Birdy, bleib bei deinem Klavier!
Die Königin des britischen Piano-Pop schlüpft auf „Portraits“in Klangkostüme der Achtzigerjahre. Nicht einmal die können der Erhabenheit ihrer Melodien etwas anhaben.
Birdy war erst 15 Jahre alt, als sie mit einer glockenhell tönenden Version von Bon Ivers „Skinny“, erstmals zeigte, wer sie ist: eine Melancholikerin durch und durch. Die Spezialität der Sängerin aus Hampshire waren bald selbst komponierte Pianoballaden wie „Heart Of Gold“und „Wings“, die – nur scheinbar paradox – zugleich Verletzlichkeit und Stärke ausstrahlten. Jetzt, mit 27 Jahren, veröffentlicht sie ihr fünftes Album, „Portraits“, auf dem sie immer noch schwelgerisch in den großen Gefühlen unterwegs ist.
Birdy stellt Fragen, die sich Liebende wohl schon immer gestellt haben: „Who knows where you begin and where I end“, singt sie in „Tears Don’t Fall“. Und fürwahr, wenn man das Ich im Du zu suchen beginnt, was in der Liebe für gewöhnlich passiert, dann liegen solche Gedanken auf der Hand. Um so richtig dramatisch werden zu können, hat sich Birdy, die mit Klarnamen recht prätentiös Jasmine Lucilla Elizabeth Jennifer van den Bogaerde heißt und eine Großnichte des famosen britischen Schauspielers Dirk Bogarde ist, nun erstmals mit der derzeit wieder hoch im Kurs stehenden Klangästhetik der Achtzigerjahre gemein gemacht.
Expressiver Gesang als Neuland
Ihr Markenzeichen, das wohltemperierte Klavier, spielt nicht mehr die Hauptrolle in den Arrangements. Selbst bei Balladen wie „Tears Don’t Fall“fahren bauschig klingende Synthesizer hoch. Den Hall am Gesang würde es auch nicht brauchen. Wenigstens klingt der Song dann wieder über ein nachdenkliches Klaviermotiv aus. Beim schrillen Opener „Paradise Calling“aber erschrickt der Stammhörer zunächst. Der zwingende Beat, vor allem aber der expressive Gesang sind Neuland. Nach ein paar Hördurchgängen funktioniert diese grobe Inszenierung allerdings auch für konservativere Kundschaft. Denn die charismatische Stimme Birdys gibt Halt. Ein Lied, das durchaus stadiontauglich ist. Vielleicht ist das ja das geheime Ziel, das die Britin neuerdings verfolgt.
Nach diesem kleinen Schock können sich die Fans zurücklehnen. Mit dem hoch melodiösen „Raincatcher“, der nostalgischen Rückschau auf eine verflossene Liebe, ist Birdy wieder in ihr bewährtes Terrain des nur zart hoch gepitchten Kammermusikpop zurückgekehrt. Kate Bush stand hier wohl Pate. Flirrende Streicher, sensitive BackgroundVocals und eine kraftvolle Grundmelodie charmieren über die Maßen.
Selbst Verhältnissen, die von Beginn an gekippt sind, versteht Birdy etwas abzugewinnen, wie sie in „Heartbreaker“zu einem unwiderstehlichen Tanzbeat kundtut: „Feels like I’ve been reading you wrong and we’ve tilted from where we started.“Der Aufforderung zum Tanz mochte sie trotz ihres indifferenten Gefühls nicht widerstehen. Überraschend viel Emotion steckt dann in der Zeile „It was over right from the start“. Tja, die Liebe, was wäre sie ohne ihre Ambivalenzen?
Zuweilen fehlen noch die Worte
Allgemeinen Weltschmerz kennt Birdy auch, wie sie in der Ballade „I Wish I Was A Shooting Star“dramatisch kommuniziert. Gesanglich durchschreitet sie hier viele Stadien von glockenheller Intonation bis zu ächzendem Verschleifen der Silben. Zeilen wie „Is anybody home upstairs? It’s been a shitty night” sind wohl als eine Art Gebet ans Universum zu verstehen. Von hoher Intensität ist auch „Your Arms“, eine konservative Klavierballade, die dem unsteten Charakter der Liebe etwas Bleibendes abtrotzen will. „I was in your arms once, just for a moment“lautet ihre Reminiszenz, aber sie hat ewige Gültigkeit für sie. So, wie sie in „Tears Don’t Fall“die Trennung leicht nimmt, schlicht, weil diese Liebe einmal real war und somit nicht auszuradieren ist.
Birdy kreist in dieser Liedersammlung in höchster Eleganz um Emotionen, für die ihr zuweilen noch die Worte fehlen. Vielleicht sollte sie John Koenigs jüngst erschienenes Wörterbuch „Obscure Sorrows“lesen. Es öffnet viele Türen. Aber womöglich ist es doch besser, die eigenen Songs nicht vollständig zu verstehen?