Beziehungen wirken heilsam
Nicht jeder Krebspatient braucht eine Psychotherapie, doch beinahe jeder könnte von ihr profitieren. Denn: Eine gute psychische Disposition wirkt sich positiv auf den Krankheitsverlauf aus.
Krebserkrankungen sind so individuell wie die Menschen, die von ihnen betroffen sind. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Ihre Diagnose ist ein Schock für Patienten und Angehörige. Hier bieten Psychoonkologen – also entsprechend fortgebildete Psychologen, Psychotherapeuten und Ärzte – Unterstützung.
Die Psychologin Nadja Fritzer betreut in ihrer Praxis Krebspatienten. Ihrer Erfahrung nach würden sich Betroffene im Moment der Diagnosestellung oft erstmals ihrer Endlichkeit bewusst: „Gefühle wie Angst, Trauer, Wut und Verzweiflung sind häufig und völlig menschlich.“Die Ungewissheit bezüglich des Behandlungserfolges komme ebenso hinzu wie ganz pragmatische Fragen: „Wer kümmert sich während der Behandlung um die Kinder? Wird meine Partnerschaft daran zerbrechen? Verliere ich meinen Job?“, nennt Fritzer häufige Sorgen ihrer Patienten.
Den Patienten kennenlernen
„Psychoonkologische Gespräche fußen auf dem biopsychosozialen Modell, welches den Körper, die Psyche und soziale Faktoren in Belastungssituationen einbezieht“, erklärt Markus Hutterer, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Psychoonkologie (ÖGPO) und stellvertretender ärztlicher Leiter des Spezialbereiches Neuroonkologie und Neuropalliative Care am Krankenhaus der Barmherzigen
Brüder in Linz. „Wichtig ist, den Menschen als Individuum mit seiner Lebensgeschichte kennenzulernen.“Manche hätten aufgrund früherer Krisenerfahrungen bereits Resilienzfaktoren entwickelt, anderen müsse der emotionale Umgang mit Ausnahmesituationen erst nähergebracht werden.
Die psychologische Begleitung wird dem Patienten idealerweise bereits im Krankenhaus bei Diagnosestellung als Teil des Behandlungskonzepts angeboten, kann jedoch zu jedem Zeitpunkt begonnen
werden. „In der Therapie werden Ängste, Belastungen und negative Gedanken identifiziert und aufgelöst“, so Fritzer. Wichtig sei auch, die Ressourcen des Patienten zu analysieren und zu stärken: „Die Betroffenen handlungsfähig zu machen ist wichtig, denn Krebspatienten haben häufig ein Gefühl des Ausgeliefertseins.“Häufig präsentierten Betroffene auch Komorbiditäten, wie etwa depressive Episoden oder Angststörungen, die im Rahmen der klinischpsychologischen Behandlung bearßiger
beitet würden. „Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die psychologische Behandlung darauf abzielt, das Leben mit oder nach einer onkologischen Erkrankung besser zu bewältigen“, sagt Fritzer.
Verbesserte Compliance
Hutterer zufolge wirkt die psychoonkologische Unterstützung auf mehreren Wegen positiv auf den Krankheitsverlauf: „Wenn der Patient wieder Sinn im Leben sehen kann, werden Therapien eher umgesetzt und Medikamente regelmäeingenommen.“Auch liefere das relativ junge Forschungsfeld der Psychoimmunologie Hinweise darauf, dass biopsychosoziale Belastungsfaktoren, die den Patienten in eine chronische Stresssituation bringen, negativ auf Immunsystem und Regeneration wirken. Hutterer: „Betroffene werden anfälliger für Infektionen, die Wundheilung ist verlangsamt, Verhalten und Emotionen verändern sich.“
Betroffene fühlten sich häufig krank, müde, antriebslos, ängstlich und niedergeschlagen, was zu einem krankheitsbedingten Rückzug führen und wieder eine Stressreaktion begünstigen könne.
„In der Psychoonkologie versucht man, diesen Teufelskreis von Beginn an zu durchbrechen, um ungünstigen Effekten auf den Krankheitsverlauf vorzubeugen“, erörtert Hutterer und nennt einen weiteren wesentlichen Punkt: „Der Therapeut nimmt den Patienten wahr und spürt, wie es ihm geht, um ihn mit geübten Fragetechniken zu begleiten.“Dadurch komme es zu einer Beziehung, was Auswirkungen auf den Behandlungsverlauf haben kann.
„Beziehungen sind heilsam“, weiß Hutterer. „Allein der Umstand, dass der Patient einen Ansprechpartner hat, der ihn begleitet, führt dazu, dass sich seine Prognose verbessert.“Dies gelte selbst in schweren Fällen: „Palliativpatienten, die bereits in einer frühen Phase psychoonkologisch begleitet wurden, leben länger und mit besserer Qualität.“