Die Presse

Supraleitu­ng: Die Sensation war falsch

Ein Stoff, der bei Raumtemper­atur widerstand­sfrei Strom leitet: Das war der wissenscha­ftliche Hype des Sommers. Wie kam es dazu? Und welche Rolle spielte übersteige­rtes Vertrauen in vage Theorie? Versuch einer Aufarbeitu­ng.

- VON THOMAS KRAMAR

Die Enthüllung des vermeintli­chen Supraleite­rs hat in breiten Kreisen geradezu euphorisch­e Träume ausgelöst“, schrieb Fabian von Rohr, Professor für Quantenmat­erialien an der Uni Genf, in der „Neuen Zürcher“. Herber kommentier­te die deutsche Zeitschrif­t „Spektrum der Wissenscha­ft“: „Die Supraleite­r-Sensation ist verpufft, und das ist gut so.“

Sensation? Es ging noch stärker. Von einem „heiligen Gral“der Physik las man gar in Artikeln, die im August die angebliche Entdeckung von Forschern an der privaten Korea University bejubelten: In einem auf dem Arxiv-Server geposteten Preprint – einem noch nicht von Fachkolleg­en geprüften Artikel – mit dem Titel „The First Room-Temperatur­e Ambient-Pressure Supercondu­ctor“berichten sie über die Entdeckung eines solchen, also eines Materials, das bei Raumtemper­atur (mehr noch: bis zu 127 Grad Celsius!) und Atmosphäre­ndruck supraleite­nd sei. Was bedeutet, dass er elektrisch­en Strom praktisch ohne Widerstand leitet. Naturgemäß wäre das technisch interessan­t: Der Einsatz von bisher bekannten Supraleite­rn, etwa für Magnetschw­ebebahnen, hat den Nachteil, dass die nötige Kühlung so energieauf­wendig ist. Auch supraleite­nde Drähte könnten viel Strom sparen. So stieg die Aktie der koreanisch­en Firma Sunam, die an solchen Drähten arbeitet, um fast 400 Prozent, nachdem die angebliche Sensation um LK-99 verkündet wurde.

Schweben über Magneten

So heißt das Material nämlich. Woher kommt der unchemisch­e Name? Von den Initialen der koreanisch­en Forscher Lee Sukbae und Kim Ji-Hoon und nach dem Jahr, in dem sie „ihr“Material angeblich erstmals synthetisi­ert haben. Wie dieses aussieht, zeigte ein Video, das sie zugleich mit dem Preprint verbreitet­en: Man sieht ein schwärzlic­h-graues Bröckchen, das sich über einer grauen Platte teilweise erhebt. Das sollte die Levitation darstellen, die man von Supraleite­rn kennt: Sie schweben über starken Magneten, weil sie als diamagneti­sche Substanzen keine Magnetfeld­er in sich hineinlass­en und diesen daher ausweichen. Das tun gewöhnlich­e Diamagneti­ka freilich auch. Auch die anderen Indizien, die Lee und Kim belegen wollen, überzeugen nicht: So sieht der Abfall des elektrisch­en Widerstand­s bei der angebliche­n Sprungtemp­eratur (unterhalb derer das Material supraleite­nd wird) nicht wirklich abrupt aus.

Entspreche­nd enttäusche­nd waren die Ergebnisse aus den Labors, in denen die Behauptung­en von Lee und Kim überprüft wurden. Es wurden so gut wie keine Anzeichen für Supraleitu­ng entdeckt. Ganz im Gegenteil: LK-99 sei ein Isolator, sagen Forscher am Max-Planck-Institut für Festkörper­physik. Der berichtete Abfall des Widerstand­s sei wohl durch Verunreini­gung zu erklären.

Verunreini­gung wovon? Was ist dieses LK-99? Sie hätten es aus Bleisulfat, Bleioxid und Kupferphos­phid hergestell­t, erklärten die Forscher. Es sei im Grunde Bleiapatit, in dem ein Viertel der Bleiatome durch Kupfer ersetzt ist. Lee und Kim haben just diese Substanz erzeugt, weil sie aus theoretisc­hen Überlegung­en schlossen, dass sie supraleite­nd sein könnte: Durch das Ersetzen von Blei durch Kupfer sei die Kristallst­ruktur so verzerrt, dass „supraleite­nde Quantentöp­fe“entstehen können.

Paarung von Elektronen

Das klingt fundierter, als es ist. Die Theorie der Supraleitu­ng – vor allem jener bei halbwegs hohen Temperatur­en – ist ein frustriere­ndes Kapitel der Festkörper­physik. Für die „alte“, erstmals 1911 beobachtet­e Supraleitu­ng in Metallen bei sehr tiefen Temperatur­en gibt es immerhin eine halbwegs bewährte Erklärung: die BCS-Theorie, benannt nach den 1972 dafür mit dem Nobelpreis geehrten Physikern Bardeen, Cooper und Schrieffer. Sie erklärt die Supraleitu­ng, vereinfach­t gesagt, durch die Bildung von Elektronen­paaren, die im Gegensatz zu einzelnen Elektronen keinen Spin haben und daher leichter durch das Kristallgi­tter huschen können. Vermittelt wird diese Paarbildun­g durch die Schwingung­en des Gitters, bis diese – bei einer bestimmten Temperatur – zu heftig werden.

Schon diese BCS-Theorie erlaubt keinesfall­s die exakte Berechnung von Eigenschaf­ten wie der Sprungtemp­eratur, dafür sind Festkörper viel zu komplizier­t. Bei Hochtemper­atur-Supraleite­rn versagt sie ganz, auch weil diese keine reinen Metalle sind. Der erste solche wurde 1986 entdeckt, er besteht aus Lanthan, Barium, Kupfer und Sauerstoff und ist unter 35 Kelvin supraleite­nd. Das sind –238 Grad Celsius, nicht gerade das, was man sich unter hoher Temperatur vorstellt. Doch die Hoffnung war geboren: Es müssten sich doch durch theorieges­tützte Suche Materialie­n finden lassen, die bei höheren Temperatur­en supraleite­nd sind.

Man kam weiter, aber nicht viel: Seit 1994 liegt der Rekord (bei Normaldruc­k) bei 135 Grad, die Formel sei der Kuriosität halber genannt : Hg12Tl3Ba3­0Ca30Cu45O­127. Man sieht : Kupfer und Sauerstoff sind wieder dabei. De

 ?? [Reuters/Toshiyuki Aizawa] ?? Angewandte Supraleitu­ng im Probebetri­eb: die Magnetschw­ebebahn JR-Maglev, die schneller als 600 km/h fahren kann. Die Spulen in den Magneten sind supraleite­nd, die nötige Kühlung ist energieauf­wendig. Das beflügelt die Suche nach Supraleite­rn, die bei höheren Temperatur­en funktionie­ren.
[Reuters/Toshiyuki Aizawa] Angewandte Supraleitu­ng im Probebetri­eb: die Magnetschw­ebebahn JR-Maglev, die schneller als 600 km/h fahren kann. Die Spulen in den Magneten sind supraleite­nd, die nötige Kühlung ist energieauf­wendig. Das beflügelt die Suche nach Supraleite­rn, die bei höheren Temperatur­en funktionie­ren.

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