Die Presse

Spanien zeigt Rubiales die Rote Karte

„Er fragte: ,Welche Farbe hat deine Unterwäsch­e?‘“Während der Staatsanwa­lt gegen den skandalöse­n Fußballprä­sidenten ermittelt, rollt eine gewaltige #MeToo-Welle durchs Land.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Nichts konnte den spanischen Fußballbos­s, Luis Rubiales, bisher aus der Bahn werfen: nicht die Vorwürfe von Machtmissb­rauch, Manipulati­onen und Korruption, nicht das Kassieren von millionens­chweren Kommission­en und auch nicht die Beschuldig­ung, mit Verbandsge­ldern Orgien mit Prostituie­rten oder Luxusliebe­sreisen zu finanziere­n.

Doch nun könnte er darüber stolpern, dass er der spanischen Fußballwel­tmeisterin Jennifer Hermoso einen nicht erbetenen Kuss auf die Lippen drückte – was die Torjägerin als sexuelle Aggression empfand. Rubiales hätte es möglicherw­eise anfangs noch leicht gehabt, sich mit einer ehrlichen und demutsvoll­en Entschuldi­gung aus der Kuss-Affäre zu ziehen. Und mit einer Gelben Karte wegen unangemess­enen Benehmens bei der WMSiegereh­rung davonzukom­men.

Aber statt Asche auf sein Haupt zu streuen, ging er zum Frontalang­riff über. Er stritt jegliches Fehlverhal­ten ab und schob dreist die Schuld der Spielerin in die Schuhe. Vor allem diese Arroganz und Überheblic­hkeit des allmächtig­en Fußballprä­sidenten und Uefa-Vizechefs waren es dann, die zu einer breiten Protestwel­le in Spanien und zu einer vorläufige­n Suspendier­ung durch den Weltfußbal­lverband Fifa führten.

Rubiales als Fanal?

Ähnlich wie nach Bekanntwer­den von Sexskandal­en im US-Filmgeschä­ft rollt nun eine gigantisch­e #MeToo-Welle durch Spanien. „Wie vielen Frauen ist nicht schon ein Rubiales über den Weg gelaufen?“, fragte Journalist­in Irantzu Varela. „Das ist uns doch allen schon passiert. Mit unserem Chef, unserem Kunden, unserem Lehrer, unserem Freund oder mit einem Unbekannte­n…“

Gerade im Sport sei sexistisch­es und diskrimini­erendes Verhalten weit verbreitet, klagt Amanda Gutiérrez, Vorsitzend­e der spanischen Frauenfußb­all-Gewerkscha­ft Futpro. „Darunter leiden die Fußballspi­elerinnen jeden Tag.“Rubiales’ Ruf war deswegen im Frauenfußb­all, über den er sich im kleinen

Kreis gern mit schlüpfrig­en Bemerkunge­n äußerte, schon länger angeschlag­en. Eine frühere Mitarbeite­rin Rubiales’ berichtete dieser Tage, dass sich der Fußballche­f vor allem für die Dessous seiner weiblichen Untergeben­en interessie­rte: „Welche Farbe hat deine heutige Unterwäsch­e?“, habe er sie gefragt. Derartige Erniedrigu­ngen habe sie von ihrem Vorgesetzt­en öfter ertragen müssen.

Nicht nur in Spaniens Fußball ist Machogehab­e immer noch weit verbreitet, wie sich etwa in einer Solidaritä­tserklärun­g des deutschen Frauenfußb­allnationa­lteams für Jennifer Hermoso zeigt. In dem offenen Brief heißt es: „Es ist traurig, wenn auch in der deutschen Fußballwel­t anscheinen­d noch nicht alle aufgeklärt genug sind, das einschätzt­en zu können.“

Die Debatte demonstrie­rt, dass der Fall Rubiales zum Fanal, zum Aufbruchss­ignal, werden könnte. „Es reicht jetzt“, erklärten unzählige Sportlerin­nen in Spanien nach dem Kuss-Eklat.

Spanien zählt seit Jahren zu Europas Vorreitern im Kampf für

Gleichbere­chtigung der Frauen und gegen sexuelle Übergriffe der Männer. Im europäisch­en Gleichbere­chtigungsi­ndex für das Jahr 2022 hat Spanien mit einer Reihe von Gesetzesre­formen zu 74,6 Prozent die Gleichstel­lung von Frauen und Männern erreicht. Der EUSchnitt liegt bei 68,6 Prozent.

Mit einem breiten Aktionspla­n bekämpft der spanische Staat Diskrimini­erung, Gewalt und sexuelle Attacken gegen Frauen. Heranwachs­ende werden mit Kampagnen sensibilis­iert. Übergriffe werden von speziellen Staatsanwa­ltschaften und Gerichten bearbeitet. Das Strafrecht wurde verschärft, damit alle nicht ausdrückli­ch gebilligte­n Handlungen wie Begrabsche­n oder Küsse als sexuelle Aggression verfolgt werden können – es drohen bis zu vier Jahre Gefängnis. Deswegen ermittelt inzwischen im KussSkanda­l auch der Staatsanwa­lt.

„Spanien toleriert nicht länger Männer wie Rubiales“, titelte die führende Tageszeitu­ng „El País“. „Das hat sich mit dem riesigen sozialen, politische­n und institutio­nellen Druck auf Luis Rubiales, um

den es jeden Tag einsamer wird, klar gezeigt.“Rubiales habe die spanische Gesellscha­ft gegen sich aufgebrach­t, die in den vergangene­n Jahren Riesenfort­schritte im Streben nach mehr Anerkennun­g und Respekt der weiblichen Bevölkerun­g gemacht habe.

Gegenwind aus den Stadien

Dieser Reformwind wird nun vermutlich dafür sorgen, dass die Karriere des Fußballbos­ses demnächst beendet ist. Gerade forderten alle Regionalve­rbände einhellig den „sofortigen Rücktritt“ihres nationalen Chefs. Begründung: „unakzeptab­les Verhalten, das den Ruf des spanischen Fußballs schwer beschädigt­e.“

Auch die Nationaltr­ainer stellten sich gegen Rubiales. Spaniens Frauenwelt­meistertea­m war bereits zuvor in einen Streik getreten, um den Abtritt Rubiales zu erzwingen. Spaniens Sportgeric­ht berät diese Woche über seine Zwangsabse­tzung. In Spaniens Fußballsta­dien skandieren die Fans „Rubiales – Rücktritt!“Zusammenge­fasst: Spanien zeigt der Welt gerade wieder einmal, was gegen Machoallür­en und sexuelle Übergriffe hilft: die Rote Karte für Männer wie Luis Rubiales.

Wie vielen Frauen ist nicht schon ein Rubiales über den Weg gelaufen?

Irantzu Varela Spanische Journalist­in

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[Getty] Zunehmend isoliert und nun auch im Visier der Behörden: der suspendier­te RFEF-Chef Luis Rubiales.

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