EU-Parlament stimmt für Gentechnik
Europaabgeordnete nehmen den Vorschlag der EU-Kommission an, „sanft“manipulierte Pflanzen zuzulassen.
Straßburg.
Für Sarah Wiener, die Europaabgeordnete der österreichischen Grünen, ist es ein „Desaster für Landwirtschaft und Umwelt“, für Peter Liese (CDU), den umweltpolitischen Sprecher der Europäischen Volkspartei, ist es hingegen ein „ausgewogener Vorschlag, der die Wünsche des Ökolandbaus berücksichtigt“. Die Rede ist von der Gesetzesvorlage zur Regulierung von Pflanzen, die mit Neuen Genomischen Techniken (NGT) gewonnen wurden. Bei dieser Technik werden Pflanzen und Saatgut mittels Genschere manipuliert und um von den Wissenschaftlern erwünschte Merkmale ergänzt – etwa Resistenzen gegen Hitze oder einen geringeren Wasserbedarf.
Das Europaparlament hielt am gestrigen Mittwoch die Argumente der Volkspartei für überzeugender: Die EU-Parlamentarier stimmten in Straßburg mit 307 zu 263 Stimmen (bei 41 Enthaltungen) gegen die Beibehaltung der bisherigen restriktiven Maßnahmen für genetisch veränderte Organismen (GVO) und für den verstärkten Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft.
Worum geht es bei der Reform? Im vergangenen Juli hatte die EUKommission unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine und der daraus resultierenden Teuerung bei Agrarprodukten vorgeschlagen, den Umgang mit Gentechnik zu lockern, um den Output der europäischen Landwirtschaft zu steigern – und so die damals grassierende Lebensmittelinflation zu senken. Als weitere Argumente führte die Brüsseler Behörde den Anpassungsbedarf an den Klimawandel sowie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bauern gegenüber Agrarkonzernen aus Übersee ins Feld.
Zwei Gentech-Kategorien
Der Gesetzesvorschlag teilt gentechnisch veränderte Pflanzen in zwei Kategorien ein. Die erste Kategorie umfasst „sanft“(d.h. mit maximal 20 Eingriffen ins Erbgut) manipulierte Pflanzen, deren genetische Veränderungen theoretisch auch mit traditionellen Methoden (sprich Kreuzungen) möglich wären. Bei diesen Pflanzen sollen künftig die Regeln zur Risikobewertung gelockert werden. In der Kategorie 1 soll das Saatgut kennzeichnungspflichtig bleiben, nicht aber die Pflanze bzw. das aus ihr erzeugte Lebensmittel selbst – wobei nach Vorstellungen des EU-Parlaments eine Liste aller NGT-Pflanzen der Kategorie 1 erstellt und im Internet veröffentlicht werden soll. Auf diese Weise will man verhindern, dass genetisch veränderte Saaten in die Biolandwirtschaft gelangen, denn Ökobauern sollen weiter damit werben können, gentechnikfrei zu produzieren.
Anders sieht die Sache bei der zweiten Kategorie aus. Sie umfasst genetisch veränderte Organismen, deren Veränderungen nicht ohne menschliches Zutun zustande kommen können, weil sie beispielsweise artfremdes Erbgut einschleusen. Hier sollen die Kennzeichnungspflichten und die Risikobewertung streng bleiben.
Der Entwurf, der nun mit der Position der EU-Mitgliedstaaten im Rat in Einklang gebracht werden muss, enthält weitere Elemente. Unter anderem soll die Patentierung von NGT-Pflanzen verboten werden, um Landwirte nicht von Saatgutkonzernen abhängig zu machen.
Kritiker der Methode lassen die Argumente der Befürworter nicht gelten. Sarah Wiener von den Grünen wies am Mittwoch in ihrer Aussendung darauf hin, dass derzeit bei knapp der Hälfte der weltweit angebauten Genpflanzen die Manipulationen einzig darauf abzielen würden, sie gegen Unkrautvernichtungsmittel resistent zu machen. „Andere Eigenschaften, wie Trockenresistenz, stehen nicht auf der Prioritätenliste der Konzerne“, so die Europaabgeordnete.
Auch die Umweltschutzorganisation Global 2000 sprach von einer „desaströsen Abstimmung“, bezeichnete allerdings die „minimale Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit“als „Silberstreif am Horizont“. Die Forderung nach einem Patentverbot hält Global 2000 allerdings für unrealistisch: „Patente werden nach dem Europäischen Patentübereinkommen erteilt, das kein EU-Vertrag ist.“
Keine negativen Auswirkungen
Befürworter der Genschere nahmen das Abstimmungsergebnis jedenfalls mit Erleichterung auf: „Forschende haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es keinen Hinweis auf negative Auswirkungen der neuen genomischen Verfahren gibt“, so Heinz Faßmann, der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.