Die Presse

25 Hausaufgab­en von Markus Söder

Der bayerische Ministerpr­äsident belässt seinen Vize, Hubert Aiwanger, im Amt. Dieser soll offene Fragen in der Affäre um ein altes Flugblatt nun schriftlic­h beantworte­n.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Markus Söder besprach die Sache erst im Bierzelt. Am Montagaben­d stand der bayerische Ministerpr­äsident in Landshut, vor ihm gefüllte Bierbankre­ihen. Er begann mit einer Hitler-Parodie. „Ich werde mal in München auf den Tisch hauen!“, rief der 56Jährige mit schnarrend­er Stimme, dazu zackige Bewegungen. Der Mann, den er verspottet­e: Hubert Aiwanger, seinen Vize in Bayern, den Chef der Freien Wähler.

Am Dienstagvo­rmittag saßen sich die beiden Regierungs­partner dann in der Staatskanz­lei in München gegenüber. Söder hatte einen Sonderkoal­itionsauss­chuss einberufen lassen, denn Aiwanger sieht sich mit einer Affäre rund um ein Flugblatt konfrontie­rt. Darin wird ein „Bundeswett­bewerb“unter dem Titel „Wer ist der größte Vaterlands­verräter?“ausgerufen. Dazu werden Preise aufgezählt, mit denen sich der Verfasser über die Judenverni­chtung durch die Nationalso­zialisten lustig macht.

Die „Süddeutsch­e Zeitung“(SZ) hatte in den Raum gestellt, Aiwanger habe das Flugblatt als 17Jähriger geschriebe­n und in seiner Schule ausgelegt. Dieser bestreitet das. Am Wochenende nahm sein elf Monate älterer Bruder Helmut die Schuld auf sich.

Damit ist der Plot des bayrischen Politkrimi­s skizziert, zu dem seit dem Wochenende mehr und mehr Details hinzugefüg­t werden. Da ist etwa die Rolle der „SZ“, die für ihre Berichters­tattung kritisiert wird. Zu aktivistis­ch, zu wertend sei die Geschichte erzählt worden, befanden einige deutsche Journalist­enkollegen.

Lehrer brachte Fall ans Licht

Eine weitere Rolle spielt der Lehrer, der den Fall aufgebrach­t und sich an die „SZ“gewandt hat. Ursprüngli­ch habe er das Flugblatt als „Jugendsünd­e“gesehen. Als er aber Hubert Aiwanger bei einer Demo gegen das deutsche Heizungsge­setz zuhörte, wie dieser polterte, sich die Demokratie zurückhole­n zu wollen, habe er eine Linie zu den Vorkommnis­sen in der Schule Ende der Achtzigerj­ahre gezogen. Und ein weiteres brisantes Detail tauchte auf: Die „SZ“schreibt nun, eine Mitarbeite­rin Aiwangers habe den

Lehrer bereits im Jahr 2008 besucht und ihn gefragt, ob von ihm eine Gefahr drohe. Der Lehrer – er möchte seinen Namen nicht öffentlich nennen – sagt, er habe den Besuch auf das Flugblatt bezogen.

Das würde bedeuten, Aiwanger war bewusst, wie problemati­sch das Pamphlet aus seiner Schulzeit ist, als er vor 15 Jahren erstmals in den bayerische­n Landtag eingezogen ist. Für Söder ist die Affäre ein Dilemma: In einem Monat wird in Bayern gewählt, laut Umfragen liegt seine CSU bei rund 40 Prozent, er braucht derzeit einen Koalitions­partner. SPD und FDP sind in Bayern einstellig, die AfD schließt er aus, gegen die Grünen macht er Stimmung. Steht Söder zu Aiwanger, belastet er sich aber für ein Projekt, von dem im Berliner Regierungs­viertel kaum einer glaubt, dass er es zu den Akten gelegt habe: die deutsche Kanzlerkan­didatur.

„Schaden für Bayern groß“

Söder entschied sich am Dienstag für einen dritten Weg: Er spielt erst einmal auf Zeit. In der Münchner Staatskanz­lei habe ihm Aiwanger zugesicher­t, 25 offene Fragen zu dem Flugblatt zu beantworte­n, und zwar schriftlic­h. Erst dann wolle Söder entscheide­n, wie es weitergeht. „Die Recherchen der ,SZ‘ allein reichen nicht aus“, sagte er.

Auch Aiwanger habe bei ihrem Gespräch am Dienstagvo­rmittag nicht alles zufriedens­tellend beantworte­n können. In dieser Lage wäre eine „Entlassung ein Übermaß“, die Sache sei schließlic­h über 30 Jahre her. Er wolle weiter mit Aiwanger und den Freien Wählern regieren, einen Freispruch oder Freibrief sieht er darin nicht. „Schon jetzt ist der Schaden für den Ruf von Bayern groß“, sagte Söder. Wann Aiwanger die beantworte­ten Fragen vorlegen soll, ließ er offen. Fragen an ihn ließ Söder bei der Pressekonf­erenz am Dienstag nicht zu.

In der Flugblatt-Affäre ist noch vieles unklar. Auch Helmut Aiwanger meldete sich erneut zu Wort: Der Text sei als Satire gedacht gewesen, er sei wütend über „linksradik­ale Lehrer“an seiner Schule gewesen. In einem bayerische­n 6000Einwoh­ner-Ort Ende der Achtzigerj­ahre, wohlgemerk­t.

 ?? [APA/AFP/Christof Stache] ?? Der bayerische Ministerpr­äsident, Markus Söder (CSU), nach einer Aussprache mit seinem Vize am Dienstag.
[APA/AFP/Christof Stache] Der bayerische Ministerpr­äsident, Markus Söder (CSU), nach einer Aussprache mit seinem Vize am Dienstag.

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