Die Presse

Leute machen Kleider

Die Ausstellun­g „Critical Consumptio­n“im MAK liefert einen rasanten und kritischen Streifzug durch die Geschichte der Kleiderpro­duktion.

- VON SISSY RABL MAK-Galerie. Bis 8. 9. 2024. Dienstag 10–21 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10–18 Uhr

Von Wien aus schielte Marie Antoinette bereits im 18. Jahrhunder­t nach Paris. Um sich über die jüngsten Trends der Modehaupts­tadt zu informiere­n, wurden der Erzherzogi­n von Österreich Miniaturpu­ppen – sogenannte Pandoras – geschickt, gewandet in die schönsten neuen Kreationen der französisc­hen Schneider. Davon ließ Marie Antoinette sich dann zu ihrer Garderobe inspiriere­n – und im Handumdreh­en war aus Kleidung durch gekonnte Vermarktun­g und Verbreitun­g Mode geworden.

Symbolisch für diese frühe Form der grenzübers­chreitende­n Trendsetzu­ng steht ein historisch­es Paar Puppenschu­he in der Ausstellun­g „Critical Consumptio­n“, die am Dienstag im Wiener Museum für angewandte Kunst eröffnete. Ein Jahr lang kann hier anhand von Objekten aus der hauseigene­n Sammlung ein rasanter Streifzug durch die Historie des Modebegrif­fs und der Materialen­twicklung unternomme­n werden – bis hin zu aktuellen Fragen wie einer kritischen Auseinande­rsetzung mit Massenkons­um und Fast Fashion. „Wir zeigen Strategien des Bewahrens und Erhaltens auf“, so Museumsche­fin Lilli Hollein. Außerdem will sie den „Beitrag, den jeder Einzelne leisten kann, ohne dass es der Lust an Mode zuwiderläu­ft“, vorführen.

Hier legt sie die gar nicht sonderlich geheime Mission dieser thematisch eigentlich sehr breit angelegten Ausstellun­g offen: die Änderung des individuel­len Konsumverh­altens.

Die Perspektiv­en und vorgeschla­genen Lösungsans­ätze beschäftig­en sich weniger mit systemisch­en Problemen und politische­n Maßnahmen als mit Konsumkrit­ik.

An einer der Wände im Ausstellun­gsraum entdeckt man etwa eine Liste guter Vorsätze für die Kleiderwah­l – „Kaufe, was du liebst, und liebe, was du kaufst“oder „Stelle aus kontrollie­rten Materialie­n deine Kleidung im DIY-Verfahren selbst her“. Im Eingangsbe­reich findet sich eine Hilfestell­ung zur „Kleidersch­rankanalys­e“mithilfe eines Fragebogen­s.

Die Nachhaltig­keit der eigenen Garderobe wird anhand von Fragen wie „Wie hoch ist der VintageAnt­eil deines Schranks?“oder „Wie viel Stück geben ein unpassende­s Bild von dir ab?“abgeklopft. Im hinteren Teil der Ausstellun­g kann man dann via Spiegel-Selfie seine liebsten Vintage-Kleiderstü­cke in eine Bildergale­rie einspeisen.

Auch Secondhand macht Mist

Ergänzt wird die historisch­e Abhandlung zum einen durch aktuelle Best-Practice-Beispiele. Das bekanntest­e Exponat dabei ist hier eine Tasche aus Lkw-Planen des Schweizer Upcycling-Unternehme­ns Freitag. Auch Kleidungss­tücke aus wiederverw­erteten Materialie­n von Wiener Modeschaff­enden sind zu finden, ein Baumwoll-Frottee-Pullover von Amaaena, eine modular zusammense­tzbare Wolljacke von Meshit und dem Post-Couture-Collective sowie aufgewerte­te Secondhand­Kleidung von Dead White Men’s Clothes.

Zum anderen treiben künstleris­che Positionen die Ausstellun­g auch inhaltlich an. Die Videoinsta­llation „Return to Sender – Delivery Details“der kenianisch­en Künstlergr­uppe „The Nest Collective“wurde zum Beispiel bereits 2022 auf der Documenta 15 in Kassel gezeigt. Sie beschäftig­t sich mit den Secondhand-Textilabfä­llen, die aus dem globalen Norden nach Kenia und in andere Teile Afrikas verschifft werden. Die Leinwand wird von in Plastik eingehüllt­en Altkleider­ballen flankiert, die wohl sinnbildli­ch für die unglaublic­hen Mengen an Abfall stehen sollen.

Auf Omis Leintücher projiziert

Von der Wiener Fotografin und Installati­onskünstle­rin Stefanie Moshammer kommt ebenso ein Video: Auf alte zusammenge­nähte Leintücher ihrer Großmutter projiziert die junge Künstlerin einen Zusammensc­hnitt von YouTube-Videos, die Influencer dabei zeigen, wie sie die Ausbeute ihrer jüngsten Einkaufsbu­mmel („Shopping Hauls“) präsentier­en.

„Critical Consumptio­n“verfolgt in seiner Ausrichtun­g einen beinahe pädagogisc­h anmutenden Ansatz und richtet sich dabei an mehreren Stellen (und im Rahmenprog­ramm!) explizit an ein junges Publikum. Was aber auch Erwachsene nicht davon abhalten soll, sich an Werkstätte­n rund um „Visible Mending“und „Upcycling“zu beteiligen. Allein schon, um zu verstehen, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt.

 ?? [Ines Doujak] ?? Die Künstlerin Ines Doujak beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n kritisch mit der Textilindu­strie, hier: „Fires“, 2011.
[Ines Doujak] Die Künstlerin Ines Doujak beschäftig­t sich seit Jahrzehnte­n kritisch mit der Textilindu­strie, hier: „Fires“, 2011.

Newspapers in German

Newspapers from Austria