„Wir brauchen die Hilfe chinesischer Firmen“
E-Autos. Europa werde mit China schwer konkurrieren können, so der britische Journalist Henry Sanderson. Die Batterieproduktion müsse grüner werden.
Die Presse: In Ihrem Buch beschreiben Sie die Nachteile des Wetteiferns um eine grüne Transport-Wende, die durch die Auslagerung von Produktion entstehen. Sind Elektroautos dennoch besser als Verbrenner?
Henry Sanderson: Ja. Es ist besser ein Elektroauto zu kaufen, vor allem, wenn es mit grüner Energie lädt. Zeitgleich mit steigenden Verkäufen von E-Autos sollte eine Transformation hin zu grünem Strom stattfinden. Das Risiko ist, dass so wie in China immer mehr Autos mit Strom aus fossiler Energie geladen werden. Ein anderer Punkt: Die Produktion eines E-Autos erzeugt mehr CO2 als die eines Verbrenners. Grund sind der Abbau und die Aufarbeitung der Rohstoffe, die für Batterien gebraucht werden, so wie Lithium oder Kobalt. Die Nickelindustrie in Indonesien etwa verwendet oft Kohleenergie und kann der lokalen Umwelt schaden. Gut ist, dass immer mehr Investoren innovative Ansätze bei Abbau und Verarbeitung der Rohstoffe unterstützen. Das gab es vor fünf Jahren nicht.
Wie sieht es beim Abbau der Rohstoffe aus, die für die Batterieproduktion benötigt werden?
Auch immer mehr Batterie-Hersteller wechseln für die Produktion zu erneuerbarer Energie. Northvolt in Schweden gab bekannt, 100 Prozent grüne Energie für die Batterieproduktion aufzuwenden. In China nutzt CATL, der größte Produzent, 26 Prozent erneuerbare Energie für die Batterieproduktion. Dort gibt es noch Luft nach oben.
Allein bei Lithium ist die EU zu 97 Prozent abhängig von China. Wie entstand diese massive Abhängigkeit?
China begann Elektroautos weitaus früher, rund um die Finanzkrise, zu subventionieren. Und es beherrscht schon lange große Teile der Lieferkette. Es hatte bereits eine große metallverarbeitende Industrie aufgebaut: Metallverarbeitung ist umweltschädlich; China hatte im Grunde alle Teile der Lieferkette übernommen, die der Rest der Welt nicht wollte. Und es wurde auch sehr gut bei der Verarbeitung von Metallen wie Kupfer, weil die
Nachfrage bestand. China kletterte die Wertschöpfungskette hinauf – vom Produzenten für traditionelle Industrien zum Zulieferer für grüne Industrien. Dabei wurde es sehr erfahren und kosteneffizient. Europa und die USA werden damit schwer konkurrieren können. China betrachtet Elektroautos als etwas, mit dem es erfolgreich sein kann. Bei Verbrennermotoren könnte es nie mit Deutschland mithalten. In China gibt es eine massive Wende, bei der erstmals chinesische Marken und nicht ausländische Automarken reüssieren.
Andererseits ist China bei Rohstoffen von anderen Ländern abhängig…
China dominiert bei Rohstoffverarbeitung und Batterieproduktion, ist aber ziemlich vulnerabel wenn es um den Import von Rohstoffen für die Fertigung von Batterien und Batteriematerialien geht. Bei der Versorgung mit Lithium ist es auf Australien angewiesen, bei Kobalt von der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Auch bei Kupfer ist
es auf Importe angewiesen. China ist sich seiner Abhängigkeit aber bewusst und versucht selbst, mehr Lithium zu schürfen. Nickel ist der Grund, warum chinesische Firmen nach Indonesien gehen und dort investieren. Australien exportiert sein gesamtes Lithium nach China. Es ist also eine gegenseitige Abhängigkeit. Australien beginnt aber, eine eigene Verarbeitungsindustrie aufzubauen. Lieferketten könnten langsam von China wegbewegt und Rohstoffe näher bei den Minen verarbeitet werden.
Die EU-Kommission will die Abhängigkeit von China bei kritischen Rohstoffen verringern. Gibt es für die EU brauchbare Alternativen?
Länder wie die DRK wollen nicht völlig von China abhängig sein. Das Problem ist: Der politische Wille in den USA und Europa ist da, diesen Ländern zu helfen, die Abhängigkeit von China zu verringern. Doch tatsächliche Investitionen westlicher Unternehmen vor Ort fehlen, weil wir keine Expertise und keine Kompetenz haben, Rohstoffweiterverarbeitung in den Ländern aufzubauen. Chile vergab zuletzt den Auftrag zum Bau einer Lithium-Fabrik an BYD. Wenn es um Minen geht, wurden Firmen, die unter riskanten Bedingungen in die DRK gingen, von Aktionären bestraft.
Gemäß einer Studie fokussierten chinesische Investitionen in Europa im Jahr 2022 hauptsächlich auf Batterie-Fabriken für Elektroautos. Was war der Grund dafür?
Es gab eine Reihe chinesischer Investitionen in die Batterie-Lieferkette in Europa, die wir aus politischen Gründen in Amerika nicht sahen. Dort gab es mehr japanische und südkoreanische Investitionen. Chinesische Batteriehersteller erachten Europa als Schlüsselmarkt für die Expansion. Chinas CATL baute eine Fabrik in Deutschland und investierte in eine in Ungarn. Europäische Autobauer brauchen für einen Umstieg auf Elektroautos schnell Batterien. Sie können sich nicht komplett auf heimische Start-ups verlassen, weil diese Zeit brauchen, bis sie den gewünschten Standard produzieren können.
Macht die EU einen Fehler, wenn sie chinesische Investitionen in dem Sektor erlaubt?
Ich denke nicht. Wir müssen die globale Wirtschaft schnell entkarbonisieren. Ich sage nicht, dass wir keine Alternativen entwickeln sollten, aber in vielerlei Hinsicht brauchen wir dazu die Hilfe chinesischer Firmen. Warum können wir nicht von diesen Investitionen profitieren? Wir brauchen eine gute Strategie für chinesische Investitionen in Europa: Unter welchen Bedingungen können sie Technologie und Fähigkeiten transferieren? Das ist genau das, was China mit vielen ausländischen Firmen machte.