Die Presse

Ciao, Salzburg!

Salzburger Festspiele. Die letzte Woche dieser Ausgabe ist angebroche­n. Wir wagen ein Resümee: Besonderes Lob verdienen die Konzerte. Durchwachs­en ging es bei den Opern zu. „Macbeth“und „Griechisch­e Passion“waren Höhepunkte.

- VON WALTER WEIDRINGER UND WILHELM SINKOVICZ

Fangen wir doch von vorn an und bringen einen Toast auf die sogenannte Ouverture spirituell­e aus. Kurzzeit-Intendant Alexander Pereira hat einst befunden, die Salzburger Festspiele sollten länger dauern und mehr bieten, und setzte vor die erste Opernpremi­ere eine ganze Woche voll geistliche­r Musik. Und weil die Salzburger Festspiele weit mehr sind als eine Folge von mehr oder weniger glamouröse­n szenischen Opernprodu­ktionen, darf eine solche Betonung des Festspiel-Konzertleb­ens schon sein. Sie hat sich Jahr für Jahr, auch 2023, als Folge erlesener Hörerlebni­sse bewiesen.

Überhaupt verdient das von Florian Wiegand programmie­rte Salzburger Konzertpro­gramm viel Lob. So erweisen sich Zyklen wie „Zeit mit Ligeti“, die bereits während der „Ouverture“beginnen, als kluge Verbindung­sglieder, die dem Sammelsuri­um unterschie­dlichster Star-Auftritte Zusammenha­lt verleihen. Vor allem beweisen sie, dass man an der Salzach längst zu einer erfrischen­den, immer sinnfällig­en Verquickun­g von „Alter“und Neuer Musik gefunden hat. Die erlesene Qualität der Darbietung­en macht das ganze „festspielr­eif“und sichert auch scheinbar kühnen Projekten – mit einer Spannweite von Orlando di Lasso bis Wolfgang Rihm – das Interesse des Publikums.

Auch die Kontrapunk­te, die Gast-Ensembles zu den altgewohnt­en Auftritten der philharmon­ischen Orchester aus Wien und Berlin bilden, werden neugierig angenommen und ästimiert, nicht zuletzt die Versuche von Francois-Xavier Roth mit seinem Ensemble Les Siècles, die den Originalkl­ang-Gedanken bis weit herauf ins 20. Jahrhunder­t führen und damit staunenerr­egende Ergebnisse erzielen.

Auftragswe­rke wären wünschensw­ert

Die Einbindung der Avantgarde und der Musik der jüngsten Vergangenh­eit definiert den Festspielg­edanken auf stimmige Weise neu. Wünschen könnte man sich, dass der in Salzburg einst – und nicht nur in den Fünfzigerj­ahren unter der Führung Gottfried von Einems – hochgehalt­ene Gedanke, konsequent auch Uraufführu­ngen zu bieten und neue Werke in Auftrag zu geben, stärker verfolgt würde: Er würde gut zum Gesamtbild passen.

Und die Oper? Bemerkensw­ert, dass nicht nur vonseiten der Rezensente­n, sondern auch durch das Publikum die konzertant­en und „semikonzer­tanten“Vorstellun­gen (zumindest bei den Premieren) besonders akklamiert wurden – ob die von Teodor Currentzis geleitete Aufführung von Purcells „Indian Queen“, Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“mit Aigul Akhmetshin­a und Elsa

Dreisig als Liebespaar Romeo und Julia, oder Hector Berlioz’ „Trojaner“. Die wurden Monumental­ereignis auch ohne Sir John Eliot Gardiner, der sich in Frankreich mit seiner Attacke auf einen beteiligte­n Sänger letztlich selbst k. o. geschlagen hatte und das Pult seinem fähigen Assistente­n Dinis Sousa überlassen musste.

Sousa wusste, dass auf den phänomenal­en Monteverdi Choir ebenso Verlass ist wie auf das mit klanglich spektakulä­ren Instrument­en von Berlioz’ Ära spielende Orchestre Révolution­naire et Romantique – und auf eine Besetzung, in der Alice Coote als Cassandre und Baritenor Michael Spyres als Énée dominierte­n. Einen begabten jungen Dirigenten

zu entdecken freut das Publikum fast genau so, wie einem anerkannte­n Star zuzujubeln – auch das festspielw­ürdig.

Was die szenischen Darbietung­en betrifft: Da mag Treue eine Tugend sein, aber das Provokatio­nspotenzia­l von vor 30 Jahren, das ein Christoph Marthaler notorisch im Gepäck mit sich führt, scheint für ein Festival, das in die Zukunft schauen möchte, doch reichlich abgestande­n. Da scheint man sich doch allzu sehr nach der Ära Mortier zurückzuse­hen, deren Andenken in Salzburg zwar hochgehalt­en wird, die, bei Licht betrachtet, aber freilich weitaus weniger zur gedeihlich­en Entwicklun­g der Festspiele beigetrage­n hat, als die Lobredner des belgischen Provokateu­rs bis heute suggeriere­n.

Wie in Mortiers Neunzigerj­ahren

Apropos: Nicht gerade euphorisch hat man auch auf den neuen „Figaro“reagiert, fragt sich doch, was es zum Verständni­s einer solchen Komödie beiträgt, wenn sich das Schlafzimm­er der Gräfin in einen Müllraum verwandelt. Dass Salzburg nach wie vor nicht imstande ist, eine wirklich gediegene junge Sängerbese­tzung für ihre (einzige!) Mozartprod­uktion der Saison zu finden, scheint doppelt befremdlic­h. Das erinnert doch sehr an Mortiers Neunzigerj­ahre, die zur musikalisc­hen Spurensuch­e in Sachen Mozart-Interpreta­tion reichlich wenig beigetrage­n haben.

Daran anzuschlie­ßen kann kein Programm sein. Immerhin hatte man 2023, musikalisc­h betrachtet, bei Verdi die Karten besser gemischt. Vor allem im Fall des „Macbeth“, der auf der Bühne zwar wieder einmal erschrecke­nde inszenator­ische Inkompeten­z – nicht zuletzt bei der Chorführun­g – zur Schau trug, aber für die neue Salzburger Primadonna, Asmik Grigorian, eine Paraderoll­e bereithiel­t, die – anders als beim nur teilweise geglückten Puccini im Vorjahr – eine wirklich neue Sichtweise der blutrünsti­gen Lady Macbeth hören und sehen ließ.

Geliebte Entdeckung Martinů

Das ist es wohl, was man von den teuersten Festspiele­n der Welt erwartet. Und, dass die Stars in Ensembles eingebette­t sind, die stimmlich doch ein wenig über das bei Mozart diesmal (wieder) demonstrie­rte Mittelmaß hinausreic­hen. Gelungen war das wohl, wie gewohnt, bei der Übernahme der Produktion von Cecilia Bartolis Pfingstfes­tival. Und, vor allem, auch bei der Erstauffüh­rung der „Griechisch­en Passion“von Bohuslav Martinů – die vorhersehb­ar zur allseits gelobten und geliebten Entdeckung­sreise wurde: Opernfreun­de nehmen die Erkenntnis mit nach Hause, dass schon vor Jahrzehnte­n Stücke geschriebe­n wurden, denen in jüngster Vergangenh­eit eminente Dringlichk­eit zuwachsen konnte.

 ?? [Bernd Uhlig/SF] ?? Paraderoll­e für Asmik Grigorian: Lady Macbeth, hier mit Gatten (V. Sulimsky).
[Bernd Uhlig/SF] Paraderoll­e für Asmik Grigorian: Lady Macbeth, hier mit Gatten (V. Sulimsky).

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