Union Berlins Fußballmärchen
Vier Jahre nach dem erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga spielen die „Eisernen“Champions League, landen Transfercoups – und bleiben nach turbulenten Zeiten bescheiden.
Die Klubhistorie des 1. FC Union Berlin gleicht einer Achterbahnfahrt. 1966 aus mehreren Vorgängervereinen hervorgegangen, pendelten die „Eisernen“lange zwischen nationalen Pokalerfolgen (Sieg in der DDR 1968, Finale nach der deutschen Wiedervereinigung 2001) und sportlicher Bedeutungslosigkeit samt Abstieg in die vierte Liga (2005) sowie chronischen Geldproblemen.
Umso erstaunlicher wirkt der kometenhafte Aufstieg Unions in den jüngsten Jahren. 2019 erfolgte der erstmalige Aufstieg in die Bundesliga, 2022 der Einzug in die Europa League und nun, nach Platz vier in der Vorsaison, steht die Champions League vor der Tür. Die aktuelle Form stimmt zuversichtlich, schließlich startete die Mannschaft von Urs Fischer mit drei Siegen und jeweils vier erzielten Toren (4:0 gegen Walldorf im Pokal, 4:1 gegen Mainz und Darmstadt in der Liga) in die neue Spielzeit.
Arbeiter, Rebellen, Fans
Was sind die Gründe für den Erfolg der Berliner? Zum einen die beispiellose Verbindung und Treue der Fans zu ihrem Verein. Union gilt seit jeher als Arbeiterverein, zudem seit DDR-Zeiten auch als Verein der Rebellen. „Die Mauer muss weg“, skandierten diese etwa bei Freistößen – ein deutliches Statement gegen das politische System und die Berliner Mauer.
Zahlreiche Phasen finanzieller Not (nach der Wende und nach dem Wegfall von staatlichen Geldern) überstand der Klub durch seine Fans. Die Blutspendeaktion „Bluten für Union“trug 2004 maßgeblich zum Erhalt der Lizenz bei und auch das heutige Stadion verdankt Union mitunter dem finanziellen und tatkräftigen Zutun seiner Anhänger. Über 2300 freiwillige Helfer packten 2009 an der Baustelle mit an. Apropos Stadion: Die „Alte Försterei“, in der eine einzigartige Atmosphäre herrscht und in der jede Menge Fußballromantik aufkommt, hat schon so manch gegnerisches Team eingeschüchtert. Von den jüngsten 32 Pflichtspielen hier hat Union Berlin nur eines verloren.
Die Heimstärke als Erfolgsgrund hängt jedoch mit der generellen Defensivstärke der Mannschaft zusammen. In der Vorsaison kassierten die Berliner nach dem FC Bayern München die zweitwenigsten Gegentore der Bundesliga – dank der Kombination aus Kampf, Leidenschaft, Laufengagement, eingespielten Abläufen und Cleverness. Die Tugenden eines Arbeitervereins spiegeln sich auch auf dem grünen Rasen wider.
Bei aller Fußballromantik und der Ablehnung von Kommerz: Ganz ohne Investor stünde auch Union Berlin nicht da, wo man heute steht. Michael Kölmel, ein Filmerechtehändler, rettete den Klub 1998 mit einem Darlehen in Höhe von 15 Millionen Mark vor dem Exodus, sicherte sich im Gegenzug dafür einen Anteil an den TV-Einnahmen und ist bis heute als Investor bei den „Eisernen“aktiv. Jedoch – und das ist der große Unterschied zu vielen anderen externen Geldgebern im Sport – hängt Kölmel auch mit dem Herzen am Verein und ist nicht auf maximalen Profit aus. Sein Vertrag wird zugunsten von Union laufend angepasst. „Mein Prozentsatz vom Fernsehgeld war früher unbefristet, jetzt ist er befristet. Er ist auch immer weiter gesunken“, sagte er zu „Bild“.
„Verluste in Kauf genommen“
Kölmel ist nicht die einzige Konstante beim Klub. Urs Fischer steht seit 2018 als Trainer an der Seitenlinie, das Amt des Präsidenten bekleidet seit 2004 Dirk Zingler. Dieser meinte zum aktuellen Höhenflug im „Kicker“: „Wir haben über zwei Jahre trotz wirtschaftlicher Einbußen investiert und Verluste bewusst in Kauf genommen, weil wir unsere Entwicklung nicht unterbrechen wollten und überzeugt waren, dass wir daraus gestärkt hervorgehen.“Der 59-Jährige stellte jedoch auch klar: „Sie werden hier niemanden finden, der sagt, dass der Klassenerhalt nicht mehr ausreichen würde.“Union bleibt auch mit der Champions League vor Augen bescheiden.
Wobei man sich in Sachen Transfers inzwischen auch in Berlin nach den Sternen streckt. Hat sich der Wechsel von Spaniens Edeltechniker Isco im Frühjahr noch im letzten Moment zerschlagen, konnte im Sommer mit Robin Gosens ein deutscher Nationalspieler von Inter Mailand geholt werden (er traf am Samstag gegen Darmstadt gleich zwei Mal). Italiens Europameister Leonardo Bonucci könnte in Kürze folgen – und zum Teamkollegen von ÖFB-Spieler Christopher Trimmel werden. Der Burgenländer, 36, ist auch in dieser Saison Kapitän. Für weitere österreichische Noten sorgen Co-Trainer Markus Hoffmann und Tormanntrainer Michael Gspurning.