Mehr Freiheit für EU-Bauern
Die EU-Agrarminister und die Kommission versprechen den protestierenden Bauern weniger Kontrollen und neue Schranken gegen Billigimporte.
Brüssel/Wien. Die Bauernproteste laufen aus dem Ruder. Nachdem am Wochenende 160 Tonnen ukrainischer Mais von unbekannten Tätern im polnischen Bahnhof Kotomierz aus einem Güterzug gekippt wurden, protestierte die Regierung in Kiew gegen diesen bereits vierten Akt von Vandalismus. Polens Bauern demonstrieren seit Wochen gegen die EU-Agrarpolitik und insbesondere gegen Billigimporte aus der Ukraine. Dass die Maislieferung eigentlich gar nicht für Polen oder ein anderes EU-Land bestimmt, sondern auf dem Weg zum Danziger Hafen war, um in Drittländer verschifft zu werden, macht zwar die Absurdität der Protestaktion deutlich, reduzierte aber nicht den Druck auf EU-Regierungen und die EU-Kommission, den Bauern Reformen anzubieten.
Beide wollen nun liefern. Am Montag berieten die EU-Agrarminister über ein ganzes Paket an Reformen, das landwirtschaftliche Betriebe in der Europäischen Union entlasten soll. Denn neben dem Ärger über Billigkonkurrenz aus dem umkämpften Nachbarland, der vor allem in Osteuropa weitverbreitet ist, richtet sich der Protest gegen ständig wachsende bürokratische Auflagen und gegen neue Umweltschutzmaßnahmen. Deutschlands Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir (Grüne), nannte die Gemeinsame EU-Agrarpolitik vor der Sitzung ein „Bürokratiemonster“. Landwirte müssten mit Klima- und Artenschutz „gutes Geld verdienen“können, anstatt dass sie über das „Ordnungsrecht“zu Umweltmaßnahmen gezwungen würden, so der Politiker.
Liste von Erleichterungen
Die EU-Kommission hat den Ministern am Montag eine Liste möglicher Erleichterungen vorgelegt, die den Spielraum der Bauern bei der Wahl ihrer Produktion vergrößern und die notwendigen Voraussetzungen und Kontrollen für das Erhalten von Agrarsubventionen erleichtern sollen. Die wichtigsten Punkte sind:
Auflagen für das Erhalten von Graslandflächen sollen stark reduziert werden. Landwirtschaftliche Betriebe, die von der Viehzucht auf Ackerkultur umstellen wollen, sollen für die Umwandlung des Weidelands keine Auflagen mehr berücksichtigen müssen. Damit können sie rascher als bisher auf Marktstörungen etwa im Fleisch- und Milchsektor reagieren.
Die bürokratischen Voraussetzungen für den Erhalt von Direktzahlungen aus dem EU-Agrarbudget sollen reduziert werden. Betriebe mit weniger als zehn Hektar sollen von Kontrollen im Zusammenhang mit der Einhaltung von Auflagen für den Erhalt von Förderungen mittelfristig ausgenommen werden. Insgesamt sollen die Kontrollbesuche durch die nationale Verwaltung (sie ist auch für die Weiterleitung von EU-Geldern zuständig) vor Ort um bis zu 50 Prozent reduziert werden.
Die Vorschläge sehen auch vor, dass die Umweltauflagen für brachliegende Flächen, die Fruchtfolge und jene zur Bodenbedeckung überarbeitet werden. Auch damit sollen die Beschränkungen für Landwirte verringert werden.
Das System zur Flächenüberwachung, das viele zeitaufwendige Kontrollen bedingt und immer wieder zu Rückzahlungen und zusätzlichem Aufwand für Bauern sorgt, soll gestrafft werden. Es soll durch die bereits angewandte Satellitenüberwachung automatisiert werden. Dadurch soll es zu weniger Fehlern und Sanktionen kommen.
Präzisiert sollen die Begriffe „höhere Gewalt“und „außergewöhnliche Umstände“werden, unter denen Bauern die Auflagen für EU-Subventionen nicht erfüllen müssen. Insbesondere bei Ereignissen wie Dürre oder Überschwemmungen sollen die Landwirte sicher sein, dass ihnen EU-Gelder nicht gekürzt werden. Außerdem wird die EU-Kommission eine Online-Umfrage starten, bei der Bauern ihre Probleme bei der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik auflisten können. Das Ergebnis soll im Herbst dieses Jahres veröffentlicht werden und weitere Reformen bewirken.
Lösung für Billigimporte
Bei den Importen von Agrarprodukten aus der Ukraine soll es künftig Schranken geben. Zwar wollen die EU-Kommission und zahlreiche Mitgliedstaaten das Aussetzen von Zöllen für ukrainische Agrarimporte bis Juni 2025 verlängern. Im Fall von Verwerfungen an den europäischen Märkten durch Preisdumping soll es jedoch zu Einschränkungen kommen. Automatisch werden diese ergriffen, sobald mehr Geflügel, Eier und Zucker aus der Ukraine auf den EU-Markt gelangen als im Schnitt der Jahre 2022 und 2023. In diesem Fall werden Zölle für diese Produkte umgehend wieder eingeführt.
Ungeachtet der Vorschläge haben polnische Bauern am Montag einen Grenzübergang nach Deutschland blockiert. Sie protestierten mit der Aktion, die den Verkehr zwischen Berlin und Warschau stundenlang lahmlegte, allerdings diesmal nicht gegen Billigimporte aus der Ukraine, sondern gegen neue Umweltauflagen in der EU.