Supraleitung: Die Sensation war falsch
Ein Stoff, der bei Raumtemperatur widerstandsfrei Strom leitet: Das war der wissenschaftliche Hype des Sommers. Wie kam es dazu? Und welche Rolle spielte übersteigertes Vertrauen in vage Theorie? Versuch einer Aufarbeitung.
Die Enthüllung des vermeintlichen Supraleiters hat in breiten Kreisen geradezu euphorische Träume ausgelöst“, schrieb Fabian von Rohr, Professor für Quantenmaterialien an der Uni Genf, in der „Neuen Zürcher“. Herber kommentierte die deutsche Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“: „Die Supraleiter-Sensation ist verpufft, und das ist gut so.“
Sensation? Es ging noch stärker. Von einem „heiligen Gral“der Physik las man gar in Artikeln, die im August die angebliche Entdeckung von Forschern an der privaten Korea University bejubelten: In einem auf dem Arxiv-Server geposteten Preprint – einem noch nicht von Fachkollegen geprüften Artikel – mit dem Titel „The First Room-Temperature Ambient-Pressure Superconductor“berichten sie über die Entdeckung eines solchen, also eines Materials, das bei Raumtemperatur (mehr noch: bis zu 127 Grad Celsius!) und Atmosphärendruck supraleitend sei. Was bedeutet, dass er elektrischen Strom praktisch ohne Widerstand leitet. Naturgemäß wäre das technisch interessant: Der Einsatz von bisher bekannten Supraleitern, etwa für Magnetschwebebahnen, hat den Nachteil, dass die nötige Kühlung so energieaufwendig ist. Auch supraleitende Drähte könnten viel Strom sparen. So stieg die Aktie der koreanischen Firma Sunam, die an solchen Drähten arbeitet, um fast 400 Prozent, nachdem die angebliche Sensation um LK-99 verkündet wurde.
Schweben über Magneten
So heißt das Material nämlich. Woher kommt der unchemische Name? Von den Initialen der koreanischen Forscher Lee Sukbae und Kim Ji-Hoon und nach dem Jahr, in dem sie „ihr“Material angeblich erstmals synthetisiert haben. Wie dieses aussieht, zeigte ein Video, das sie zugleich mit dem Preprint verbreiteten: Man sieht ein schwärzlich-graues Bröckchen, das sich über einer grauen Platte teilweise erhebt. Das sollte die Levitation darstellen, die man von Supraleitern kennt: Sie schweben über starken Magneten, weil sie als diamagnetische Substanzen keine Magnetfelder in sich hineinlassen und diesen daher ausweichen. Das tun gewöhnliche Diamagnetika freilich auch. Auch die anderen Indizien, die Lee und Kim belegen wollen, überzeugen nicht: So sieht der Abfall des elektrischen Widerstands bei der angeblichen Sprungtemperatur (unterhalb derer das Material supraleitend wird) nicht wirklich abrupt aus.
Entsprechend enttäuschend waren die Ergebnisse aus den Labors, in denen die Behauptungen von Lee und Kim überprüft wurden. Es wurden so gut wie keine Anzeichen für Supraleitung entdeckt. Ganz im Gegenteil: LK-99 sei ein Isolator, sagen Forscher am Max-Planck-Institut für Festkörperphysik. Der berichtete Abfall des Widerstands sei wohl durch Verunreinigung zu erklären.
Verunreinigung wovon? Was ist dieses LK-99? Sie hätten es aus Bleisulfat, Bleioxid und Kupferphosphid hergestellt, erklärten die Forscher. Es sei im Grunde Bleiapatit, in dem ein Viertel der Bleiatome durch Kupfer ersetzt ist. Lee und Kim haben just diese Substanz erzeugt, weil sie aus theoretischen Überlegungen schlossen, dass sie supraleitend sein könnte: Durch das Ersetzen von Blei durch Kupfer sei die Kristallstruktur so verzerrt, dass „supraleitende Quantentöpfe“entstehen können.
Paarung von Elektronen
Das klingt fundierter, als es ist. Die Theorie der Supraleitung – vor allem jener bei halbwegs hohen Temperaturen – ist ein frustrierendes Kapitel der Festkörperphysik. Für die „alte“, erstmals 1911 beobachtete Supraleitung in Metallen bei sehr tiefen Temperaturen gibt es immerhin eine halbwegs bewährte Erklärung: die BCS-Theorie, benannt nach den 1972 dafür mit dem Nobelpreis geehrten Physikern Bardeen, Cooper und Schrieffer. Sie erklärt die Supraleitung, vereinfacht gesagt, durch die Bildung von Elektronenpaaren, die im Gegensatz zu einzelnen Elektronen keinen Spin haben und daher leichter durch das Kristallgitter huschen können. Vermittelt wird diese Paarbildung durch die Schwingungen des Gitters, bis diese – bei einer bestimmten Temperatur – zu heftig werden.
Schon diese BCS-Theorie erlaubt keinesfalls die exakte Berechnung von Eigenschaften wie der Sprungtemperatur, dafür sind Festkörper viel zu kompliziert. Bei Hochtemperatur-Supraleitern versagt sie ganz, auch weil diese keine reinen Metalle sind. Der erste solche wurde 1986 entdeckt, er besteht aus Lanthan, Barium, Kupfer und Sauerstoff und ist unter 35 Kelvin supraleitend. Das sind –238 Grad Celsius, nicht gerade das, was man sich unter hoher Temperatur vorstellt. Doch die Hoffnung war geboren: Es müssten sich doch durch theoriegestützte Suche Materialien finden lassen, die bei höheren Temperaturen supraleitend sind.
Man kam weiter, aber nicht viel: Seit 1994 liegt der Rekord (bei Normaldruck) bei 135 Grad, die Formel sei der Kuriosität halber genannt : Hg12Tl3Ba30Ca30Cu45O127. Man sieht : Kupfer und Sauerstoff sind wieder dabei. De