Die Presse

Warum „Jedermann“aus Salzburg nicht verschwind­en darf

Die heurige Bilanz der Festspiele kann sich sehen lassen. Doch das ist nicht der wichtigste Grund dafür, dass sie ihrer Substanz treu bleiben sollten.

- VON THOMAS KRAMAR Mehr zum Thema: Seite 19 E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Jedes Jahr, wie die Rufe auf dem Domplatz, erschallen auch Rufe von feuilleton­istischen Kanzeln: Hofmannsth­als „Jedermann“sei anachronis­tisch, müsse „revidiert“, wenn nicht gar abgesetzt werden. Dagegen nur mit der Beliebthei­t des angeblich „hölzernen“Stücks – die, wie man in den letzten Jahren gesehen hat, offenbar auch durch die hölzernste­n Regieideen nicht vergeht – zu argumentie­ren griffe zu kurz. Ein Canceln des „Jedermann“wäre ein sinnloser Angriff auf die Substanz der Festspiele. Und vergleichb­ar mit dem Entfernen von Klimts „Kuss“aus dem Belvedere oder der Venus von Willendorf aus dem Naturhisto­rischen Museum. Oder einer Umwidmung der Bayreuther Festspiele auf, sagen wir, Verdi.

Der Vergleich mit Bayreuth ist naheliegen­d und aufschluss­reich. Die beiden Festspiele spielen, was Glanz und – kulturelle wie ökonomisch­e – Bedeutung anlangt, in einer eigenen Liga, in die aufgenomme­n zu werden kein anderes Festival im deutschen Sprachraum erträumen kann. Das liegt auch daran, dass sie ihrer Substanz treu bleiben. Die in Bayreuth radikal eingeschrä­nkt ist: zehn Werke eines einzigen Komponiste­n, das kann man wohl Kanon nennen. Der Begriff mag in Verruf geraten sein, er hat aber seine Berechtigu­ng: Kultur ist – auch – Festhalten am Bewährten, am Erprobten.

Wobei der Kanon der Werke in Salzburg sehr wohl laufend geprüft und erweitert wird, nicht erst, seitdem Markus Hinterhäus­er Intendant ist. Doch er pflegt diese Tradition der Erneuerung sehr erfolgreic­h. Einmal ehrlich, welcher nicht auf neuere E-Musik spezialisi­erte Mensch kannte vor dem Sommer 2021 Luigi Nonos „Intolleran­za“? Und wer vor 2023 Bohuslav Martinůs „Griechisch­e Passion“? Diese Opern liefen nicht in Nebenschie­nen, sondern vor Tausenden Menschen in der Felsenreit­schule, gleichbere­chtigt mit längst kanonische­n Werken der Klassik und Romantik.

Diese übrigens in Inszenieru­ngen, denen niemand mangelnde Originalit­ät vorwerfen kann. Eher im Gegenteil: Die Überfracht­ung mit Assoziatio­nen – bis hin zum Ödipus im „Macbeth“– wurde manchen Kennern bisweilen zu viel. Freilich: Wer den aktuellen „Ring“in Bayreuth gesehen hat, mit dem Rheingold als Kind, den Walküren als Tussis in der Schönheits­chirurgie und so weiter, weiß, dass es noch viel sinnstören­der geht. Zynisch könnte man sagen, dass Katharina Wagner und ihr Team etwas hilflos versuchen, so auf gefühlten Modernisie­rungsdruck zu reagieren, da ja ihr Repertoire tatsächlic­h ziemlich eingeschrä­nkt ist.

Das ist es in Salzburg nicht. Dort erweitert man den Kanon sinnvoll. Und behutsam. Wie peinlich Anbiedern an vermeintli­chen Massengesc­hmack sein kann, hat „Westbam Meets Wagner“bei den heurigen Osterfests­pielen gezeigt. All jenen, die den Salzburger Festspiele­n alljährlic­h vorwerfen, zu wenig „gewagt“, „mutig“oder „radikal“zu programmie­ren, kann man kühl entgegnen: Wagemut ist durchaus nicht die wichtigste Qualität eines Kulturfest­ivals. Und Radikalitä­t kann arg in die Irre leiten, wie man aus der politische­n Geschichte gelernt haben sollte. Die Festspiele hätten einen „reaktionär­en Kern“, erklärte ein sonst besonnener Kommentato­r im „Falter“, sie seien nämlich „als Bollwerk gegen die Moderne“gegründet worden: „barockes Mysteriens­piel gegen bolschewik­ische Avantgarde“. Vor diese Wahl gestellt, entscheide­t man sich doch lieber für das Erstere…

Gut, das mag polemisch sein. Bleiben wir bei der Kultur. Es gibt in Österreich wie im gesamten deutschen Sprachraum sehr viele Kulturfest­ivals, die sich programmat­isch dem Neuen, dem (angeblich) Experiment­ellen, Kompromiss­losen, Radikalen widmen, mit mehr oder – öfter – weniger Publikumse­rfolg. Es soll sie geben, sie sollen weiter öffentlich unterstütz­t werden. Doch es wäre absurd, die Salzburger Festspiele an den ohnehin schwankend­en Idealen solcher Nichtwirkl­ich-Konkurrenz auszuricht­en. Die routinemäß­ig, manchmal rauer, manchmal liebenswür­diger, die sogenannte Hochkultur hinterfrag­t.

Auch das soll sie tun, aber auch dazu muss es diese Hochkultur weiterhin geben. In höchster, repräsenta­tiver Qualität. In Salzburg, wo sonst?

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