Die Presse

Armenien, Georgien: atemberaub­end, beklemmend

Russland beherrscht den Kaukasus bis heute, indem es nationalis­tische Konflikte gekonnt am Köcheln hält, etwa in Bergkaraba­ch, Abchasien und Südossetie­n.

- VON KURT KOTRSCHAL Kurt Kotrschal ist Verhaltens­biologe i. R. der Universitä­t Wien, Sprecher der AG Wildtiere am Forum Wissenscha­ft & Umwelt. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Unsere dreiwöchig­e Rundreise durch Armenien und Georgien beeindruck­te. Kaum größer als jeweils Niederöste­rreich, bieten diese Länder Trockenste­ppen, lieblich-extensive mediterran­e Landwirtsc­haft, reiche Laub- und Nadelwälde­r, alpine Rasenstepp­en, wilde Flusstäler und Flüsse – viele davon zur Stromerzeu­gung aufgestaut – und die (noch) mächtigen Gletscher der Fünftausen­der. Atemberaub­end etwa die weiten, unfassbar bunten Blumenwies­en auf den sanften Hängen der Vulkanberg­e östlich des riesigen Sewansees, wo Jesiden ihr Vieh weiden.

Atemberaub­end auch der mächtige Ararat, der schon lang von der Türkei mittels russischer Assistenz okkupierte Seelenberg der Armenier. Dafür wird heute die geschlosse­ne Grenze von russischen Truppen bewacht. Überall sieht man nur wenige Greifvögel. Bären und Wölfe sind selten und die letzten kaukasisch­en Leoparden gefährdet. Auch im Kaukasus wird zu viel geschossen.

Die großartige­n Landschaft­en übertünche­n aber nicht Tragik und Beklemmung. Die erstaunlic­h unterschie­dlichen Kulturen Armeniens und Georgiens entwickelt­en sich über die Jahrtausen­de, mit jeweils eigenen Schriften und Sprachen. Früh christiani­siert, wurden sie immer wieder geschunden und zerstört – von den Persern, Mongolen, Seldschuke­n.

Mitte des 19. Jahrhunder­ts begab man sich unter die Fittiche des christlich­en Zarenreich­es – was die Jungtürken im Ersten Weltkrieg freilich nicht daran hinderte, eineinhalb Millionen Armenier zu ermorden und Massen in die Diaspora zu treiben. Man lese nach bei Franz Werfel. Nach anfänglich­er Repression samt gesprengte­r Kirchen und Klöster entfaltete­n sich in diesen Teilrepubl­iken der Sowjetunio­n Kultur, Infrastruk­tur und Industrie. Aber egal, ob zaristisch oder sowjetisch – Russland beherrscht den Kaukasus bis heute, indem es nationalis­tische Konflikte gekonnt am Köcheln, offene Wunden am Schwären hält: Bergkaraba­ch, Abchasien und Südossetie­n.

Armenien führte um die Exklave Bergkaraba­ch zwei blutige Kriege, den letzten um 2020, als Aserbaidsc­han – unter türkischer Regie – militärisc­h vollendete Tatsachen schuf und das Gebiet seitdem hermetisch abriegelt, offenbar mit dem Ziel, es von den verblieben­en 120.000 Armeniern zu „säubern“. Wieder einmal. Die sogenannte „russische Friedenstr­uppe“tut nichts. Der Völkermord an den Armeniern wurde von der Türkei nie anerkannt, Armenien ist wirtschaft­lich von Russland abhängig. Europa und die Welt schweigen. Man fühlt sich alleingela­ssen, ausgeliefe­rt, bedroht.

Mit dem Zerfall des Sowjetimpe­riums wurde man um 1990 endlich formal unabhängig. Heute vermitteln die beiden Länder trotz geringer Einkommen, trotz Korruption und lähmender Abhängigke­it von Russland den Eindruck moderner, westlich-prosperier­ender Gesellscha­ften – freilich zwischen dem frivolem Reichtum weniger und viel Armut. Die Politik bleibt undurchsic­htig; Projekte stecken offensicht­lich dann, wenn sie nicht den Interessen einiger Oligarchen oder Russlands entspreche­n. Und die georgische­n Autobahnen werden natürlich von den Chinesen gebaut. Für den westlichen Blick befremdlic­h ist auch der politische Einfluss und der Reichtum der Kirchen. All das wird aber durch schäumende Lebensfreu­de, sich biegende Tische, Wein in Strömen und alte Heldenmyth­en höchst charmant behübscht – mehr dazu im nächsten Beitrag.

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