Rechtspopulisten schüren Bauernproteste
Frankreich. In der Kritik an der EU finden die Wutbauern und die extreme Rechte eine gemeinsame Basis. Die Coordination rurale ist mit radikalen Aktionen zum zweitgrößten Verband der Landwirte geworden.
Innenminister Gérard Darmanin legte Gelassenheit an den Tag. Eine Auflösung der Bauernblockaden komme nicht infrage, sagte er – es sei denn, die Wutbauern würden „rote Linien“überschreiten. Als da wären: die Flughafen-Autobahn in Paris oder der Großmarkt Rungis nahe Paris. Rund 10.000 Bauern sind derzeit auf Frankreichs Straßen. Die von der Regierung angebotenen Hilfszusagen gehen ihnen nicht weit genug. So hatte Agrarminister Marc Fesneau den Weinbauern 80 Millionen Euro in Aussicht gestellt.
Unter den Landwirten, die in der Provinz aus Protest gegen die prekären Bedingungen Straßen blockieren oder mit ihren Traktoren in Richtung Paris rollen, fallen die senfgelben Mützen auf. Die Farbe erinnert an die Protestbewegung der meist ländlichen „Wutbürger“, die ab dem Spätherbst 2018 mit ihren gelben Westen und mit Straßensperren und Demonstrationen gegen mangelhafte Infrastruktur und Dienstleistungen gekämpft haben. Die zweite historische Referenz der „Gelben“sind die „Rotmützen“, die 2013 in der Bretagne in der Tradition früherer Steuerrevolten gegen eine Öko-Schwerverkehrsabgabe rebelliert haben.
Die Abkürzung CR auf den gelben Mützen steht für Coordination rurale. Diese „Ländliche Koordination“ist der zweitgrößte Verband der Landwirte. Sie hat es viel besser als die seit Jahrzehnten dominierende FNSEA (Fédération Nationale des Exploitants Agricoles) verstanden, die Wut der kleineren Viehzüchter, Geflügelhalter, Milchbauern und Gemüseproduzenten zu kanalisieren und deren Forderungen mit härteren Kampfmethoden zu vertreten.
Antieuropäische Propaganda
Die FNSEA dagegen blieb zunächst privilegierte Partnerin der Regierung, der Industrie und der Supermärkte und zögerte anfangs, ihre Basis zu mobilisieren. Diese wartete aber nicht auf eine Einladung und beteiligte sich spontan an Aktionen, die vor zwei Wochen im Südwesten begonnen hatten und sich seither auf das ganze Land ausgeweitet haben.
Die CR übernahm in zahlreichen Regionen die Führung einer Bewegung, die der Kontrolle durch die FNSEA und deren Jugendorganisationen Jeunes Agriculteurs (JA) entglitten war. Die gelben Mützen sind populär geworden. Die Ausrichtung dieses bäuerlichen Interessenverbands entspricht zudem in manchen Punkten der nationalistischen, protektionistischen und antieuropäischen Propaganda.
Es ist also kein Wunder, dass die Rechtspopulisten die Proteste ohne Wenn und Aber unterstützten. Währenddessen zögert die grün-rote Linke, weil sie manche Umweltnormen oder Pestizidverbote, die den Landwirten ein Dorn im Auge sind, nicht revidieren will.
Jordan Bardella, der Vorsitzende des Rassemblement national (RN), der wie seine Chefin, Marine Le Pen, aus Solidarität die Bauern auf ihren Barrikaden besucht, bezeichnete sich vor den Landwirten als „Wortführer unserer ländlichen Gebiete und ihrer Bevölkerung“. Einige lokale CR-Chefs verheimlichen nicht, dass sie mit der politischen Rechten sympathisieren. Le Pen wiederum schürt die Spaltung der Bauernverbände. Den „Bruch zwischen der FNSEA und der Basis“hat sie ausdrücklich begrüßt. Die Sympathien der Kleinbauern für die Rechte sind nicht neu. Bei den Präsidentschaftswahlen 2022 erklärte rund ein Drittel der ländlichen Bürger, im ersten Durchgang Marine Le Pen gewählt zu haben. Aus Enttäuschung über die liberale Politik Emmanuel Macrons und mangels glaubwürdiger Konkurrenz von links erscheint sie ihnen heute wie die einzige Alternative, insbesondere wegen ihrer Kritik an der EU-Politik und der „Technokratie“.
Große Mehrheit hinter den Bauern
In Frankreich gibt es noch mehr als 400.000 Landwirtschaftsbetriebe, rund 20 Prozent weniger als vor zehn Jahren. Angesichts wirtschaftlicher Probleme und wenig rosiger Aussichten geben viele auf. Zwar sind die Landwirte zahlenmäßig ein relativ kleines Wählersegment, doch sie haben Gewicht in der Gesellschaft, weil die Landwirtschaft als Teil der Tradition gilt und weil laut Umfragen mehr als 90 Prozent der Franzosen und Französinnen ihnen mit Wohlwollen begegnen. Mehr als 80 Prozent finden ihre derzeitigen Forderungen und Aktionen legitim.
Mit ihrer Solidarisierung können die Rechtspopulisten im ländlichen Raum, die sich seit Langem von der Elite in Paris vernachlässigt fühlen, punkten. Le Pens Partei erspart sich eine Kampagne für die EU-Wahl.