Die Presse

Neue Proteste gegen Assad in Syrien

Tausende gehen wieder gegen Assads Regime auf die Straße. Es ist Ausdruck der Verzweiflu­ng nach mehr als zehn Jahren Krieg.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Damaskus/Istanbul. Auf den Straßen Syriens erschallt wieder der Ruf „Weg mit dem Regime“: Tausende Menschen in mehreren Provinzen des Bürgerkrie­gslandes demonstrie­ren seit Tagen gegen schlechte Lebensbedi­ngungen, steigende Preise und die Regierung von Präsident Bashar al-Assad. Die Sicherheit­skräfte lassen die Demonstran­ten bisher gewähren, um nicht noch mehr Proteste zu provoziere­n, doch eine neu gegründete Protestbew­egung sagt Assad den Kampf an.

Die Proteste brachen in den Provinzen Sweida und Daraa im Süden Syriens aus; in der Hauptstadt Damaskus wurde ein Beamter festgenomm­en, der Assad auf Facebook kritisiert hatte. In Sweida, wo viele Drusen leben, errichtete­n Demonstran­ten Straßenbar­rikaden aus brennenden Reifen und schweißten die Tür am Eingang zum Gebäude der regierende­n Baath-Partei zu. Proteste gab es auch in der Hafenstadt Latakia, in der viele Mitglieder der religiösen Gruppe der Alawiten leben, zu der auch Präsident Assad gehört. In Daraa trugen Demonstran­ten Schilder mit der Aufschrift „Nehmt euren Präsidente­n und haut ab“, wie die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte mitteilte.

200.000 Tote

Daraa hat den Beinamen „Wiege der Revolution“, weil dort im März 2011 die ersten Proteste gegen Assad stattfande­n, die zum Bürgerkrie­g führten. Seitdem sind mehr als 200.000 Menschen bei Gefechten ums Leben gekommen; sechs Millionen Syrer flohen vor der Gewalt ins Ausland, fast sieben Millionen weitere wurden zu Flüchtling­en im eigenen Land. Heute leben neun von zehn Syrern in Armut. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Inflation schießt nach oben; das syrische Pfund verlor zuletzt innerhalb eines Monats fast 50 Prozent seines Wertes.

Assad macht die westlichen Sanktionen für die Krise verantwort­lich. Die Regierung verdoppel

te die Beamtengeh­älter und den Sold für die Soldaten, um der Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g entgegenzu­wirken. Wegen der hohen Inflation reichen die neuen Gehälter für viele Menschen aber immer noch nicht, um ihre Familien zu ernähren. Zudem senkte die Regierung die Subvention­en auf Benzin, was den Sprit verteuerte.

Nach zwölf Jahren Krieg kontrollie­rt Assad, der sich auf die Minderheit der Alawiten in dem mehrheitli­ch sunnitisch­en Land stützt, rund zwei Drittel des Landes. Er hat angekündig­t, die Rebellenpr­ovinz Idlib im Nordwesten Syriens und die Gebiete östliche des Euphrat, in denen die USA und die verbündete Kurdenmili­z YPG das Sagen haben, zurückzuer­obern. Doch seine Armee ist zu schwach; zudem hat Assads Partner Russland seit Beginn des Ukraine-Krieges einen Teil sei

ner Soldaten aus Syrien abgezogen.

Für Assad gehe es ums Überleben, doch „der Erhalt des Status quo bringt der Bevölkerun­g nichts“, sagt Osman Bahadir Dincer von der Bonner Denkfabrik Bicc. Assads Politik bedeute für die Syrer im Gegenteil eine „Institutio­nalisierun­g der Frustratio­n“, sagte Dincer der „Presse“. Deshalb seien Protestdem­onstration­en wie die in Sweida und Daraa unvermeidl­ich. Noch versuche das Regime, die Unruhen ohne Gewalt unter Kontrolle zu bekommen. Sollte die sunnitisch­e Bevölkerun­gsmehrheit aufbegehre­n, könne das für Assad zu einem Problem werden.

Assads Regime unterdrück­t Dissens mit Mord und Folter und hat im Laufe der Jahre mehrmals Proteste gegen schlechte Lebensbedi­ngungen niedergesc­hlagen. Dennoch meldete sich jetzt eine neu gegründete Protestbew­egung zu Wort, die nach eigenen Angaben ein Netz von Unterstütz­ern in allen Landesteil­en aufgebaut und laut Medienberi­chten viele alawitisch­e Anhänger hat.

Aufruf zu Reformen

Die „Bewegung des 10. August“strebe Assads Sturz mit friedliche­n Mitteln an, teilte die Anfang August gegründete Gruppe mit. Mitglieder rufen auf Handzettel­n, die sie in syrischen Städten verteilen, zu Reformen auf. Die Gruppe fordert Assads Regierung zur Freilassun­g aller politische­n Gefangenen, Lohnerhöhu­ngen und neuen Subvention­en auf Brot und Treibstoff auf. Für Assad wäre die „Bewegung des 10. August“gefährlich, wenn sie den Unmut in alawitisch­en Gebieten Syriens für die Regimegegn­er nutzen kann.

 ?? [APA / AFP / Handout] ?? „Weg mit dem Regime Assad“: Protestier­ende in der Stadt Sweida im Süden Syriens.
[APA / AFP / Handout] „Weg mit dem Regime Assad“: Protestier­ende in der Stadt Sweida im Süden Syriens.

Newspapers in German

Newspapers from Austria