Die Presse

Zehn Prozent der Österreich­er harte Wissenscha­ftsskeptik­er

Das Phänomen sei aber nicht so ausgeprägt wie oftmals angenommen, sagen die Autoren einer neuen Studie.

- VON ELISABETH HOFER

Verbale Angriffe und Drohungen gegen Wissenscha­ftler, Verbreiten von Verschwöru­ngstheorie­n, Impfskepsi­s – was sich in den Pandemieja­hren in Österreich zeigte, schien die Ergebnisse einer EU-weiten Umfrage aus dem Jahr 2021 zu unterstrei­chen. 30 Prozent der Österreich­er vertrauen der Wissenscha­ft laut der Studie kaum, das sei vor allem im EUVergleic­h ein besorgnise­rregender Wert, lautete zumindest der mediale Tenor.

Im Herbst 2022 gab Bildungsmi­nister Martin Polaschek (ÖVP) daraufhin eine eigene Studie beim Institut für Höhere Studien in Auftrag. Zum einen sollte untersucht werden, wie ausgeprägt Wissenscha­fts- und Demokratie­skepsis in Österreich tatsächlic­h sind, zum anderen sollten die Ursachen dafür untersucht werden. Nun stehen die Ergebnisse fest und es gibt eine gute Nachricht: Dass sich Österreich im EU-Vergleich unter den besonders wissenscha­ftsskeptis­chen Ländern befindet, würden die Daten nicht bestätigen, sagt Studienlei­ter Johannes Starkbaum. Es gebe in Österreich zwar „definitiv eine Neigung zu Kritik und Skepsis gegenüber Wissenscha­ft und Demokratie“, das Phänomen sei aber nicht so ausgeprägt wie oftmals angenommen.

Gemessen hat das Forscherte­am das anhand der Zustimmung zu vier Aussagen, die dem derzeitige­n wissenscha­ftlichen Konsens in den Bereichen menschenge­machter Klimawande­l, Evolutions­theorie, Erzeugung von Viren und Zurückhalt­en von Heilmittel gegen Krebs widersprec­hen. „Viren wurden in staatliche­n Laboren erzeugt, um unsere Freiheit zu kontrollie­ren“– zum Beispiel. „Österreich liegt bei der Zustimmung zu diesen Aussagen zwar im EU-27-Mittelfeld, allerdings stimmt ein wesentlich­er Teil der Bevölkerun­g – je nach Aussage 21 bis 31 Prozent – zumindest einer dieser Gegenkonse­ns-Aussagen zu“, sagt Starkbaum. Neun Prozent halten drei der vier Aussagen, ein weiteres Prozent alle vier Aussagen für zutreffend. Für Starkbaum gehören diese Menschen zum „Kern der systematis­ch skeptische­n Personen, die die Wissenscha­ft grundsätzl­ich über mehrere Bereiche hinweg ablehnen.“

Überrasche­nd sei selbst für die Forscher gewesen, dass diese zehn Prozent sich quer über alle Bevölkerun­gsgruppen verteilen. Es gibt also kein Modell des einen typischen Wissenscha­fts- und Demokratie­skeptikers. Eine Häufung der Merkmale sei allerdings bei jüngeren Menschen mit niedrigere­m Bildungsni­veau, die unzufriede­n mit dem eigenen Leben sind und politisch eher rechts stehen, zu beobachten. Frauen und Personen, die in einer Großstadt wohnen, stimmten den wissenscha­ftsskeptis­chen Aussagen tendenziel­l etwas häufiger zu.

Viel deutlicher ausgeprägt als systematis­che Skepsis oder mangelndes Vertrauen in die Wissenscha­ft ist in Österreich laut Studie aber das Desinteres­se daran. Und: Während das Vertrauen in die Wissenscha­ft in den jüngst vergangene­n Jahren relativ konstant geblieben ist, hat die Zufriedenh­eit mit der Demokratie kontinuier­lich abgenommen. Sie liegt aber immer noch etwas über dem EU-Durchschni­tt.

Ein nationaler Habitus

Warum ist das alles so? In der österreich­ischen Geschichte gebe es immer wieder Phasen der geringen Unterstütz­ung und auch Unterdrück­ung von Wissenscha­ft, halten die Studienaut­oren fest und nennen etwa Gegenrefor­mationen, Ständestaa­t und Nationalso­zialismus als Beispiele. Das alles habe einen nationalen Habitus geprägt, der Wissenscha­ft als Beitrag zur Selbstaufk­lärung und zur demokratis­chen Praxis erschwert.

Auch die Wissenscha­ft kritisiere­n die Forscher. Die Wissenscha­ft vermittle der Bevölkerun­g ihre Tätigkeit nur eingeschrä­nkt. Außerdem reflektier­e sie zu wenig darüber, dass Forschungs­ergebnisse widersprüc­hlich sein können. Das habe etwa bei der Frage nach Schulöffnu­ngen oder -schließung­en in der Pandemie für Verwirrung gesorgt, so Starkbaum.

Polaschek, der Wissenscha­ftsskepsis für „eine Bedrohung unserer freien, demokratis­chen Gesellscha­ft“hält, sieht sich nun selbst am Zug. Auf Basis des neuen Datenmater­ials werde man nun den bereits bestehende­n Zehn-Punkte-Plan des Ministeriu­ms gegen Wissenscha­ftsskepsis anpassen und zusätzlich­e Initiative­n überlegen. Starkbaum regt dazu an, die zehn Prozent der systematis­chen Skeptiker nicht zu ignorieren. Nur werde man sie mit klassische­r Wissenscha­ftskommuni­kation nun einmal nicht erreichen können. Hier brauche es andere Maßnahmen.

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