Wie „jiddisch“ist Klezmermusik?
Was ist Klezmer, und wo lebt seine Tradition heute fort? „The Klezmer Project“findet Antworten in Argentinien, Österreich, Osteuropa – und präsentiert sie als Film im Film.
Musikdokus boomen. Prominente Künstler und beliebte Genres werden darin mit breiten Pinselstrichen porträtiert, namhafte Figuren aus der Branche plaudern aus dem Nähkästchen. Auf der Tonspur dudeln die Hits.
„The Klezmer Project“, derzeit im Kino, ist anders. Kann dieser Film, der 2023 bei der Berlinale uraufgeführt wurde, überhaupt als „Doku“bezeichnet werden? Im FilmfestivalSprech fällt er in die Kategorie des „hybrid filmmaking“; er vermengt also dokumentarische und fiktionale Elemente – nur auf filigranere Art, als man es von TV-Dokudramen gewohnt ist. Entsprechend verschlungen ist sein Zugang zur jüdischen Musikgattung Klezmer. Es beginnt mit einer Stimme aus dem Off. Auf Jiddisch erzählt sie von einem Schtetl an den Ufern der Theiß, unweit der Karpaten – und von einem Totengräber, der sich in die Tochter des Rabbis verliebt.
Indes zeigt das Bild einen jungen Mann, der eine jüdische Hochzeit filmt. Dann eine Klezmer-Klarinettistin, die gern die Aufnahmen von ihm hätte. Woraufhin er vorgibt, an einer Doku über Klezmer zu arbeiten. Die Off-Stimme nennt das Paar Yankel und Taibele. Sie selbst stellen sich einander als Leandro und Paloma vor: Es sind Leandro Koch und Paloma Schachmann, das RegiePaar hinter „The Klezmer Project“.
Die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Dichtung und Wahrheit verschwimmt von Anfang an. Kochs bzw. Yankels Fantasie-Doku wird Wirklichkeit, mit Unterstützung des (realen) österreichischargentinischen Produzenten und Regisseurs Lukas Valenta Rinner. Wie „Our Beloved Month of August“, Miguel Gomes’ Hybridkino-Prototyp, macht „The Klezmer Project“seine Entstehung zum Teil des Plots, ORFFörderantrag und Deadline-Stress inklusive: Die Geldgeber wollen Drehberichte! Was den Film stärker ins Jetzt holt, als eine bloße Geschichtsstunde es getan hätte. Derweil geraten die jüdischen Wurzeln des Regieduos zum Ariadnefaden auf ihrer Klezmer-Spurensuche, die von Argentinien über Salzburg bis in die Ukraine und nach Rumänien führt.
Im Namen der „Jiddischkeit“
Hier wird, in gemessenem Tempo und ruhigen, lichtsatten Bildern, das Vermächtnis des Klezmer im musikalischen Alltag verzeichnet, namentlich dessen Überleben nach dem Holocaust – in den Traditionen von Sinti, Roma und anderen Ethnien, die vor dem Krieg mit den Juden in den Grenzregionen Nordrumäniens zusammenlebten. Begleitet vom US-Musikethnologen Bob Cohen machen die Filmemacher so u. a. das Näheverhältnis von Klezmer und „Zigeunermusik“offenbar. Dabei haben Koch und Schachmann auch ein politisches Ansinnen: Sie wollen die – nicht zuletzt auch von Antisemiten gezogenen – Trennlinien zwischen jüdischer und nicht jüdischer Kultur aufweichen, zeigen, wie oft und nahtlos eines in das andere übergeht. Und sie reden der „Jiddischkeit“das Wort, die historisch mit ärmerem, osteuropäischem Judentum in Verbindung steht.
Dass die Sprache der Diaspora, seit jeher mit Klezmer verflochten, im Vergleich zum Hebräischen ein Schattendasein fristet, führt der Film zum Teil darauf zurück, dass Israel nach der Staatsgründung 1948 eine zionistische Leitkultur in Abgrenzung von der alten Welt der Ghettos und Pogrome etablieren wollte – und das Jiddische darob bewusst zurückdrängte. „The Klezmer Project“erinnert im Gegenzug an den jüdisch-sozialistischen Bundismus, dessen Vertreter Jiddisch verteidigten; und hält gleichzeitig fest, dass es die konservative, antikommunistische Landbevölkerung war, die den Fortbestand von Klezmer in Ceaușescus Rumänien sicherte.
Was Kochs und Schachmanns poetischer, zwangloser und im besten Sinne mäandernder Film glaubhaft macht, ist, dass die jüdische (Musik-)Kultur eine transnationale ist. Und eine, die aus fruchtbaren „Interferenzen“besteht. Solche sieht ein im Film interviewter rumänischer Postler überall dort gegeben, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft lang Seite an Seite leben. Man will ihm nicht widersprechen – spielt er in seiner Freizeit doch seine Fiedel so schön.