Doch Schadenersatz für gesundes Kind?
Frau klagte wegen defekter Spirale den Hersteller. Nun steht Befassung des EuGH im Raum. Experte hält Chance für klein.
Wien. Der Kampf um Schadenersatz für Frauen in Österreich, die sich als Opfer schadhafter Spiralen des spanischen Herstellers Eurogine sehen, könnte in eine neue Dimension treten. Anlässlich der Klage einer Frau, die nach eigenen Angaben infolge der Anwendung eines solchen Verhütungsmittels ungewollt schwanger geworden war und ein gesundes Kind zur Welt gebracht hat, steht die Einschaltung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Raum.
Der Verbraucherschutzverein (VSV), der die Klägerin unterstützt, sieht schon eine gefestigte Judikatur des Obersten Gerichtshofs in einem besonders sensiblen Bereich des Schadenersatzes ins Wanken kommen. Doch wie realistisch ist diese Einschätzung?
Sorge um Würde des Kindes
Hart ausgedrückt geht es um Schadenersatz für eine ungewollte Schwangerschaft und die Geburt eines gesunden Kindes. Der Oberste Gerichtshof hält bisher an seiner Linie fest, dass für vermögensrechtliche Nachteile – wie etwa Ausfälle beim Arbeitseinkommen – infolge einer „wrongful conception“kein Ersatz gebührt. Er begründet das damit, „dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes mit allen damit gewöhnlich verbundenen (auch vermögensmäßigen) Belastungen keinen ersatzfähigen Schaden im Rechtssinn darstellt“, wie es schon in mehreren Entscheidungen hieß und auch in dem aktuellen Beschluss (1 Ob 28/23h) wiedergegeben wird. Dahinter steckt unausgesprochen wohl die Sorge, die Würde des Kindes könnte verletzt werden, wollte man seine schiere Existenz auch nur teilweise als Schaden ansehen.
Die Klägerin hatte sich 2017 eine Spirale einsetzen lassen. Deren korrekte Lage wurde zuletzt im
April 2019 gynäkologisch überprüft. Im Mai 2020 fiel ein Schwangerschaftstest positiv aus, tags darauf bestätigte eine Gynäkologin die Schwangerschaft im sechsten Monat. Die Spirale war für die Ärztin nicht zu sehen, weil sie entweder vom Baby verdeckt, abgegangen, gebrochen, in der Plazenta oder „irgendwo im Bauchraum“war. Im September kam ein gesundes Kind zur Welt, aber keine Spirale zum Vorschein. Am nächsten Tag wurde festgestellt, dass die Spirale nicht mehr im Körper der Frau war.
Mit diesem Medizinprodukt war es schon öfters zu gravierenden Problemen gekommen. Eurogine hatte es im Frühjahr 2018 serienweise zurückgerufen: Infolge eines Materialfehlers waren die Kunststoffarme vorzeitig brüchig geworden. Die Klägerin gab an, eine solche fehlerhafte Spirale von Eurogine verwendet zu haben; dass sie dennoch schwanger wurde, führte sie auf deren Bruch im Körper zurück. Sie machte dafür neben dem Hersteller auch die Republik (den Bund) verantwortlich, weil das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) seine Kontrollund Informationspflichten verletzt habe.
Die Frau klagte nicht nur auf Schmerzengeld: wegen massiver psychischer Beeinträchtigungen infolge des unklaren Verbleibs der Spirale und wegen des „Schocks“, sechs Monate ohne Rücksicht auf ihr ungeborenes Kind gelebt zu haben. Sondern sie klagte auch auf Schadenersatz wegen Verdienstentgangs: weil sie wegen der Schwangerschaft und der Geburt teilweise gar nicht oder nur in Teilzeit habe arbeiten können. In diesem Punkt musste sie aber trachten, über die eingangs erwähnte ablehnende Rechtsprechung des OGH hinwegzukommen.
VSV-Anwältin Margit Sagel brachte dafür das EU-Recht ins Spiel: Das Produkthaftungsgesetz, auf das sich die Klage gegen den Hersteller stützte, sei unionsrechtskonform auszulegen, also nach Maßgabe der EU-Produkthaftungsrichtlinie. Und nach der Rechtsprechung des EuGH sei der dort verwendete Begriff des durch Tod oder Körperverletzung verursachten Schadens weit auszulegen. Er erfordere eine angemessene und vollständige Entschädigung des durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten, die Mitgliedstaaten dürften die „Arten des zu ersetzenden materiellen Schadens, der durch Tod oder Körperverletzung verursacht wird“, nicht einschränken.
Zurück an Berufungsinstanz
Mit Genugtuung stellt die Klägerseite fest, dass der OGH ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH in Aussicht stelle. Immerhin trägt er dem Oberlandesgericht Wien auf, wesentliche Fragen zu klären, die angesichts der vermeintlichen Aussichtslosigkeit der Klage bisher offen blieben, aber für den EuGH geklärt gehörten: ob nämlich wirklich eine Spirale von Eurogine verwendet wurde und ob diese fehlerhaft war und zur ungewollten Schwangerschaft führte.
Für Helmut Koziol, Univ.-Prof. i. R. und einer der führenden Schadenersatz-Experten Österreichs, wäre es aber verfrüht, aus dem Beschuss des OGH schon einen Hinweis auf eine Judikaturwende abzuleiten. Im Gegenteil: Indem der Gerichtshof erneut auf seine – von Koziol in ihrer Absolutheit übrigens kritisierte – restriktive Haltung verwies, habe er nochmals klargestellt, dass nach österreichischem Recht kein Ersatz des eingeklagten Verdienstentgangs zustehe. Und zur europarechtlichen Einschätzung verliert der OGH kein Wort.
Koziol sieht aber auch bei einer weiten Auslegung der Richtlinie ein Problem: Eine normale Geburt werde nicht als „Körperverletzung“angesehen, wie sie dort erwähnt wird. Er halte die Chance auf Ersatz des Vermögensfolgeschadens deshalb auch im Lichte der Richtlinie „für nicht sehr groß“, sagt Koziol.