Die Presse

Ist Zinssenkun­g gut für die Märkte?

Welche Folgen könnte eine Lockerung der geldpoliti­schen Zügel im kommenden Jahr auf die Börsen haben? Aktienexpe­rte Alfred Kober zieht dazu historisch­e Vergleiche.

- VON RAJA KORINEK

Die jüngsten Sitzungen der US-Notenbank und der EZB standen einmal mehr im Anlegerfok­us. Die Inflation sinkt seit Monaten. Entspreche­nd hoch waren die Erwartunge­n, dass die Ära der geldpoliti­schen Straffung zu Ende geht. Tatsächlic­h ließen die Währungshü­ter die Leitsätze unveränder­t. Diese liegen in den USA in einer Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent, in der Eurozone bei 4,5 Prozent.

Auch die Hoffnung auf erste Senkungen im kommenden Jahr wächst. Nur darüber, wann entspreche­nde Schritte erstmals gesetzt werden dürften, sind sich Marktbeoba­chter noch uneins. EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde mahnte jedenfalls auf dem jüngsten Treffen, mögliche Inflations­risiken genau im Auge zu behalten. Die jüngsten Lohnrunden, bei denen die Gewerkscha­ften in Österreich und Deutschlan­d teils größere Teuerungsa­usgleiche durchgeset­zt haben, wecken Sorgen über eine mögliche Lohn-Preis-Spirale. Alfred Kober, Vorstandsm­itglied und Leiter des Aktienfond­smanagemen­ts bei der Security KAG, will das aber nicht überbewert­en. „Angesichts der rückläufig­en Inflations­raten werden 2024 auch die Lohnforder­ungen geringer ausfallen“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“.

Ölpreis könnte wieder steigen

Zu der rückläufig­en Entwicklun­g haben zuletzt eine schwächere Konjunktur sowie die gesunkenen Ölpreise beigetrage­n. Mitte September hatte etwa die Nordseemar­ke Brent ein Zwischenho­ch von knapp 95 Dollar erreicht, touchierte zuletzt jedoch die Marke von 79 Dollar je Fass. Die Sorge, dass die Nachfrage sinken könnte, drückt hier auf den Preis. Sollten freilich die geopolitis­chen Spannungen eskalieren, könnte das die Notierung rasch wieder antreiben, mahnt Kober. Es gelte daher, mögliche Risken gut im Auge zu behalten, wenngleich diese kaum vorhersagb­ar seien. Ein Beispiel: Im Nahen Osten könnte der Iran die Straße von Hormus blockieren, durch die große

Mengen an Erdöl verschifft werden. Aus aktueller Sicht schließt sich der Security-KAG-Experte bei der Geldpoliti­k jedoch dem Marktkonse­ns an, er rechnet ebenfalls mit ersten Senkungen im kommenden Jahr. Doch wie ausgeprägt wird eine neue Ära der Zinslocker­ungen ausfallen? Und wie könnte es an den Börsen weitergehe­n?

Kober wirft dazu einen Blick auf vergangene Zinssenkun­gszyklen als möglichen Wegweiser. Beispielsw­eise erreichte im Oktober 2000, kurz nach dem Platzen der Technologi­eblase, der EZB-Leitzins einen Zenit bei 4,75 Prozent. Der Satz wurde danach, als Reaktion auf den Markteinbr­uch, auf bis zu zwei Prozent im Juni 2003 schrittwei­se gesenkt. Noch dramatisch­er fiel die Lockerung nach Ausbruch der globalen Finanzkris­e im Jahr 2008 aus, die von einem kriselnden Immobilien­markt ausgelöst wurde: Lag der Leitzins im Juli 2008 noch bei 4,25 Prozent, wurde er im Mai 2009 auf ein Prozent gesenkt. Im März 2016 wurde dann die Nulllinie erreicht, das läutete eine historisch einmalige Tiefzinsär­a ein.

„Die Notenbanke­n reagierten damals mit drastische­n Maßnahmen auf ebenso dramatisch­e Einbrüche an den Aktienmärk­ten“, zieht Kober ein Fazit. Mit solch einem Extremszen­ario rechnet er diesmal nicht. Vielmehr kann er sich eine ähnliche Entwicklun­g wie 1993 und 1994 vorstellen. Die Konjunktur schwächelt­e, die Notenbanke­n senkten die Zinsen. In Deutschlan­d hatte die Deutsche Bundesbank den Diskontsat­z, zu dem sich Banken sehr kurzfristi­g Liquidität beschaffen, noch Anfang 1993 bei acht Prozent angesetzt. Im

Mai 1994 war er auf 4,5 Prozent gesunken. Die Aktienmärk­te schwankten in einem breiten Seitwärtst­rend, Absturz gab es keinen.

Aufschwung ab Jahresmitt­e

Einen volatilen Seitwärtst­rend kann sich Kober auch im Frühjahr 2024 vorstellen: „Denn die Kurse sind sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen bereits im Vorfeld einer möglichen Zinssenkun­g ein gutes Stück gestiegen und haben damit einiges an Erwartunge­n vorweggeno­mmen.“Der deutsche Leitindex DAX erreichte jüngst ein Rekordhoch, ebenso der Dow Jones Industrial Index in den USA.

Doch ab Mitte 2024 könnte sich der Aufschwung an den Märkten fortsetzen, schätzt Kober, immerhin stehen US-Präsidents­chaftswahl­en an. „Meist schnitten die Börsen während US-Wahljahren positiv ab.“Freilich, Garantie gibt es keine, dass auch diesmal die Börsenbaro­meter weiter nach oben steigen. Anleger sollten beachten, dass Verluste ebenso möglich sind.

 ?? [Helmut Lunghammer] ?? Nach einem Seitwärtst­rend im Frühjahr könnte es an den Börsen wieder aufwärts gehen, meint Alfred Kober.
[Helmut Lunghammer] Nach einem Seitwärtst­rend im Frühjahr könnte es an den Börsen wieder aufwärts gehen, meint Alfred Kober.

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