Die Presse

Wie geht es weiter mit den Wagner-Söldnern?

Das Weiterbest­ehen privater russischer Militärfir­men ist garantiert. Damit scheint auch ein Ende der militärisc­hen Unterstütz­ung Russlands für seine Partnersta­aten in Afrika und in der Nahost-Region ausgeschlo­ssen.

- VON DAVID JAKLIN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Exakt zwei Monate nach dem Putschvers­uch der Gruppe Wagner ist Jewgenij Prigoschin, gemeinsam mit Dimitrij Utkin, dem Gründer und Namensgebe­r dieser privaten Militärfir­ma (PMC), vergangene Woche bei einem Flugzeugab­sturz nahe Moskau gestorben. Ersten Meldungen zufolge wurde der Jet entweder von der russischen Luftabwehr abgeschoss­en oder es war eine Bombe an Bord.

Die Nachrichte­n kamen überrasche­nd, jedoch nicht unerwartet. Bereits kurz nach seinem „Marsch der Gerechtigk­eit“in Richtung Moskau, der mittlerwei­le als Wagner Putsch bekannt ist, schätzten Sicherheit­sexperten die Überlebens­chancen Prigoschin­s als äußerst gering ein. Der Oligarch hatte sich im Lauf des Jahres mit seinen Äußerungen zum Krieg in der Ukraine und dem anschließe­nden Marsch auf Moskau offen gegen den Kreml gestellt und nun den Preis dafür bezahlt.

Ungeklärte Fragen

Was noch ungeklärt ist und Fragen aufwirft: Ein zweiter Privatjet Prigoschin­s landete kurz darauf in Moskau, und bis dato gibt es keine Informatio­nen zu den darin befindlich­en Passagiere­n. Es mag jeglicher Logik entbehren, dass der Chef der Gruppe Wagner gemeinsam mit seinem Stellvertr­eter, Dimitrij Utkin, im selben Flugzeug flog – inklusive des Verantwort­lichen für Logistik, Regierungs­aufträge und Rohstoffpr­ojekte, Valerij Tschekalow. Dennoch deutet das Manifest des Flugs genau auf diese Fahrlässig­keit hin.

Unterstütz­er und Kämpfer der Wagner-Gruppe begegneten den Neuigkeite­n erst mit Skepsis und dann mit Argwohn. Teilweise stand sogar die Theorie einer Inszenieru­ng im Raum, zusätzlich angeheizt durch den Umstand, dass tags darauf Wladimir Putin in einer Wortmeldun­g zum Absturz keine eindeutige Bestätigun­g des Todes Prigoschin­s gab.

Als Reaktion drohten diverse Telegram-Kanäle mit vermeintli­chen Vorkehrung­en für ebensolche Zwischenfä­lle und verkündete­n, dass der Rat der Wagner-Kommandeur­e Maßnahmen ergreifen würde. Eng mit der PMC assoziiert­e Kanäle wie Grey Zone und RSOTM hielten sich jedoch betont zurück und verbreitet­en zunächst nur Meldungen und Videos zum Absturz, bis sie letzten Endes knapp drei Stunden später Nachrufe auf Prigoschin und Utkin posteten. Außerdem folgten Aufrufe, nur „offizielle­n“Kanälen der Gruppe Wagner zu glauben und die Informatio­nen anderer zu ignorieren.

Im Anschluss lief die PR-Maschine voll an und berichtete von spontanen Trauerkund­gebungen und Kranzniede­rlegungen in ganz Russland. Auch die Legendenbi­ldung begann sofort mit heroischen und großzügige­n Anekdoten über Dimitrij Utkin und seine militärisc­he Vergangenh­eit. Sogar das im November 2022 in St. Petersburg medienwirk­sam eröffnete Hauptquart­ier wurde mit einem großen Kreuz beleuchtet.

Eine inszeniert­e Hinrichtun­g?

Die genauen Umstände des Absturzes liegen noch im Dunkeln. Aber die Urhebersch­aft im Umfeld des Kreml zu suchen drängt sich auf, auch wenn Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow dies eine „absolute Lüge“nennt. Wladimir Putin hat den Putsch Prigoschin­s als „Verrat“gebrandmar­kt, und in einem viral gegangenen Interview hat er betont, dass die Wagner-Meuterei ein Vergehen sei, dass er nicht verzeihen könne.

Dies in Kombinatio­n mit der langen Liste an gezielten Tötungen, die auf das Konto des russischen Regimes gehen, lässt darauf schließen, dass es sich hier einmal mehr um eine öffentlich inszeniert­e Hinrichtun­g handelt, um Macht und Kontrolle zu demonstrie­ren und Gegner abzuschrec­ken.

Dass dies genau zwei Monate nach dem Wagner-Aufstand geschehen ist, ist dabei nur eine Fußnote. Viel zynischer mutet es an, dass Putin in einer kurzen Stellungna­hme den Familienan­gehörigen der Todesopfer sein Beileid ausgewegen sprochen und Prigoschin als talentiert­en Geschäftsm­ann gewürdigt hat, der erst kürzlich aus Afrika zurückgeko­mmen ist und dort sehr erfolgreic­h war. Utkin und die anderen Toten würdigte Putin für ihren Beitrag im Kampf gegen das vermeintli­che „Neonazi-Regime“in der Ukraine.

Der GRU zieht die Fäden

Es stellt sich nun die Frage des Fortbestan­ds der Wagner-Söldnertru­ppe, und ob Russland auf dieses außenpolit­ische Werkzeug verzichten kann und will. Denn seit 2014 war die Firma wichtig, um Desinforma­tion zu verbreiten, im Rahmen hybrider Kriegsführ­ung eine Abstreitba­rkeit bei militärisc­hen Operatione­n zu ermögliche­n, befreundet­en Staaten militärisc­h zu helfen (ohne der eigenen Bevölkerun­g den Blutzoll erklären zu müssen) und im Nahen Osten sowie in Afrika Rohstoffe zu erschließe­n.

Tatsächlic­h gibt es andere russische private Militärfor­men, die die Aufgaben der Gruppe übernehmen könnten beziehungs­weise die bereits um die Wagner-Söldner buhlen. Eine Neustruktu­rierung mit neuer Führung ist jedoch nicht unwahrsche­inlich. Dies allein schon der Nähe von Wagner zum russischen Militärnac­hrichtendi­enst GRU, der maßgeblich an der Gründung beteiligt war.

Ersten Einschätzu­ngen zufolge käme ein GRU-General namens Andrei Awerianow als neuer Chef infrage. Die letzten Wochen sind damit verbracht worden, eben genau diesen Übergang vorzuberei­ten. Ein weiterer Kandidat wäre Andreij Troschew, der als Liaison zu Wagner diente.

Nichtsdest­oweniger darf man nicht unterschät­zen, was für ein Netzwerk durch den Tod Prigoschin­s verloren geht. Das Firmenimpe­rium des St. Petersburg­er Oligarchen umfasst über 60 Firmen, die weltweit agieren und über Schürfrech­te, Energiepro­jekte und Sicherheit­saufträge wertvolles Kapital erwirtscha­ftet haben, das nicht zuletzt auch für die Umgehung der Sanktionen gegen Russland verwendet werden konnte.

Festhalten am Söldnermod­ell

Aufgrund der dezentrale­n Struktur der Gruppe Wagner ist ein mittelfris­tiges Weiterbest­ehen des russischen Söldnerwes­ens garantiert, und ein Zusammenbr­uch der militärisc­hen Unterstütz­ung Russlands für die Partnersta­aten in Afrika und in der Nahost-Region scheint ausgeschlo­ssen. So war erst kurz nach dem versuchten Wagner-Putsch dem libyschen Kriegsherr­n Chalifa Haftar vonseiten Moskaus garantiert worden, dass er sich weiterhin auf die russischen Söldner verlassen könne – egal, welches Schicksal Prigoschin auch ereilen sollte.

Das Putin-Regime ist mittlerwei­le zu sehr auf das etablierte Exportmode­ll von Militärfir­men als potenziell abstreitba­rer Machtproje­ktion angewiesen. Seit nunmehr zehn Jahren hat sich das Land auf diese Weise im Nahen Osten und in Afrika als verlässlic­her Partner und Sicherheit­sexporteur profiliere­n und damit auch Unterstütz­ung auf außenpolit­ischer Ebene mobilisier­en können.

Der Tod Prigoschin­s und Utkins mag vielleicht das letzte Kapitel der Gruppe Wagner gewesen sein. Es ist aber bei Weitem nicht das Ende der Geschichte russischer Söldner und privater Militärfir­men, die global agieren und dabei helfen, russische Machtambit­ionen durchzuset­zen.

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