Leider gibt es nichts Schriftliches
Was der Westen mit der Sowjetunion ab 1990 aushandelte.
War die deutsche Wiedervereinigung am Beginn der Neunzigerjahre ein falsches Spiel des Westens mit der damals auf dem Boden liegenden Sowjetunion? Hatten Amerika, England und Frankreich den Russen versprochen, die Nato werde auf keinen Fall weiter nach Osten vorrücken? Michail Gorbatschow behauptete dies später bis zu seinem Tod, und Putin begründete all das, was dann kommen sollte, mit diesem angeblichen „Verrat“und dem Bruch völkerrechtlicher Verträge durch die Westmächte.
Aber war das so? Was wurde damals nach mühsamen Verhandlungen zu Papier gebracht, unterzeichnet und von den Parlamenten ratifiziert? Mary Elise Sarotte, die an der Johns Hopkins School lehrt, hat die Vorgänge Schritt für Schritt überprüft und mit „Not One Inch“für Aufregung gesorgt. Die deutsche Übersetzung liegt nun vor.
Die Idee, dass es nach dem Kalten Krieg keine Erweiterung der Nato geben solle, geisterte lang durch die Vorstellungen der verantwortlichen Politiker des Westens. US-Außenminister James Baker, sein bundesdeutscher Kollege Hans-Dietrich Genscher und der letzte sowjetische Präsident Michail Gorbatschow sprachen mehrmals darüber, doch im Februar 1990 fand US-Präsident George H. W. Bush diese hypothetische Idee für unnötig und unklug. Genscher hielt die Überlegung aber weiter am Leben: Die Nato werde ohnedies in einer größeren Organisation „aufgehen“.
Der Deal im Hotelzimmer
Dem Westen waren drei Ziele wichtig für einen Abschlussvertrag: Der Nato müsse erlaubt werden, ihre Sicherheitsgarantie auf das Gebiet der – noch existierenden – DDR auszudehnen; deutsche und nicht deutsche Truppen sollten die innerdeutsche Grenzlinie des Kalten Kriegs überschreiten dürfen (sobald die Rote Armee abgezogen war); beide Ziele sollten ohne das ausdrückliche Verbot einer künftigen Bewegung nach Osten erreicht werden.
Erst nach einer dramatischen nächtlichen Szene in Bakers Moskauer Hotelzimmer beendete Genscher die Pattsituation. Die beiden Außenminister ergänzten den Vertrag durch eine „vereinbarte Protokollnotiz“: Ausländische (also nicht deutsche) Nato-Truppen sollten die frühere innerdeutsche Grenze überschreiten dürfen, sofern dies nicht eine „Verlegung“genannt werde.
So wurde es beschlossen, Moskau unterzeichnete, die Sowjetunion ratifizierte den Vertrag und kassierte die damit verbundenen Geldgeschenke. Doch die Erinnerung an die einstigen spekulativen Äußerungen über eine Nichterweiterung beschäftigte weiter die Diplomatie in Ost und West. Der Kreml beharrte auf dem Standpunkt, dass er nur einer begrenzten Aktivität der westlichen Allianz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zugestimmt habe, mit der Implikation, dass solche Sätze für andere Länder fehlten. Die NatoVerbündeten hingegen argumentierten – und bleiben bis heute dabei –, dass der Vertrag eine Erweiterung auf Länder östlich von Deutschland erlaube, weil er den Präzedenzfall gesetzt habe, ausländische Truppen über die Grenzlinie des Kalten Kriegs vorzuschieben. Die Erbitterung Boris Jelzins verstärkte sich bei seinem Nachfolger Wladimir Putin. Am 17. Dezember 2021 verlangte er den Rückzug der Nato. Der Kern seiner Forderung war: Unterschreibt oder ich greife die Ukraine an!
Von da an war es nicht mehr weit bis zur heutigen Katastrophe.