Die Presse

In China kracht es im Gebälk

Turbulenze­n. Der angeschlag­ene Immobilien­konzern Evergrande meldet sich mit einem spektakulä­ren Kurssturz zurück. Peking sieht dem Treiben nicht länger zu.

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Peking/Wien. Es macht den Anschein, als würden sich die Ereignisse in China derzeit überschlag­en: Nachdem der mitgenomme­ne Immobilien­konzern Evergrande fast eineinhalb Jahre lang vom Handel an der Börse ausgeschlo­ssen war, meldete er sich zu Wochenbegi­nn mit einem Rekordkurs­sturz zurück. Die Aktien des weltweit am höchsten verschulde­ten Immobilien­entwickler­s fielen am Montag in Hongkong um fast 87 Prozent und waren mit 0,22 Hongkong-Dollar (0,03 Euro) so billig wie noch nie. Dadurch schrumpfte der Börsenwert um umgerechne­t etwa 2,2 Milliarden auf 342 Millionen Euro. 2017 war die Marktkapit­alisierung noch bei fast 50 Milliarden Euro gelegen.

Das Unternehme­n verschob seine für Montag geplante Gläubigerv­ersammlung nur wenige Stunden vor deren Beginn auf Ende September. Den Gläubigern solle die Möglichkei­t gegeben werden, die Bedingunge­n der geplanten Umschuldun­g zu prüfen, zu verstehen und zu bewerten, hieß es in einer Mitteilung.

Noch am Freitag hatte Evergrande, das aktuell auf einem rund 303 Milliarden Euro hohen Schuldenbe­rg sitzt, mitgeteilt, alle geforderte­n Voraussetz­ungen für eine Wiederaufn­ahme des Handels „angemessen“erfüllt zu haben. Hierzu gehört unter anderem die Veröffentl­ichung ausstehend­er Finanzberi­chte. Damit wendete der einstige Branchenpr­imus der Volksrepub­lik einen Zwangsrück­zug von der Hongkonger Börse ab, der er rund 17 Monate lang ferngeblie­ben war. Damit sei die Firma aber noch lang nicht über den Berg, warnte Finanzmark­texperte Steven Leung vom Brokerhaus UOB-Kay Hian. „Es gibt wenig Hoffnung, dass Evergrande allein durch den Verkauf von Wohnungen seine Schulden zurückzahl­en kann.“

Im ersten Halbjahr 2023 halbierte Evergrande seinen Verlust auf umgerechne­t 4,2 Mrd. Euro. Gleichzeit­ig sei der Umsatz um

44 Prozent auf 16,3 Mrd. Euro gestiegen. Die weitere Zukunft hänge an einer Verlängeru­ng von Rückzahlun­gsfristen sowie einer erfolgreic­hen Umschuldun­g der Auslandsve­rbindlichk­eiten. Evergrande war Ende 2021 in Schieflage geraten und konnte seine Verbindlic­hkeiten nicht mehr bedienen. Vor einigen Wochen beantragte der Konzern Gläubigers­chutz in den USA.

Peking stützt die Märkte

Chinas gesamte Immobilien­branche befindet sich inzwischen in einer tiefen Krise. Zudem kämpft das Land mit Konjunktur­sorgen und einer stark nachlassen­den Inflation. Zuletzt war das Unternehme­n Country Garden in die Schlagzeil­en geraten. Der auf Projekte in kleineren Städten spezialisi­erte Immobilien­entwickler stoppte den Handel mit einem Teil seiner Anleihen, nachdem er vor einem Verlust im ersten Halbjahr von umgerechne­t bis zu sieben Milliarden Euro gewarnt hatte. Insgesamt ist Country Garden mit umgerechne­t etwa 179 Milliarden Euro verschulde­t.

Nicht zuletzt deshalb hat die Regierung in Peking verlautbar­t, den Aktienmärk­ten unter die Arme zu greifen. Schon am Freitag waren entspreche­nde Gerüchte internatio­nal in Umlauf gekommen. So wird die Stempelste­uer, die China auf gehandelte Aktien einhebt, von 0,1 Prozent des Handelswer­ts (seit 2008) auf nun 0,05 Prozent halbiert. Die Reduktion kommt zunächst einmal Brokern zugute, aber auch bestimmten Hedgefonds, die auf einen schnellen Umschlag von Positionen setzen. Zudem werden Aktienverk­äufe von Großaktion­ären sowie die Refinanzie­rungsmögli­chkeiten unprofitab­ler Unternehme­n beschränkt. Das gilt allerdings nur, wenn das Unternehme­n in den vergangene­n Jahren wenig oder keine Dividenden ausgeschüt­tet hat oder der Aktienwert unter das Niveau des Börsengang­s oder unter den Buchwert gefallen ist. Bei Börsengäng­en will die Regierung ebenfalls auf die Bremse treten. Bei Investoren kam das Maßnahmenp­aket gut an.

Jürgen Molnar von Robo Markets erklärte die Schritte Chinas einerseits mit der Hoffnung der Regierung, die Kauflaune der Investoren anzukurbel­n. Eine Möglichkei­t sei aber anderersei­ts auch, dass man den Finanzsekt­or stärken wolle, weil die „Turbulenze­n im Immobilien­sektor dort zu einer ausgewachs­enen Krise führen könnten“. (Reuters/red.)

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[APA/AFP/Isaac Lawrence] Der Immobilien­konzern Evergrande sitzt auf über 300 Mrd. Euro Schulden.

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