerletzte Match, das Djoković auf dem Weg zum ersten KalenderGrand-Slam seit Rod Laver 1969 hätte gewinnen müssen.
Pathos und Dankbarkeit
Wobei die Erinnerungen daran vieles aufwiegen. „Was ich von den Zuschauern gefühlt habe, diese Art Verbindung und die Liebe und Unterstützung, die sie mir das ganze Match lang und auch bei der Schlusszeremonie mitgaben, ist etwas, das ich noch immer in meinem Herzen trage“, erzählte Djoković dieser Tage in New York. „Ich spüre noch immer die Atmosphäre von dieser Nacht des Finales. Ich werde versuchen, das für dieses Turnier zu nutzen.“
Ob er denn nicht auch einen Groll hege, schließlich ist ihm letztes Jahr wegen einer fehlenden Impfung gegen das Coronavirus, aus Sicht von Djoković also ungerechtfertigterweise, die Teilnahme verwehrt worden? „Nein, es gibt keinen Ärger. Während der US Open im vergangenen Jahr fühlte ich, dass es schade ist, dass ich nicht dort bin. Ich war traurig, dass ich nicht teilnehmen konnte“, antwortete der Weltranglistenzweite und zuckte mit den Schultern. „Jetzt geht es um dieses Jahr. Ich denke nicht daran, was im Vorjahr oder in den vergangenen Jahren passiert ist. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf das diesjährige Turnier.“
Auch auf der Anlage in Flushing Meadows ist man heilfroh, den Serben zurückzuhaben. Dass ein Major-Turnier mit Djoković im Tableau einen anderen sportlichen Wert genießt als eines ohne den Grand-SlamRekordsieger, steht außer Frage. „Ich kann es nicht erwarten, Novak zurück in New York zu haben“, erklärte Turnierdirektorin Stacey Allaster.
Doch selbst ohne US-OpenTeilnahme hat Djoković zuletzt ein neues Karrierekapitel aufgeschlagen. Er ist der letzte verbliebene Vertreter der einzigartigen Ära der „Big Three“, er hat inzwischen mehr Wochen an der Spitze der Weltrangliste verbracht als jeder Mann und jede Frau vor ihm und er hat seinen Status als bester Spieler der Geschichte untermauert. Djoković ist nicht nur der unumschränkte Altmeister, den es bei jedem bedeutenden Turnier zu schlagen gilt. Sondern er hat aus dem packenden Generationenduell mit dem 16 Jahre jüngeren Carlos Alcaraz noch einmal zusätzliche Kraft und Motivation geschöpft.
Mehr Grand-Slam-Titel (23) als jeder andere männliche Spieler der Geschichte hat er bereits, in New York peilt er nun Triumph Nummer 24 an, der ihn vorbei an Serena Williams (23) auf eine Ebene mit Rekordfrau Margaret Court hieven würde. „Ich weiß nicht, wie viele Grand Slams ich noch haben werde. Ich habe im Moment kein Ende in meinem Kopf“, sagt Djoković. Aber: „Ich verstehe auch, dass die Dinge anders sind, wenn du 36 bist, also muss ich dankbarer sein, ein wenig präsenter, und in Sachen Einsatz und Leistung jeden Grand Slam so behandeln, als wäre es vielleicht mein letzter.“
Erholt und mit einer perfekten Generalprobe im Gepäck ist Djoković in Queens angekommen. Nach Wimbledon hat er zwei Wochen nur mit der Familie verbracht und schließlich zur Vorbereitung das 1000er-Event in Cincinnati gewonnen. Dass er den Titel nach einem der denkwürdigsten Endspiele der Tennisgeschichte gegen Carlos Alcaraz holte, einer der härtesten Partien seiner Karriere, wie er erklärte, ließ ihn noch einmal alle Sinne schärfen und könnte sich als ideale Vorbereitung für das Tennisspektakel in New York herausstellen.
Alles, das er in diesem Sport macht, ist unglaublich.
Carlos Alcaraz
Zurück in der Menge
Dort schrieb Djoković am Ende seiner Trainingseinheit noch 20 Minuten lang Autogramme und posierte für Selfies. Die Beliebtheit, das Bad in der Menge, genießt er mindestens so, wie er aus Buhrufen und ihm weniger gut gesinntem Publikum zusätzliche Motivation zieht, in der US-Metropole ganz besonders. Eine seiner besten Trainingssessions überhaupt sei das gewesen, meinte Djoković danach.