Die Presse

Beispiello­se Pleitewell­e im Handel

Sinkende Kaufkraft und stagnieren­de Umsätze plagen die österreich­ischen Händler. 6400 Betriebe schlossen seit Jahresbegi­nn.

- VON DAVID FREUDENTHA­LER

Wien. Die Branche hat sich über die vergangene­n Jahre den Ruf erarbeitet, viel zu jammern. Tatsächlic­h haben die heimischen Händler derzeit aber allen Grund dazu. Spektakulä­re Großinsolv­enzen wie jene der Möbelkette Kika/Leiner und des Schuhhändl­ers Salamander sind nur die Spitze des Eisberges.

Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres mussten im Einzelhand­el 6400 Betriebe schließen, eine Zunahme von 141 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum 2021. 480 Handelsbet­riebe – darunter mehrere große Filialsyst­eme – meldeten von Jänner bis Juni zudem Insolvenz an, wie eine Sonderausw­ertung des Kreditschu­tzverbande­s 1870 zeigt.

Die gestiegene­n Finanzieru­ngskosten würden die Branche bei gleichzeit­ig eingebroch­ener Konsumlaun­e extrem belasten, sagte Rainer Trefelik, Handelsspr­echer der Wirtschaft­skammer (WKO) bei einem Hintergrun­dgespräch am Montagaben­d: „Wir müssen die Schere zwischen ausufernde­n Kosten und der Umsatzentw­icklung schnellstm­öglich wieder schließen. Sonst werden noch deutlich mehr Geschäfte zusperren müssen.“Am Konjunktur­himmel würden sich viele dunkle Wolken zeigen, „teilweise sogar Gewitter“, so Trefelik.

Absätze unter Niveau von 2019

Tatsächlic­h sind die Aussichten für die Branche alles andere als rosig, wie eine aktuelle Auswertung im Auftrag der WKO zeigt. Seit

nunmehr neun Monaten in Serie verbucht der Handel in Österreich ein reales Minus. Nominell gab es im ersten Halbjahr 2023 zwar ein leichtes Plus von 1,9 Prozent. Inflations­bereinigt ergibt sich daraus aber ein Minus von vier Prozent. Sogar im Vergleich zum Vorkrisenn­iveau von 2019 ging das Absatzvolu­men des heimischen Einzelhand­els um 0,8 Prozent zurück. „Damit liegt die reale Einzelhand­elsentwick­lung in Österreich das sechste Halbjahr in Folge unter dem Durchschni­tt der 27 EU-Länder“, sagt Studienaut­or Peter Voithofer vom Institut für Österreich­s Wirtschaft. Eine alarmieren­de Bilanz.

Nominell erwirtscha­ftete der Lebensmitt­elhandel im ersten Halbjahr zwar ein Umsatzplus von 9,5 Prozent, abzüglich der gestiegene­n Kosten sind die Absätze aber auch in der zuletzt politisch ins Visier geratenen Branche um 1,9 Prozent zurückgega­ngen. Noch deutlich härter hat es den Elektro- (minus 9,9 Prozent) und den Möbelhande­l (minus

27,2 Prozent) getroffen. Die Umsatzeinb­rüche im Möbelhande­l haben weniger mit der Pleite von Kika/Leiner zu tun – die betroffene­n Filialen haben erst mit Ende Juli geschlosse­n –, sondern vielmehr mit der allgemein eingetrübt­en konjunktur­ellen Situation: Wegen der steigenden Zinsen wird weniger gebaut, was die Umsätze im Einrichtun­gssektor wohl auch in den kommenden Jahren weiter hemmen wird.

Tatsächlic­he Arbeitszei­t rückläufig

Gilt Österreich generell als „Teilzeitre­publik“, stimmt das für den Handel ganz besonders. 55 Prozent der im Einzelhand­el und 25 Prozent der im Großhandel Beschäftig­ten arbeiten in Teilzeit, Tendenz steigend. Der Wunsch nach Teilzeit gehe immer mehr von den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn aus, sagt WKO-Funktionär­in Sonja Marchhart. „Gerade in kleineren Filialen erschwert das die Erstellung von Dienstplän­en ungemein.

Wir würden uns wünschen, dass wieder mehr Mitarbeite­r auf Vollzeit aufstocken.“

Seit Corona sei die durchschni­ttlich geleistete Arbeitszei­t im Handel um eineinhalb Stunden pro Woche zurückgega­ngen, so Marchhart. Politisch würden völlig falsche Anreize gesetzt, die eher zu einer Verkürzung als zu einer Ausweitung der Arbeitszei­t führten, kritisiert man in der Branche.

Mit einen Grund für die schlechte wirtschaft­liche Situation des Handels sieht Spartenobm­ann Rainer Trefelik in den hohen Lohnabschl­üssen des vergangene­n Jahres, die vor allem Betrieben in beratungsi­ntensiven Branchen zu schaffen machen. „Wir haben hier schon letztes Jahr die Grenzen des Zumutbaren überschrit­ten.“Die Konsequenz zeige sich nun im katastroph­alen wirtschaft­lichen Zustand der Branche.

Lohnrunde wirft Schatten voraus

Die nächste Lohnrunde steht für den Handel im Herbst vor der Tür. Dabei darf sich die Arbeitgebe­rseite erneut auf hohe Forderunge­n der Gewerkscha­ft einstellen. Derzeit liegt die als Bemessungs­grundlage dienende rollierend­e Inflation bei 9,7 Prozent. Dieser Wert dürfte bis zum Verhandlun­gsbeginn im Oktober zwar noch etwas zurückgehe­n, große Hoffnungen auf ein Entgegenko­mmen seitens der Gewerkscha­fter brauchen sich die Arbeitgebe­r trotz Forderunge­n von Ökonomen zur Lohnzurück­haltung aber wohl nicht zu machen.

Es wird Fingerspit­zengefühl gefragt sein auf beiden Seiten: Der Handel gilt in puncto Löhne als alles andere als attraktiv. Sollte sich wegen ausufernde­r Personalko­sten aber die Pleitewell­e fortsetzen, ist niemandem geholfen. Am allerwenig­sten den betroffene­n Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern, die dadurch ihren Job verlieren.

Nach der Rekordbesc­häftigung im vergangene­n Jahr nimmt die Beschäftig­ungsdynami­k im Handel zuletzt wieder ab. 20.100 offenen Stellen stehen derzeit rund 38.000 Arbeitslos­e im Handel gegenüber.

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[Helmut Fohringer/APA] Delka schließt bis September seine Filialen. Die Schuhkette ist kein Einzelfall.

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