25 Hausaufgaben von Markus Söder
Der bayerische Ministerpräsident belässt seinen Vize, Hubert Aiwanger, im Amt. Dieser soll offene Fragen in der Affäre um ein altes Flugblatt nun schriftlich beantworten.
Markus Söder besprach die Sache erst im Bierzelt. Am Montagabend stand der bayerische Ministerpräsident in Landshut, vor ihm gefüllte Bierbankreihen. Er begann mit einer Hitler-Parodie. „Ich werde mal in München auf den Tisch hauen!“, rief der 56Jährige mit schnarrender Stimme, dazu zackige Bewegungen. Der Mann, den er verspottete: Hubert Aiwanger, seinen Vize in Bayern, den Chef der Freien Wähler.
Am Dienstagvormittag saßen sich die beiden Regierungspartner dann in der Staatskanzlei in München gegenüber. Söder hatte einen Sonderkoalitionsausschuss einberufen lassen, denn Aiwanger sieht sich mit einer Affäre rund um ein Flugblatt konfrontiert. Darin wird ein „Bundeswettbewerb“unter dem Titel „Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“ausgerufen. Dazu werden Preise aufgezählt, mit denen sich der Verfasser über die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten lustig macht.
Die „Süddeutsche Zeitung“(SZ) hatte in den Raum gestellt, Aiwanger habe das Flugblatt als 17Jähriger geschrieben und in seiner Schule ausgelegt. Dieser bestreitet das. Am Wochenende nahm sein elf Monate älterer Bruder Helmut die Schuld auf sich.
Damit ist der Plot des bayrischen Politkrimis skizziert, zu dem seit dem Wochenende mehr und mehr Details hinzugefügt werden. Da ist etwa die Rolle der „SZ“, die für ihre Berichterstattung kritisiert wird. Zu aktivistisch, zu wertend sei die Geschichte erzählt worden, befanden einige deutsche Journalistenkollegen.
Lehrer brachte Fall ans Licht
Eine weitere Rolle spielt der Lehrer, der den Fall aufgebracht und sich an die „SZ“gewandt hat. Ursprünglich habe er das Flugblatt als „Jugendsünde“gesehen. Als er aber Hubert Aiwanger bei einer Demo gegen das deutsche Heizungsgesetz zuhörte, wie dieser polterte, sich die Demokratie zurückholen zu wollen, habe er eine Linie zu den Vorkommnissen in der Schule Ende der Achtzigerjahre gezogen. Und ein weiteres brisantes Detail tauchte auf: Die „SZ“schreibt nun, eine Mitarbeiterin Aiwangers habe den
Lehrer bereits im Jahr 2008 besucht und ihn gefragt, ob von ihm eine Gefahr drohe. Der Lehrer – er möchte seinen Namen nicht öffentlich nennen – sagt, er habe den Besuch auf das Flugblatt bezogen.
Das würde bedeuten, Aiwanger war bewusst, wie problematisch das Pamphlet aus seiner Schulzeit ist, als er vor 15 Jahren erstmals in den bayerischen Landtag eingezogen ist. Für Söder ist die Affäre ein Dilemma: In einem Monat wird in Bayern gewählt, laut Umfragen liegt seine CSU bei rund 40 Prozent, er braucht derzeit einen Koalitionspartner. SPD und FDP sind in Bayern einstellig, die AfD schließt er aus, gegen die Grünen macht er Stimmung. Steht Söder zu Aiwanger, belastet er sich aber für ein Projekt, von dem im Berliner Regierungsviertel kaum einer glaubt, dass er es zu den Akten gelegt habe: die deutsche Kanzlerkandidatur.
„Schaden für Bayern groß“
Söder entschied sich am Dienstag für einen dritten Weg: Er spielt erst einmal auf Zeit. In der Münchner Staatskanzlei habe ihm Aiwanger zugesichert, 25 offene Fragen zu dem Flugblatt zu beantworten, und zwar schriftlich. Erst dann wolle Söder entscheiden, wie es weitergeht. „Die Recherchen der ,SZ‘ allein reichen nicht aus“, sagte er.
Auch Aiwanger habe bei ihrem Gespräch am Dienstagvormittag nicht alles zufriedenstellend beantworten können. In dieser Lage wäre eine „Entlassung ein Übermaß“, die Sache sei schließlich über 30 Jahre her. Er wolle weiter mit Aiwanger und den Freien Wählern regieren, einen Freispruch oder Freibrief sieht er darin nicht. „Schon jetzt ist der Schaden für den Ruf von Bayern groß“, sagte Söder. Wann Aiwanger die beantworteten Fragen vorlegen soll, ließ er offen. Fragen an ihn ließ Söder bei der Pressekonferenz am Dienstag nicht zu.
In der Flugblatt-Affäre ist noch vieles unklar. Auch Helmut Aiwanger meldete sich erneut zu Wort: Der Text sei als Satire gedacht gewesen, er sei wütend über „linksradikale Lehrer“an seiner Schule gewesen. In einem bayerischen 6000Einwohner-Ort Ende der Achtzigerjahre, wohlgemerkt.