Konklave der iranischen Mullahs
Im Iran wird am Freitag nicht nur über das Parlament abgestimmt. Auch die 88 Mitglieder des Expertenrates werden gewählt. Sie haben eine wichtige Rolle. Denn sie bestimmen, wer als Revolutionsführer das Land beherrscht.
Istanbul/Teheran. Er ist eines der mächtigsten Gremien der Islamischen Republik Iran, auch wenn er nur selten in Erscheinung tritt: der sogenannte Expertenrat. Gemeinsam mit der Parlamentswahl wird am Freitag im Iran auch über die Zusammensetzung dieses Rates abgestimmt. Seine 88 Mitglieder entscheiden die wichtigste Frage im Staat: Wer wird Revolutionsführer auf Lebenszeit und damit der mächtigste Mann im Iran? Weil Amtsinhaber Ali Khamenei bald 85 Jahre alt wird, könnte sich die Nachfolgefrage in der neuen achtjährigen Amtsperiode des Rates bis 2032 stellen. Potenzielle Kandidaten für Khameneis Posten laufen sich schon warm.
Reformer wurden ausgeschlossen
Als Klerikerversammlung besteht der Expertenrat aus ausgewiesenen Experten für islamisches Recht. Der Rat kann den Revolutionsführer nicht nur wählen, sondern notfalls auch absetzen. Letzteres ist allerdings nur eine theoretische Möglichkeit: Khamenei, der 1989 vom damaligen Expertenrat gewählt wurde, sorgt seit 35 Jahren an der Macht stets dafür, dass der Rat von loyalen Gefolgsleuten beherrscht wird.
Er tut das über ein anderes Gremium, den sogenannten Wächterrat. Dessen zwölf Mitglieder, die direkt oder indirekt von Khamenei ernannt werden, suchen die Kandidaten für den Expertenrat nach dem Geschmack des Revolutionsführers aus. Die Kandidaten für den Expertenrat, die sich an diesem Freitag dem Volk zur Wahl stellen dürfen, sind also bereits vom Regime abgesegnet worden. Prominente Reformpolitiker wie Ex-Präsident Hassan Rohani wurden nicht zur Wahl zugelassen.
Dass diesmal noch mehr als sonst auf Linientreue der Mullahs im Expertenrat geachtet wird, hängt mit Khameneis Alter und Gesundheitszustand zusammen. Schon seit 1981, als er bei einem Attentat verletzt wurde, kann er seinen rechten Arm kaum gebrauchen. Vor zehn Jahren wurde Khamenei wegen Prostata-Krebs operiert; 2022 verschwand er mehrere Wochen von der Bildfläche, was Spekulationen über eine neue schwere Krankheit anheizte. Inzwischen ist Khamenei zwar wieder obenauf. Doch Spekulationen über seine Nachfolge haben längst eingesetzt.
Arash Azizi, Iran-Experte an der Clemons-Universität in den USA, erwartet vom Ausgang der Wahl am Freitag Hinweise auf die politische Stärke der verschiedenen Lager,
die sich auf die Zeit nach Khamenei vorbereiten. Der Machtkampf wird ausschließlich im Lager der Hardliner ausgetragen, weil die Reformkräfte durch den Ausschluss ihrer Kandidaten von der Macht ferngehalten werden und deshalb zum Boykott der Wahlen aufrufen, schildert Azizi der „Presse“. Die Konkurrenz zwischen den Hardliner-Fraktionen wird nach seiner Einschätzung schärfer, „weil dies wahrscheinlich die letzten Wahlen sind, bevor Khamenei stirbt“. Für die Zeit nach Khameneis Tod erwartet Azizi „eine Krise wegen der Frage der Nachfolge“.
Schon seit längerer Zeit machten Gerüchte die Runde, Khameneis 54-jähriger Sohn Mojtaba solle den geistlichen Rang eines Ajatollahs
erhalten, eine Voraussetzung für das höchste Amt in der Islamischen Republik. Auch der 63-jährige Präsident, Ebrahim Raisi, hat Chancen, Khamenei zu beerben.
Der Revolutionsführer schweigt
Nach Angaben eines Mitglieds des Expertenrats, Ajatollah Rahim Tavakol, hat ein Ausschuss des Rates damit begonnen, eine Liste mit potenziellen Nachfolgern für Khamenei zusammenzustellen. Der Revolutionsführer selbst kann bei der Regelung seiner Nachfolge ein wichtiges Wort mitreden, indem er einen Wunschkandidaten benennt. Bisher schweigt Khamenei dazu, aber vielleicht ändert sich das nach den Wahlen.