Die Presse

Kirill Petrenko rettet Reger und Schönberg

Die Berliner Philharmon­iker knüpfen an heroische Festspielz­eiten an.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Max Regers 150. Geburtstag wäre heuer zu feiern gewesen. Kaum ein Intendant, kaum ein Musiker hat daran gedacht. Aber Kirill Petrenko, ein unermüdlic­her Schatzgräb­er, hat für sein erstes Salzburger Programm 2023 die „Mozartvari­ationen“gewählt. Es war eine Art Erweckung aus dem Dornrösche­nschlaf für ein früher viel gespieltes, mittlerwei­le beinah vergessene­s Meisterwer­k.

Gekoppelt mit einem in allen Etagen säuberlich herausgepu­tzten „Heldenlebe­n“von Richard Strauss, das nur an Feiertagen so herrlich bunt und schillernd, so aufregend klingt; wie sich‘s für eine symphonisc­he Dichtung, die ja so etwas wie ein tönendes Märchenbuc­h sein soll, gehört.

Wagemutige Programme

Tags darauf dann eines der haarigsten Programme, die sich ein Dirigent aussuchen kann: Beethovens Heikelste, die Achte, gekoppelt mit den Haydn-Variatione­n von Brahms und den großen Orchesterv­ariationen von Schönberg. Schwere Kost, fürwahr, und nach wie vor stöhnen manche Festspielb­esucher ob der dissonante­n Dauerbelas­tung. Und doch: Wenn schon Zwölftonmu­sik, dann so, denkt man, sobald man die Berliner unter Petrenko dieses Werk spielen hört. Dieses Orchester ist in zweifacher Hinsicht für dieses Chef d‘Oeuvre der Wiener Schule verantwort­lich: Unter Furtwängle­r hat es einst die Uraufführu­ng gespielt, unter Karajan hat es die ultimative Aufnahme gemacht.

Man muss wissen, dass Karajan damals die Sitzordnun­g der Musiker von Variation zu Variation gewechselt hat, um die jeweils beste Klangmixtu­r zu erzielen. Die Philharmon­ie verwandelt­e er auf diese Weise in ein Tonstudio und beschloss, dieses Stück hinfort nie wieder live aufzuführe­n, weil das, was auf der Schallplat­te zu hören ist, unter üblichen Konzertbed­ingungen unrealisie­rbar sei.

Das war 1974. 39 Jahre später beweisen die Nachfolger der damaligen Musikergem­einschaft unter Petrenko, dass sich die Zeiten geändert haben. Zumindest für sie. Ich glaube kaum, dass es heute ein zweites Orchester gibt, das imstande ist, Schönbergs Variatione­n auf diesem Niveau zu spielen, wie die Berliner das am Montag Abend im Salzburger Festspielh­aus geschafft haben.

Was Karajan einst bezweckte, wird live zum Ereignis: Für jede der kurzen Variatione­n, in denen Schönberg sein vierteilig­es, kantabel von Celli und Geigen präsentier­tes Zwölftonth­ema förmlich zerstäubt und in schillernd­e Klang-Konfetti auflöst, mischt das Orchester die Palette neu ab. Die herrlich sonore Themen-Vorstellun­g, die noch klang wie ein Echo der zuvor gespielten, romantisch­sonoren Brahms-Variatione­n, löste sich mehr und mehr in Kammermusi­k auf. Beinah jeder einzelne Musiker wurde zum Solisten, selbst die Kontrabass­isten am ersten Pult absolviert­en subtile Duette wie ihre Bläser-Kollegen.

Wenn es einer Definition von Festspiele­n bedurfte: Hier war sie zu hören.

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