Taxifahrt mit einem außergewöhnlichen Mann
Politiker (m/w/*) sollten öfter Taxi fahren. Denn es gibt Menschen, an die man sich gewöhnen muss, und Menschen, denen man aufmerksam zuhören soll.
Unter einem „Standard“-Artikel von Barbara Coudenhove-Kalergi über Austrotürken fand sich folgendes Posting: „Ein Austrotürke ist ein Österreicher, der in der Türkei lebt. Ein Türke, der in Österreich lebt, ist korrekterweise als ,Turkösterreicher‘ zu bezeichnen. Genauso wie ein Italoamerikaner nicht ein Amerikaner in Italien und Afroamerikaner nicht ein Amerikaner in Afrika ist.“
Stimmt eigentlich, nur klingt Türkösterreicher – kurz: Türkösi – noch recht gewöhnungsbedürftig. Apropos gewöhnungsbedürftig: Coudenhove-Kalergis Lehrsatz lautete: „An Austrotürken – und natürlich auch Austrosyrer und Austroafghanen – werden wir uns gewöhnen müssen.“Kann man kaum widersprechen, wobei „gewöhnen müssen“einigermaßen resignativ daherkommt.
Der Taxifahrer, der mich unlängst von hier nach da chauffierte, sah das übrigens entschieden anders als Frau C-K. Er wolle sich nicht an eine rückständige Kultur gewöhnen müssen, sagte er. Hinter dem Lenkrad saß kein grantiger Wiener, der über zu viele Ausländer im Gemeindebau maulte, auch nicht Herbert Kickl in blauer Taxlermontur oder Karl Mahrer auf Schreckvideotour, sondern ein Türkösi.
Er habe die Türkei wegen Erdoğan verlassen, erzählte er: „Meine Kinder sollen in einem freien, demokratischen Land aufwachsen.“Die gehen nun ins Akademische Gymnasium; dass sie lauter Einser haben, mache ihn stolz. Die Studienabschlüsse seiner Frau wurden nostrifiziert, sie arbeitet in ihrem Fach. Auch er, ausgebildeter Militärpilot, ist Akademiker.
In der zivilen Luftfahrt nützt ihm seine Qualifikation allerdings nichts, allfällige Befähigungsprüfungen würden an die 50.000 Euro kosten: „Ich würde den Kredit sogar bekommen. Aber ich bin 49 Jahre alt. Was, wenn ich einen Herzinfarkt kriege? Dann hinterlasse ich meinen Kindern nichts als einen Berg Schulden.“
Also jobbt er als Taxler und als Statist im Theater. Ja, er ist frustriert. Sehr sogar. „Ich habe keinen Kontakt zur türkischen Community. Die meisten der hier lebenden Türken sind Erdoğan-Anhänger. Erdoğan! Ich hasse ihn, seine autokratische Politik. Und hier in Österreich bejubeln meine Landsleute seinen Wahlsieg! Aber“, fügte er bitter hinzu, „wenn Österreicher hören, dass ich Türke bin, werde ich mit ihnen in einen Topf geworfen.“
Mitunter bedaure er, nicht in ein skandinavisches Land ausgewandert zu sein. Dort gebe es zwar weitaus strengere Aufnahmebedingungen, aber für diejenigen, die sie zu erfüllen bereit sind, auch bessere Chancen. „Linke und Liberale relativieren antidemokratische Haltungen, die Missachtung von Frauen-, Schwulenund Minderheitenrechten. Warum? Es gibt eine liberale Minderheit, aber sie ist leise, wird nicht gehört, von der Politik nicht unterstützt oder geschützt.“
Sei es nicht verständlich, wenn Menschen fern der Heimat ihre kulturelle Identität besonders sorgsam schützen, fragte ich. Und er antwortete fast harsch mit einer Gegenfrage: „Was meinen Sie damit? Dass wir daheim türkisch kochen, in der Familie türkisch reden? Ja, tun wir. Oder meinen Sie, dass der Koran über dem österreichischen Gesetz steht und der Mann über das Leben seiner Frau bestimmen darf? Diese Kultur war nie meine und wird es nie sein. Doch aus Angst, als rassistisch zu gelten, wird jede Debatte über Ghettobildungen von Zuwanderern, egal aus welchem Kulturkreis, im Keim erstickt oder den Rechten überlassen, doch die haben als Rezept nur ,Ausländer raus‘ anzubieten. Die österreichische Regierung hat in der Integrationsfrage völlig versagt.“
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Aus Angst, als rassistisch zu gelten, wird jede Debatte über Ghettobildungen von Zuwanderern im Keim erstickt.
Bei seiner düsteren Prognose „Wenn die Politiker nicht bald aufwachen, werden Sie Wien in zehn Jahren nicht mehr wiedererkennen“waren wir am Ziel. Leider. Ich hätte diesem Mann gern noch länger zugehört. Eventuell sollten auch Politiker öfter vom Dienstwagen auf Taxi umsteigen.