Endlich Apokalyptisches in Graz!
Schauspielhaus. Mit 91 Jahren Verspätung hatte in Graz Maria Lazars Zeitstück „Der Nebel von Dybern“Premiere. Regie: Johanna Wehner. Gut, pädagogisch wertvoll, anstrengend.
Die Premiere hat noch gar nicht richtig begonnen, da raucht oder nebelt es im Schauspielhaus hinten auf der Bühne. Um Gottes Willen! Brennt es dort? Tragen die Schwaden böse Keime in sich? Ist es Giftgas oder gar ein Symbol für die tödliche Wirkung der Nazis? Das sind berechtigte Fragen, denn wir befinden uns in der Erstaufführung eines Stückes von Maria Lazar in Graz.
„Der Nebel von Dybern“war in der steirischen Landeshauptstadt ursprünglich für 1933 geplant. Doch dazu kam es nicht. Die 1895 in Wien geborene jüdische Autorin ging am Ende der Ersten Republik und zu Beginn der NS-Zeit ins Exil. Sie kehrte nie mehr nach Österreich zurück. 1948 wählte sie in Schweden den Freitod. Fast vergessen waren da in ihrer Heimat ihre Romane und Dramen. Seit zehn Jahren aber erleben Lazars Werke eine Renaissance: Im Akademietheater wurden ihr Einakter „Der Henker“2019 sowie „Die Eingeborenen von Maria Blut“2023 aufgeführt. Es folgte im Herbst im Wiener Theater Nestroyhof Hamakon die Premiere der geradezu prophetischen Dybern-Apokalypse, inszeniert von Bérénice Hebenstreit. Soeben wird auch in Graz das Versäumnis nachgeholt, unter Johanna Wehners Regie.
Es ist erfreulich, dass sich das Schauspielhaus unter Intendantin Andrea Vilter Wiederentdeckungen widmet. Sie eröffnete ihre erste Saison mit einem Trauerspiel Christiane Karoline Schlegels von 1778. Jetzt kriegt Lazar die Hauptbühne mit einem kantig-expressionistischen, pathetischen Stück, zu dem sie vom Giftgashorror im Ersten Weltkrieg bei Ypern angeregt wurde, von einem mutmaßlichen Chemieunfall in Belgien und wohl auch vom politischen Gift der Dreißigerjahre. Der Plot: Im Wirtshaus verbreiten sich Gerüchte über tödlichen Nebel im Wald. Erst welken Pflanzen, dann sterben Tiere, schließlich Menschen. Als der Nebel wie befürchtet über die Stadt kommt, in der es eine Chemiefabrik gibt, herrscht Ausnahmezustand. Unruhen in der verängstigten Bevölkerung und der knallharte Einsatz von Militär werden berichtet. Zuflucht finden die Massen in einem als Kino getarnten Bunker. Auch dort gibt es schließlich Verheerung.
„Es ist eine schlechte Luft in der Welt“
Wie hat Wehner die Inszenierung angelegt? Sie ist nicht so verspielt wie jene im Nestroyhof, wo nur drei Darstellende vielfach agierten, sondern weitaus ernster. Auch in Graz wurde verknappt; statt zwanzig Darstellern neun. Dynamischer wird es in fast 100 Minuten dadurch aber nicht. Wiederholungsmuster in Mimik, Gestik und dräuenden Schlüsselsätzen geben der Aufführung massiv Getragenheit. Die Regie nimmt Lazar bitterernst. Aus gutem Grund, aber das Ganze wirkt doch allzu statisch und, wenn sich der Zeigefinger hebt, wie ein altes Lehrstück: Pädagogisch wertvoll! Das ist historisch sogar stimmig und passt zu den Dreißigerjahren. Soll man es wiederbeleben? Unbedingt! Aber in Graz überwiegt die Pflicht die Neigung.
Das Bühnenbild Benjamin Schöneckers erweist sich als praktisch. Es muss nie umgebaut werden. Drei Orte der Handlung sind immer simultan zu sehen, mit realistischen
Elementen in einem insgesamt absurden Set : Links vorne eine niedere Mauer, die eine Art Kleingarten eingrenzt, darüber eine Girlande bunter Glühbirnen. Das ist das „Wirtshaus am Rand“. Hinten ein breiter Aufgang mit Glastüren, wie zu einem öffentlichen Gebäude aus der Zeit der Großeltern. Rechts ein Haus mit zwei Stockwerken und davor eine schmale Treppe steil nach unten. Sie symbolisieren wohl die Fabrik und das Kino im Keller. Dazwischen viel leerer Raum.
Den nutzt das Ensemble für seine gemessen choreografierten Gruppenbilder und Soli. Die laufen nach den immergleichen Mustern ab. Sebastian Schindegger gibt stets den wissenden, gramgebeugten Arzt, Tim Breyvogel kunstvoll den überforderten Generaldirektor der Fabrik und Otiti Engelhardt überzeugend seine human gesinnte Gattin. Thomas Kramer spielt den stets zum Widerstand bereiten Arbeiter, Simon Kirsch zeigt immerwährend, dass Giftgastechniker arrogant sind, und Anna Klimovitskaya, dass selbst die Heilsarmee überfordert sein kann.
Den Grundton vermitteln vor allem zwei Frauen: Anke Stedingk erzeugt als hellhörige Kathrine mit ihrem „Jaja“und „Es ist eine schlechte Luft in der Welt“wie eine Seherin eine unheimliche Atmosphäre. Die unheilschwangere Musik (Vera Mohrs) passt dazu. Marielle Layher als gravide Frau des Wirtes (Mario Lopatta) ist mit ähnlichen Ausdrucksmitteln präsent. Kaum kann sie der meist moderierende, angepasste Ehemann beruhigen. Sie trägt bei all ihrem beherzten Einsatz die Tragik dann doch zu penetrant vor sich her. Fazit: In schlimmen Zeiten muss man mehr erleiden als zu ertragen ist.