Wer weiß es besser, Robert Habeck oder der Physiknobelpreisträger?
Ohne Atomkraft werde die Energiewende in Deutschland „eine enorme Herausforderung“, meint ein hochdekorierter US-Wissenschaftler.
Vor dieser Biografie kann man nur ehrfürchtig den Hut ziehen: Steven Chu, 75, ist Professor für Physik an der Universität Stanford. Er gewann 1997 den Physiknobelpreis. Er war von 2009 bis 2013 Energieminister im Kabinett von US-Präsident Barack Obama. Er wurde mit wissenschaftlichen Auszeichnungen überhäuft und ist Träger von mehr als 30 Ehrendoktortiteln der weltweit renommiertesten Universitäten.
Die Vermutung liegt also nahe, dass Steven Chu ungefähr weiß, was er sagt, wenn er sich zu einem seiner Fachgebiete äußert. Das tat er vor ein paar Tagen in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Dem deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister, Robert
Habeck, werden die Einschätzungen des Herrn Professors nicht sonderlich gefallen haben.
Steven Chu hält es nämlich für „eine enorme Herausforderung“, die Energiewende ohne Atomkraft durchziehen zu wollen, wie Deutschland das bekanntlich beschlossen hat. Große Teile der Industrie seien auf eine stabile, preisgünstige Stromversorgung angewiesen, merkt Chu an. „Wenn einzelne Leute also sagen, sie wollen dies nicht, sie wollen das nicht, sie wollen keine Atomkraft, sie wollen auch keine Kohle, sie können alles mit erneuerbaren Energien hinbekommen, dann betreiben diese Menschen offenkundig keine Halbleiterfabriken, keine Chemiefabriken oder Fertigungswerke.“Gerade von grünen Politikern kämen viele Falschinformationen, meint Chu. „Es geht nicht allein darum, was wir wollen. Es geht darum, was die beste Lösung ist. Ist uns Wohlstand wichtig? Wollen wir die Umwelt erhalten und die Gesundheit der Menschen? Wenn man all das zusammennimmt, dann sieht die Atomkraft nicht mehr so übel aus.“
Österreich wird in dem Interview nicht erwähnt, darf sich aber mitgemeint fühlen. Bei uns ist die Ächtung der Kernenergie ja eine Art Staatsreligion, und der missionarische Eifer geht weit über die Landesgrenzen hinaus. Jedes Nachbarland, das über den Ausbau der Produktion
auf eigenem Territorium auch nur laut nachdenkt, riskiert diplomatische Verwicklungen. Erst vor einem halben Jahr herrschte etwa Aufregung in Kärnten, als bekannt wurde, dass der Neubau des slowenischen Atomkraftwerks Krško größer ausfallen könnte als bisher geplant. Diese Art der Stromerzeugung stelle ein „niemals zu bändigendes, monströses Sicherheitsrisiko“dar, erklärte der Kärntner Landeshauptmann, Peter Kaiser, damals.
Ob Atomkraftwerke nicht viel zu gefährlich seien, wird Steven Chu im Interview natürlich auch gefragt. Er antwortet mit ein paar Zahlen aus der Statistik: Am gefährlichsten sei die Energiegewinnung aus Braunkohle mit 33 Todesopfern je erzeugter Terawattstunde Strom, gefolgt von Steinkohle mit 25 und Öl mit 18 Toten. Kernkraft liege bei 0,03 Opfern, alle einschlägigen Unfälle mitgezählt, und sei damit sogar besser als Wasserkraft und Windräder. „Und wir haben noch nicht einmal über das viele Kohlendioxid gesprochen, das die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas freisetzt. Das ist verrückt. Die Öffentlichkeit muss das verstehen“, mahnt der Experte.
Die ideologische Enge der Debatte in Deutschland und Österreich ist beklemmend.
Natürlich kann man trotzdem gegen den Betrieb von AKW sein. Wie so oft im Leben und in der Politik gibt es auch bei diesem Thema nicht bloß eine Realität, mit der sich alle abfinden müssen. Beklemmend ist allerdings die ideologische Enge der Debatte in Deutschland und Österreich. Inhaltlich argumentiert wird fast gar nicht mehr, stattdessen kommen nur die ewig gleichen Katastrophenszenarien. Wir fürchten uns, das muss als Grund für die Dämonisierung einer erprobten Technologie gefälligst reichen.
Die deutsche Wirtschaft wird nach dem Dämpfer im Vorjahr auch in den kommenden Monaten nicht wachsen, ergab eine aktuelle Umfrage der Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Eine schlechte Nachricht? Nur bedingt. Wenigstens wird der Strombedarf bis auf Weiteres nicht steigen.