„KI-generierte Songs höre ich sicher nicht an“
Mit seinem fünften Album, „Bitter Sweet Love“, hat James Arthur wieder Platz eins der britischen Charts erobert. Am 24. Februar gastiert er im Wiener Gasometer.
Nur die allerwenigsten, die an Castingshows teilgenommen haben, entwickeln sich zu ernsthaften Künstlern. Der 1988 im englischen Middlesbrough geborene James Arthur ist so eine Rarität. Das liegt zum einen an seinem markanten Tenor, der gerade die richtige Menge an Pathos transportiert, zum anderen an der authentischen Art, mit der James mit seinen persönlichen Krisen umgeht. 2012 gewann er „X-Factor“. Zum über ihn hereinbrechenden kommerziellen Erfolg gesellten sich Depressionen, Alkoholismus, Tablettensucht. Am erhöhten Erwartungsdruck lag es angeblich nicht. „An sich mag ich Stress“, beteuert er. „Ich surfe für gewöhnlich auf ihm. Ohne Druck gäbe es keine Diamanten. Aber zu gewissen Zeiten machte ich mir selbst zu viel Druck. Auch auf die Gefahr hin, dass es mich psychisch zerreißt, habe ich gute Songs geschrieben. Das macht mich stolz.“
Trotz des Erfolgs musste er zeitweilig kürzertreten. Seine Panikattacken bekämpfte er erfolgreich, die Depressionen waren hartnäckiger. „Ich glaube nicht, dass man sie wirklich überwinden kann. Sie bleiben immer Teil von mir. Selbstbeobachtung ist wichtig. Ich weiß, was ich tun muss, um stabil zu bleiben.“Das mag für ihn wichtig sein, für die Kunst ist es für gewöhnlich gefährlich. Nicht so bei James Arthur. Die Lieder seines fünften Albums, „Bitter Sweet Love“, sind zwar aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz geschöpft, aber keinesfalls autobiografisch. Er erfand sich ein Figurenkabinett, das die eigenen inneren Konflikte dramatisch aufarbeitet und so dem Publikum reichlich Möglichkeiten zum Andocken bietet.
Bereits zweites Nummer-eins-Album
Eine Strategie, die sich als erfolgreich erwies. „Bitter Sweet Love“ist sein zweites Nummereins-Album in Großbritannien. Seine jüngsten Experimente mit Hip-Hop und Trap waren nicht so beliebt wie der aktuelle Mix aus Rock und Soul. Noch nie waren die Gitarren so dominant wie auf dem neuen Opus. Für diese markante Verschiebung der Soundtektonik hat er Steve Solomon reaktiviert, mit dem er schon den Nummer-eins-Hit „Say You Won’t Let Go“produziert hat. „Mein eigenes Können auf der Gitarre reicht gerade mal aus, um einen Song zu skizzieren. Wenn wir gemeinsam spielen, kann ich mich so richtig treiben lassen. Bei unseren Sessions dominieren die rohen Instinkte, ganz so wie ich es von den Arbeiterclubs in Erinnerung habe, die ich als Bursche besucht habe.“
Der Traum von James war es immer schon, dass seine Lieder eine „lifechanging quality“haben. Etwa wie die Filme eines Christopher Nolan. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr mich seine Art von Kino emotional bewegt. So eine Wirkung wünschte ich mir auch für meine Lieder, die für mich wie Kurzfilme sind.“
Seine Stimme umfasst 3,6 Oktaven
Seine Songs sind gut gebaut und erstaunen mit kontrastreichem Sound, aber James’ größte Waffe ist seine Stimme, die exakt berechnete 3,6 Oktaven umfasst. Die AI-Technologie bietet bereits einen Stimmverwandler an, mit dem man das eigene Gepiepse per Knopfdruck auf das mächtige Niveau von James’ Organ hieven kann. Damit konfrontiert, lächelt Arthur James nur milde. „Ich glaube fest daran, dass die Leute nach einer Phase der Neugier menschengemachte Musik präferieren werden. Appetit auf Authentizität wird es immer geben.“
Wird künstliche Intelligenz dennoch die Popmusik verändern? „Bis vor Kurzem hätte ich das entschieden verneint. Als ich aber mitbekam, dass in Erwägung gezogen wird, ein KI-generiertes Lied für die Grammys vorzuschlagen, war ich schockiert. Sollte das passieren, wäre es wirklich vorbei. Es ist eine schräge Zeit. KI-Songs werden womöglich bald in den Charts sein. Eines kann ich sagen: Ich werde sie mir sicher nicht anhören.“
Die Vorstellung, dass Computer Gefühle aufbereiten, bereitet ihm Unbehagen. Das, was im Internet vorgeht, machte ihn zudem so nachdenklich, dass er dazu mit „New Generation“einen Song schrieb: „Suicide rates are higher, everybody’s going viral, picture perfect in denial, it’s the new corona virus“, konstatiert der 35-Jährige und träumt herrlich naiv von einem Neuanfang. „Let’s start a new generation“, lautet seine kuriose Losung. „Es soll ein humorvoller Beitrag sein, aber im Kern braucht es schon neue Formen der Zusammenarbeit. Der Hass im Netz ist nur schwer auszuhalten.“