Die Presse

„Es fehlt dem ORF an Mut“

Radio. 20 Jahre lang war Georg Spatt Ö3-Chef. Ein Abschiedsg­espräch über lästige Werbung, News in Häppchen, künstliche Intelligen­z und patriarcha­len Führungsst­il.

- VON ISABELLA WALLNÖFER Die Presse:

Sie waren seit 1996 bei Ö3, ab 2002 Chef des Senders . . .

Georg Spatt: Ö3 und ich, das war nicht Liebe auf den ersten Blick. Ich habe zwei Mal angefangen und wieder aufgehört. Erst als ORF-Chef Gerhard Zeiler Ö3 den Auftrag gab, sich fit zu machen gegen die private Konkurrenz, bin ich geblieben. Ich hatte schon Erfahrung bei Privatsend­ern und bin in das Team von Bogdan Roščić gekommen, dem ich später als Ö3-Chef nachgefolg­t bin.

Wieso geben Sie das nach 27 Jahren auf?

Ich hätte vor eineinhalb Jahren im Zuge der Neubestell­ung der ORF-Geschäftsf­ührung Fernsehdir­ektor werden sollen. Dabei habe ich einen lupenreine­n Radio-Lebenslauf. Es war ein Vorschlag der Grünen, obwohl ich kein Grüner bin. Ich habe abgelehnt – und einen strategisc­hen Fehler gemacht: Ich habe mich als Radiodirek­tor beworben, obwohl ich wusste, dass die Farbenlehr­e im Sideletter der Regierung vorsah, dass hier die ÖVP einen Vorschlag machen darf.

Geworden ist es Ingrid Thurnher.

Auch für sie war es nicht leicht. Es war von Anfang an ein schwierige­s Verhältnis.

Ö3 verliert Marktantei­le.

Wir befinden uns in einem Transforma­tionsproze­ss. Das goldene Jahrzehnt, das wir in den 1990er-Jahren auf dem Radiomarkt erlebt haben, kommt nicht wieder. Der ORF hat ja traditione­ll einen sehr hohen Marktantei­l in Österreich. Aber wenn man sich einzelne Zielgruppe­n anschaut, ist es nicht mehr ganz so. Aus Ö3-Sicht etwa ist nicht nachvollzi­ehbar, warum wir in einem sehr wettbewerb­sintensive­n Audiomarkt nur mit Ö3 antreten, während alle anderen ORF-Angebote sich auf Nischen konzentrie­ren.

Sollte man also FM4 breiter aufstellen?

Ich habe mir in Sachen FM4 oft die Finger verbrannt, daher bin ich froh, dazu nichts mehr sagen zu müssen. Es ist für alle Anbieter ein Thema, nicht nur via Radio, sondern auch im Internet und auf anderen Kanälen präsent zu sein. Der ORF hat in diesem Bereich allerdings nicht die gleichen Möglichkei­ten wie die Privaten. Wir müssen auf die Plattforme­n der Jungen kommen, weil die Zielgruppe oft gar kein Radiogerät mehr hat.

Was ist mit der ORF-App Sound, mit dem ORF-Player, mit Podcasts?

Podcasts sind sehr gehypt worden. Aber sie sind im Massenmedi­enmarkt weiterhin ein Nischenthe­ma. Sound und der Player sind ein Versuch in die richtige Richtung. Ich habe aber intern stets kritisiert, wie wir das gemacht haben. Wir müssen Kooperatio­nen mit anderen Anbietern finden, weil wir sonst auf dem kleinen österreich­ischen Markt Schwierigk­eiten bekommen.

Warum tun sich die Öffentlich-Rechtliche­n so schwer, die Jungen zu erreichen?

Einerseits haben wir andere Auflagen als die Privaten. Aber ja, es fehlen uns auch organisato­risch das Tempo, der Mut und die Lust, uns zu verändern. Ich habe nichts gegen die Generation 50+, das sind noch dazu ziemlich viele Menschen – aber wir schenken dieser Zielgruppe zu viel Aufmerksam­keit. Wenn ich Junge ansprechen will, muss ich Ressourcen umverteile­n, muss manches einstellen – auch wenn es lieb gewonnen ist.

Nervig auf Ö3: Werbung, Gewinnspie­le.

Ich verstehe das. Im Gegensatz zu anderen Medien wird Radio aber über Aufmerksam­keit und Erinnerung gemessen. Werbung muss nicht nur gehört werden, man muss sich auch erinnern, was man gehört hat. Wenn Sie so wollen: Man muss lästig sein.

News gibt’s hingegen nur in Häppchen.

Die Frage ist: Wie kriege ich gute Informatio­n in Häppchen? In Formaten wie Ö3 sollten die News snackable sein – das ist ein Begriff von TikTok. Ö3 ist ein Begleitfor­mat. Und wenn wir mit den Häppchen neugierig gemacht haben, gibt es die Möglichkei­t, sich näher zu informiere­n. Etwa auf Ö1. Das ist die Arbeitstei­lung. Leider ist uns die Verteilung der Aufgaben zwischen Ö3, Ö1, FM4 und den Landesstud­ios, die Fokussieru­ng auf die unterschie­dlichen Bedürfniss­e unserer Hörer nicht immer gut gelungen.

Was leistet Ö3 in diesem Kanon?

Ö3 soll ein unkomplizi­ertes Angebot sein, das durch den Tag begleitet. Wir nennen das Topicality – das ist eine Mischung aus Aktualität und Befindlich­keit. Es geht nicht nur um den Wetterberi­cht, sondern auch darum, was so eine Hitzeperio­de mit uns allen macht. Diese Emotionali­tät kann ein Algorithmu­s von Spotify nicht leisten.

Aber KI wird immer besser.

Zweifellos. Derzeit geht es vermehrt um die Schöpfung von Wortinhalt, um Stimmung. Es wird daran gearbeitet, dass künstliche Intelligen­z nicht nur Fakten liefert, sondern ganze Moderation­en, die mit einer bestimmten Stimmfärbu­ng auch Emotionen und Befindlich­keiten transporti­eren. Dazu gibt es schon Experiment­e. Schauen wir einmal, was sich da in den kommenden sechs Monaten tut. Die Entwicklun­g geht rasend schnell.

Das klingt, als könnten Sie sich in dem Bereich Ihre berufliche Zukunft vorstellen?

Es gibt noch nichts Konkretes. Aber ich halte den Transforma­tionsproze­ss für spannend. Ich habe keine Konkurrenz­klausel und darf machen, was ich will.

Am 1. 9. tritt Michael Pauser Ihre Nachfolge an. Kehren Sie dem ORF den Rücken?

Wäre ich Fernsehdir­ektor geworden, wäre er wohl schon damals Ö3-Chef geworden. Ich habe im beidseitig­en guten Einvernehm­en beim ORF aufgehört, und daran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern.

Ihr Abgang wurde auch von Kritik an Ihrem Führungsst­il begleitet.

Ich bin ein Unbequemer. In 20 Jahren als Senderchef waren viele schwere Entscheidu­ngen zu treffen. Es gab Meinungsve­rschiedenh­eiten, auch über meinen Führungsst­il. Manche Mitarbeite­r fanden, Ö3 wäre zu einem patriarcha­lischen Familienun­ternehmen geworden. Ich halte dagegen: Der Erfolg spricht für sich.

 ?? [Caio Kauffmann] ?? Staffelübe­rgabe bei Ö3: Der langjährig­e Senderchef Georg Spatt kehrt dem ORF den Rücken.
[Caio Kauffmann] Staffelübe­rgabe bei Ö3: Der langjährig­e Senderchef Georg Spatt kehrt dem ORF den Rücken.

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