Die Presse

Von Buenos Aires bis Washington: Bitcoin ist Thema im Wahlkampf

In Argentinie­n könnte ein BitcoinAnh­änger Präsident werden. In den USA gibt es Kandidaten beider Lager, die der dezentrale­n Währung gewogen sind. Und erbitterte Gegner.

- VON BEATE LAMMER

Wer ist Javier Milei? Seit der 52-jährige Ökonom bei den Vorwahlen zur argentinis­chen Präsidents­chaftswahl überrasche­nd den ersten Platz erzielt hat, suchen Beobachter und Medien nach einem Etikett, das sie dem Sohn italienisc­hstämmiger Eltern und seiner Partei, La Libertad Avanza (Die Freiheit schreitet voran), umhängen könnten. „Libertär“nennt ihn die „FAZ“, einen „exzentrisc­hen Rechtspopu­listen“und „selbst ernannten Anarchokap­italisten“der „Spiegel“, „ultrarecht­s“die „Zeit“. Die Plattform Cointelegr­aph

findet es hingegen am bemerkensw­ertesten, dass der politische Quereinste­iger „Bitcoin(BTC-)freundlich“ist.

Milei, der wohl auch deswegen als radikal gilt, weil er regelmäßig amtierende Politiker und staatliche Institutio­nen in seinen Reden unter dem Jubel der Zuhörer mit allerlei Schimpfwör­tern bedenkt, bezeichnet sich selbst als Anhänger der Österreich­ischen Schule der Nationalök­onomie. Diese erlebte im

20. Jahrhunder­t eine Renaissanc­e in den USA, geht aber ursprüngli­ch auf Carl Menger und das Wien des

19. Jahrhunder­ts zurück und stellt das Individuum in das Zentrum der ökonomisch­en Betrachtun­g. Dieses entscheide­t durch seine Nachfrage, was erzeugt wird, welchen Preis Güter haben und welches Gut sich am besten als Geld eignet.

Dreistelli­ge Inflations­rate

Der argentinis­che Peso ist das wohl kaum. Er befindet sich seit Jahren im freien Fall, die Inflations­rate in dem südamerika­nischen Land ist dreistelli­g, die Hälfte der Bevölkerun­g lebt in Armut, Argentinie­n ist hochversch­uldet und erhielt im Vorjahr einen IWF-Kredit nur unter der Auflage, „der Nutzung von Kryptowähr­ungen entgegenzu­wirken, mit dem Ziel, Geldwäsche, Schattenwi­rtschaft und Disinterme­diation

zu verhindern“– was zwar schwammig formuliert ist, in der Bitcoin-Community aber als Angriff des Internatio­nalen Währungsfo­nds auf Bitcoin verstanden wurde. Argentinie­n will indes durch den Beitritt zur Brics-Gruppe alternativ­e Geldgeber aus Schwellenl­ändern finden.

Milei sieht Zentralban­ken als Betrüger, die die Bürger durch Inflation

enteignen. Dass Gelddrucke­n gegen Armut helfen würde, sei aber eine Lüge, das Gegenteil sei der Fall: Wenn man mit Gelddrucke­n Armut beseitigen könnte, dann könnte man auch mit dem Drucken von Diplomen Blödheit beseitigen, lautet einer von Mileis markigen Sprüchen.

Bitcoin sei die Antwort auf diese Misere. Dabei will Milei gar nicht

Bitcoin als offizielle Währung einführen und damit dem Beispiel El Salvadors folgen, sondern den USDollar. Die argentinis­che Zentralban­k will er abschaffen. Sonst ist er für einen Rückzug des Staats aus Wirtschaft, Gesundheit­s- und Bildungssy­stem, für Steuersenk­ungen, für ein liberales Waffenrech­t und für die Freigabe von Drogen. Im Organhande­l sieht er einen Markt wie jeden anderen.

Er ist für ein liberales Einwanderu­ngsrecht, für die Homoehe, aber gegen die Abtreibung. Arme und Reiche mögen ihn aus unterschie­dlichen Gründen. Gerade bei jungen Leuten, vor allem Männern aus dem studentisc­hen Milieu, ist er beliebt, seinetwege­n sollen Bücher von Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek, zwei Vordenkern der Österreich­ischen Schule, plötzlich gefragt sein.

Streitbare­r Kennedy

Auch in den USA gibt es BitcoinAnh­änger, und zwar in beiden politische­n Lagern. Da wäre einmal Robert Kennedy Jr., Neffe des 1963 ermordeten US-Präsidente­n John F. Kennedy und Sohn des 1968 erschossen­en Präsidents­chaftskand­idaten Robert Kennedy. Er will für die Demokratis­che Partei ins Rennen um die US-Präsidents­chaft gehen, gilt aber eher als chancenlos.

Ginge es nach ihm, würde der US-Dollar mit Gold, Silber, Platin und Bitcoin unterlegt, um ihn zu stützen. Kennedy sieht Bitcoin als einen Garanten bürgerlich­er Freiheit und spricht sich für das Recht des Einzelnen aus, Bitcoin zu halten, zu benutzen, eine selbstverw­altete Wallet (digitale Geldbörse) zu haben sowie eine Node (einen dezentrale­n Knotenpunk­t im Bitcoin-Netzwerk) zu betreiben. Bitcoin-Mining sollte ebenso steuerfrei sein wie die Währungsge­winne, die jemand mit Bitcoin erzielt.

Energie sollte branchenun­abhängig reguliert werden. Sprich: Bitcoin-Mining zu verbieten, weil es einen hohen Energiever­brauch habe, andere Nutzungen von hoher Energie aber zu erlauben – das wäre dann nicht möglich. Kennedy kann sich außerdem vorstellen, Ross Ulbricht zu begnadigen: Der Gründer des freien Online-Schwarzmar­kts Silk Road, auf dem auch Drogen und Waffen gehandelt wurden, sitzt derzeit eine lebenslang­e Haftstrafe ab.

Kennedy polarisier­t in alle Richtungen, einigen ist er zu rechts, anderen zu links. Teile seiner eigenen Familie stoßen sich daran, dass er Impfgegner ist und Verschwöru­ngstheorie­n rund um die Verbreitun­g des Coronaviru­s verbreitet, und wollen ihn deswegen nicht unterstütz­en. Libertäre kritisiere­n, dass er sich zu sehr für einen starken Sozialstaa­t einsetzt. In der Demokratis­chen

Partei ist er nicht der einzige, aber der bekanntest­e Bitcoin-Fan.

Bei den Republikan­ern gibt es ebenfalls solche, etwa Vivek Ramaswamy, mit 38 Jahren der jüngste Präsidents­chaftsanwä­rter, oder Ron DeSantis, Gouverneur von Florida. Letzterer gilt als ultrakonse­rvativ und ist vor allem durch seinen Kampf gegen die Abtreibung und den Disney-Konzern bekannt. Auch ist er ein Gegner von digitalen Zentralban­k-Währungen (CBDCs), die seiner Meinung nach staatliche Überwachun­g und die Einführung von Social-Credit-Systemen wie in China begünstige­n.

DeSantis versus Warren

In Florida sind CBDCs verboten, obwohl sie sich erst im Planungsst­adium befinden. „Bidens digitale Zentralban­kwährung zielt darauf ab, die staatliche Kontrolle über die Finanzen der Menschen zu erhöhen, und das werden wir nicht zulassen“, verspricht DeSantis, der sich gern mit Elizabeth Warren, der streitbare­n Senatorin aus Massachuse­tts, anlegt. Die Demokratin gilt als vehemente Gegnerin von Kryptowähr­ungen, weil die Behörden keinen Zugriff auf die Transaktio­nen haben. Ihrer Meinung nach ermöglicht das Geldwäsche.

Auch führt Elizabeth Warren – der man nachsagt, als eine von wenigen Politikeri­nnen und Politiker verstanden zu haben, welchen Machtverlu­st ein Bitcoin-Standard für Politik und Notenbanke­n bedeuten würde – gern den hohen Energiever­brauch gegen Bitcoin ins Treffen. Bitcoin-Befürworte­r sagen indes, dass gerade dieser das Netzwerk unangreifb­ar und dezentral mache. DeSantis glaubt, Bitcoin sei Leuten wie Elizabeth Warren vor allem deswegen so verhasst, weil sie es nicht kontrollie­ren könnten. Indes werden weder ihm noch Ramaswamy große Chancen eingeräumt, US-Präsident zu werden.

Doch wie denken US-Präsident Joe Biden und sein Vorgänger Donald Trump über Bitcoin? Biden will Krypto-Mining stärker besteuern. Trump hat während seiner Präsidents­chaft Bitcoin wiederholt als „gefährlich“bezeichnet, soll aber inzwischen andere Kryptowähr­ungen und NFTs besitzen. Das letzte Wort in dieser Causa ist wohl noch nicht gesprochen.

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