Wie geht es weiter mit den Wagner-Söldnern?
Das Weiterbestehen privater russischer Militärfirmen ist garantiert. Damit scheint auch ein Ende der militärischen Unterstützung Russlands für seine Partnerstaaten in Afrika und in der Nahost-Region ausgeschlossen.
Exakt zwei Monate nach dem Putschversuch der Gruppe Wagner ist Jewgenij Prigoschin, gemeinsam mit Dimitrij Utkin, dem Gründer und Namensgeber dieser privaten Militärfirma (PMC), vergangene Woche bei einem Flugzeugabsturz nahe Moskau gestorben. Ersten Meldungen zufolge wurde der Jet entweder von der russischen Luftabwehr abgeschossen oder es war eine Bombe an Bord.
Die Nachrichten kamen überraschend, jedoch nicht unerwartet. Bereits kurz nach seinem „Marsch der Gerechtigkeit“in Richtung Moskau, der mittlerweile als Wagner Putsch bekannt ist, schätzten Sicherheitsexperten die Überlebenschancen Prigoschins als äußerst gering ein. Der Oligarch hatte sich im Lauf des Jahres mit seinen Äußerungen zum Krieg in der Ukraine und dem anschließenden Marsch auf Moskau offen gegen den Kreml gestellt und nun den Preis dafür bezahlt.
Ungeklärte Fragen
Was noch ungeklärt ist und Fragen aufwirft: Ein zweiter Privatjet Prigoschins landete kurz darauf in Moskau, und bis dato gibt es keine Informationen zu den darin befindlichen Passagieren. Es mag jeglicher Logik entbehren, dass der Chef der Gruppe Wagner gemeinsam mit seinem Stellvertreter, Dimitrij Utkin, im selben Flugzeug flog – inklusive des Verantwortlichen für Logistik, Regierungsaufträge und Rohstoffprojekte, Valerij Tschekalow. Dennoch deutet das Manifest des Flugs genau auf diese Fahrlässigkeit hin.
Unterstützer und Kämpfer der Wagner-Gruppe begegneten den Neuigkeiten erst mit Skepsis und dann mit Argwohn. Teilweise stand sogar die Theorie einer Inszenierung im Raum, zusätzlich angeheizt durch den Umstand, dass tags darauf Wladimir Putin in einer Wortmeldung zum Absturz keine eindeutige Bestätigung des Todes Prigoschins gab.
Als Reaktion drohten diverse Telegram-Kanäle mit vermeintlichen Vorkehrungen für ebensolche Zwischenfälle und verkündeten, dass der Rat der Wagner-Kommandeure Maßnahmen ergreifen würde. Eng mit der PMC assoziierte Kanäle wie Grey Zone und RSOTM hielten sich jedoch betont zurück und verbreiteten zunächst nur Meldungen und Videos zum Absturz, bis sie letzten Endes knapp drei Stunden später Nachrufe auf Prigoschin und Utkin posteten. Außerdem folgten Aufrufe, nur „offiziellen“Kanälen der Gruppe Wagner zu glauben und die Informationen anderer zu ignorieren.
Im Anschluss lief die PR-Maschine voll an und berichtete von spontanen Trauerkundgebungen und Kranzniederlegungen in ganz Russland. Auch die Legendenbildung begann sofort mit heroischen und großzügigen Anekdoten über Dimitrij Utkin und seine militärische Vergangenheit. Sogar das im November 2022 in St. Petersburg medienwirksam eröffnete Hauptquartier wurde mit einem großen Kreuz beleuchtet.
Eine inszenierte Hinrichtung?
Die genauen Umstände des Absturzes liegen noch im Dunkeln. Aber die Urheberschaft im Umfeld des Kreml zu suchen drängt sich auf, auch wenn Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow dies eine „absolute Lüge“nennt. Wladimir Putin hat den Putsch Prigoschins als „Verrat“gebrandmarkt, und in einem viral gegangenen Interview hat er betont, dass die Wagner-Meuterei ein Vergehen sei, dass er nicht verzeihen könne.
Dies in Kombination mit der langen Liste an gezielten Tötungen, die auf das Konto des russischen Regimes gehen, lässt darauf schließen, dass es sich hier einmal mehr um eine öffentlich inszenierte Hinrichtung handelt, um Macht und Kontrolle zu demonstrieren und Gegner abzuschrecken.
Dass dies genau zwei Monate nach dem Wagner-Aufstand geschehen ist, ist dabei nur eine Fußnote. Viel zynischer mutet es an, dass Putin in einer kurzen Stellungnahme den Familienangehörigen der Todesopfer sein Beileid ausgewegen sprochen und Prigoschin als talentierten Geschäftsmann gewürdigt hat, der erst kürzlich aus Afrika zurückgekommen ist und dort sehr erfolgreich war. Utkin und die anderen Toten würdigte Putin für ihren Beitrag im Kampf gegen das vermeintliche „Neonazi-Regime“in der Ukraine.
Der GRU zieht die Fäden
Es stellt sich nun die Frage des Fortbestands der Wagner-Söldnertruppe, und ob Russland auf dieses außenpolitische Werkzeug verzichten kann und will. Denn seit 2014 war die Firma wichtig, um Desinformation zu verbreiten, im Rahmen hybrider Kriegsführung eine Abstreitbarkeit bei militärischen Operationen zu ermöglichen, befreundeten Staaten militärisch zu helfen (ohne der eigenen Bevölkerung den Blutzoll erklären zu müssen) und im Nahen Osten sowie in Afrika Rohstoffe zu erschließen.
Tatsächlich gibt es andere russische private Militärformen, die die Aufgaben der Gruppe übernehmen könnten beziehungsweise die bereits um die Wagner-Söldner buhlen. Eine Neustrukturierung mit neuer Führung ist jedoch nicht unwahrscheinlich. Dies allein schon der Nähe von Wagner zum russischen Militärnachrichtendienst GRU, der maßgeblich an der Gründung beteiligt war.
Ersten Einschätzungen zufolge käme ein GRU-General namens Andrei Awerianow als neuer Chef infrage. Die letzten Wochen sind damit verbracht worden, eben genau diesen Übergang vorzubereiten. Ein weiterer Kandidat wäre Andreij Troschew, der als Liaison zu Wagner diente.
Nichtsdestoweniger darf man nicht unterschätzen, was für ein Netzwerk durch den Tod Prigoschins verloren geht. Das Firmenimperium des St. Petersburger Oligarchen umfasst über 60 Firmen, die weltweit agieren und über Schürfrechte, Energieprojekte und Sicherheitsaufträge wertvolles Kapital erwirtschaftet haben, das nicht zuletzt auch für die Umgehung der Sanktionen gegen Russland verwendet werden konnte.
Festhalten am Söldnermodell
Aufgrund der dezentralen Struktur der Gruppe Wagner ist ein mittelfristiges Weiterbestehen des russischen Söldnerwesens garantiert, und ein Zusammenbruch der militärischen Unterstützung Russlands für die Partnerstaaten in Afrika und in der Nahost-Region scheint ausgeschlossen. So war erst kurz nach dem versuchten Wagner-Putsch dem libyschen Kriegsherrn Chalifa Haftar vonseiten Moskaus garantiert worden, dass er sich weiterhin auf die russischen Söldner verlassen könne – egal, welches Schicksal Prigoschin auch ereilen sollte.
Das Putin-Regime ist mittlerweile zu sehr auf das etablierte Exportmodell von Militärfirmen als potenziell abstreitbarer Machtprojektion angewiesen. Seit nunmehr zehn Jahren hat sich das Land auf diese Weise im Nahen Osten und in Afrika als verlässlicher Partner und Sicherheitsexporteur profilieren und damit auch Unterstützung auf außenpolitischer Ebene mobilisieren können.
Der Tod Prigoschins und Utkins mag vielleicht das letzte Kapitel der Gruppe Wagner gewesen sein. Es ist aber bei Weitem nicht das Ende der Geschichte russischer Söldner und privater Militärfirmen, die global agieren und dabei helfen, russische Machtambitionen durchzusetzen.