Neue Proteste gegen Assad in Syrien
Tausende gehen wieder gegen Assads Regime auf die Straße. Es ist Ausdruck der Verzweiflung nach mehr als zehn Jahren Krieg.
Damaskus/Istanbul. Auf den Straßen Syriens erschallt wieder der Ruf „Weg mit dem Regime“: Tausende Menschen in mehreren Provinzen des Bürgerkriegslandes demonstrieren seit Tagen gegen schlechte Lebensbedingungen, steigende Preise und die Regierung von Präsident Bashar al-Assad. Die Sicherheitskräfte lassen die Demonstranten bisher gewähren, um nicht noch mehr Proteste zu provozieren, doch eine neu gegründete Protestbewegung sagt Assad den Kampf an.
Die Proteste brachen in den Provinzen Sweida und Daraa im Süden Syriens aus; in der Hauptstadt Damaskus wurde ein Beamter festgenommen, der Assad auf Facebook kritisiert hatte. In Sweida, wo viele Drusen leben, errichteten Demonstranten Straßenbarrikaden aus brennenden Reifen und schweißten die Tür am Eingang zum Gebäude der regierenden Baath-Partei zu. Proteste gab es auch in der Hafenstadt Latakia, in der viele Mitglieder der religiösen Gruppe der Alawiten leben, zu der auch Präsident Assad gehört. In Daraa trugen Demonstranten Schilder mit der Aufschrift „Nehmt euren Präsidenten und haut ab“, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte.
200.000 Tote
Daraa hat den Beinamen „Wiege der Revolution“, weil dort im März 2011 die ersten Proteste gegen Assad stattfanden, die zum Bürgerkrieg führten. Seitdem sind mehr als 200.000 Menschen bei Gefechten ums Leben gekommen; sechs Millionen Syrer flohen vor der Gewalt ins Ausland, fast sieben Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land. Heute leben neun von zehn Syrern in Armut. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Inflation schießt nach oben; das syrische Pfund verlor zuletzt innerhalb eines Monats fast 50 Prozent seines Wertes.
Assad macht die westlichen Sanktionen für die Krise verantwortlich. Die Regierung verdoppel
te die Beamtengehälter und den Sold für die Soldaten, um der Unzufriedenheit in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Wegen der hohen Inflation reichen die neuen Gehälter für viele Menschen aber immer noch nicht, um ihre Familien zu ernähren. Zudem senkte die Regierung die Subventionen auf Benzin, was den Sprit verteuerte.
Nach zwölf Jahren Krieg kontrolliert Assad, der sich auf die Minderheit der Alawiten in dem mehrheitlich sunnitischen Land stützt, rund zwei Drittel des Landes. Er hat angekündigt, die Rebellenprovinz Idlib im Nordwesten Syriens und die Gebiete östliche des Euphrat, in denen die USA und die verbündete Kurdenmiliz YPG das Sagen haben, zurückzuerobern. Doch seine Armee ist zu schwach; zudem hat Assads Partner Russland seit Beginn des Ukraine-Krieges einen Teil sei
ner Soldaten aus Syrien abgezogen.
Für Assad gehe es ums Überleben, doch „der Erhalt des Status quo bringt der Bevölkerung nichts“, sagt Osman Bahadir Dincer von der Bonner Denkfabrik Bicc. Assads Politik bedeute für die Syrer im Gegenteil eine „Institutionalisierung der Frustration“, sagte Dincer der „Presse“. Deshalb seien Protestdemonstrationen wie die in Sweida und Daraa unvermeidlich. Noch versuche das Regime, die Unruhen ohne Gewalt unter Kontrolle zu bekommen. Sollte die sunnitische Bevölkerungsmehrheit aufbegehren, könne das für Assad zu einem Problem werden.
Assads Regime unterdrückt Dissens mit Mord und Folter und hat im Laufe der Jahre mehrmals Proteste gegen schlechte Lebensbedingungen niedergeschlagen. Dennoch meldete sich jetzt eine neu gegründete Protestbewegung zu Wort, die nach eigenen Angaben ein Netz von Unterstützern in allen Landesteilen aufgebaut und laut Medienberichten viele alawitische Anhänger hat.
Aufruf zu Reformen
Die „Bewegung des 10. August“strebe Assads Sturz mit friedlichen Mitteln an, teilte die Anfang August gegründete Gruppe mit. Mitglieder rufen auf Handzetteln, die sie in syrischen Städten verteilen, zu Reformen auf. Die Gruppe fordert Assads Regierung zur Freilassung aller politischen Gefangenen, Lohnerhöhungen und neuen Subventionen auf Brot und Treibstoff auf. Für Assad wäre die „Bewegung des 10. August“gefährlich, wenn sie den Unmut in alawitischen Gebieten Syriens für die Regimegegner nutzen kann.