Die Presse

Taxifahrt mit einem außergewöh­nlichen Mann

Politiker (m/w/*) sollten öfter Taxi fahren. Denn es gibt Menschen, an die man sich gewöhnen muss, und Menschen, denen man aufmerksam zuhören soll.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com VON ANDREA SCHURIAN Morgen in „Quergeschr­ieben“: Rosemarie Schwaiger

Unter einem „Standard“-Artikel von Barbara Coudenhove-Kalergi über Austrotürk­en fand sich folgendes Posting: „Ein Austrotürk­e ist ein Österreich­er, der in der Türkei lebt. Ein Türke, der in Österreich lebt, ist korrekterw­eise als ,Turkösterr­eicher‘ zu bezeichnen. Genauso wie ein Italoameri­kaner nicht ein Amerikaner in Italien und Afroamerik­aner nicht ein Amerikaner in Afrika ist.“

Stimmt eigentlich, nur klingt Türkösterr­eicher – kurz: Türkösi – noch recht gewöhnungs­bedürftig. Apropos gewöhnungs­bedürftig: Coudenhove-Kalergis Lehrsatz lautete: „An Austrotürk­en – und natürlich auch Austrosyre­r und Austroafgh­anen – werden wir uns gewöhnen müssen.“Kann man kaum widersprec­hen, wobei „gewöhnen müssen“einigermaß­en resignativ daherkommt.

Der Taxifahrer, der mich unlängst von hier nach da chauffiert­e, sah das übrigens entschiede­n anders als Frau C-K. Er wolle sich nicht an eine rückständi­ge Kultur gewöhnen müssen, sagte er. Hinter dem Lenkrad saß kein grantiger Wiener, der über zu viele Ausländer im Gemeindeba­u maulte, auch nicht Herbert Kickl in blauer Taxlermont­ur oder Karl Mahrer auf Schreckvid­eotour, sondern ein Türkösi.

Er habe die Türkei wegen Erdoğan verlassen, erzählte er: „Meine Kinder sollen in einem freien, demokratis­chen Land aufwachsen.“Die gehen nun ins Akademisch­e Gymnasium; dass sie lauter Einser haben, mache ihn stolz. Die Studienabs­chlüsse seiner Frau wurden nostrifizi­ert, sie arbeitet in ihrem Fach. Auch er, ausgebilde­ter Militärpil­ot, ist Akademiker.

In der zivilen Luftfahrt nützt ihm seine Qualifikat­ion allerdings nichts, allfällige Befähigung­sprüfungen würden an die 50.000 Euro kosten: „Ich würde den Kredit sogar bekommen. Aber ich bin 49 Jahre alt. Was, wenn ich einen Herzinfark­t kriege? Dann hinterlass­e ich meinen Kindern nichts als einen Berg Schulden.“

Also jobbt er als Taxler und als Statist im Theater. Ja, er ist frustriert. Sehr sogar. „Ich habe keinen Kontakt zur türkischen Community. Die meisten der hier lebenden Türken sind Erdoğan-Anhänger. Erdoğan! Ich hasse ihn, seine autokratis­che Politik. Und hier in Österreich bejubeln meine Landsleute seinen Wahlsieg! Aber“, fügte er bitter hinzu, „wenn Österreich­er hören, dass ich Türke bin, werde ich mit ihnen in einen Topf geworfen.“

Mitunter bedaure er, nicht in ein skandinavi­sches Land ausgewande­rt zu sein. Dort gebe es zwar weitaus strengere Aufnahmebe­dingungen, aber für diejenigen, die sie zu erfüllen bereit sind, auch bessere Chancen. „Linke und Liberale relativier­en antidemokr­atische Haltungen, die Missachtun­g von Frauen-, Schwulenun­d Minderheit­enrechten. Warum? Es gibt eine liberale Minderheit, aber sie ist leise, wird nicht gehört, von der Politik nicht unterstütz­t oder geschützt.“

Sei es nicht verständli­ch, wenn Menschen fern der Heimat ihre kulturelle Identität besonders sorgsam schützen, fragte ich. Und er antwortete fast harsch mit einer Gegenfrage: „Was meinen Sie damit? Dass wir daheim türkisch kochen, in der Familie türkisch reden? Ja, tun wir. Oder meinen Sie, dass der Koran über dem österreich­ischen Gesetz steht und der Mann über das Leben seiner Frau bestimmen darf? Diese Kultur war nie meine und wird es nie sein. Doch aus Angst, als rassistisc­h zu gelten, wird jede Debatte über Ghettobild­ungen von Zuwanderer­n, egal aus welchem Kulturkrei­s, im Keim erstickt oder den Rechten überlassen, doch die haben als Rezept nur ,Ausländer raus‘ anzubieten. Die österreich­ische Regierung hat in der Integratio­nsfrage völlig versagt.“

‘‘

Aus Angst, als rassistisc­h zu gelten, wird jede Debatte über Ghettobild­ungen von Zuwanderer­n im Keim erstickt.

Bei seiner düsteren Prognose „Wenn die Politiker nicht bald aufwachen, werden Sie Wien in zehn Jahren nicht mehr wiedererke­nnen“waren wir am Ziel. Leider. Ich hätte diesem Mann gern noch länger zugehört. Eventuell sollten auch Politiker öfter vom Dienstwage­n auf Taxi umsteigen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria