Ist weniger wirklich mehr?
Sie versprechen ein preiswertes, ökologisches Leben auf kleinem Raum: Tiny Houses. Für wen sind sie interessant? Und stimmt das Narrativ des nachhaltigen Wohnens?
Mikrohaus, Singlehaus, Tiny House – die Begrifflichkeiten sind dehnbar, die Räumlichkeiten begrenzt. Ein gesetzlich definiertes Maß für eine Wohnnutzfläche, die sich als „tiny“definiert, gibt es in Europa in Gegensatz zu den USA (unter 37 Quadratmeter) zwar nicht, aber in der Regel werden zehn bis höchstens 45 Quadratmeter als „winzig“betrachtet. Der gemeinsame Nenner der Sonderform des Wohnens ist jedenfalls der Minimalismus.
Für temporäre Zwecke
Attraktiv scheint dieses Konzept vor allem für Personen zu sein, die ihren Aufwand nach dem Motto „Weniger ist mehr“hinsichtlich der Wohnraumgröße, der Grundstücksfläche sowie der damit verbundenen Kosten reduzieren möchten. Zur Zielgruppe gehören zudem Berufstätige oder Studenten, die temporär an einem anderen Standort Wohnraum benötigen, Haushalte, die ein Tiny House als Ferien- oder Wochenendhaus nutzen, oder Selbstständige und Gewerbetreibende, die ein Büro, Personalwohnungen oder Ferienhäuschen zu gewerblichen Zwecken im Sinn haben. Dass die stark eingeschränkte Wohnfläche die Nutzungsform mitbestimmt, wissen auch kommerzielle Anbieter, wie beispielsweise Christoph Höggemann, Mitgründer des Wiener Öko Start-ups Green Up: „Wir empfehlen Tiny Houses vor allem zu Ferienzwecken oder als Wochenendhaus, mit Option, dieses auch touristisch zu vermieten. Dadurch lässt sich ein großer Teil der Anschaffungskosten decken. Auf Dauer ist der kleine Wohnraum für viele nicht geeignet. Temporär hingegen schon.“
Nicht per se ökologisch
Unbestritten ist, dass die Minihäuser in den vergangenen Jahren stärker ins Gespräch gekommen sind. Das liegt wohl daran, dass sie auf den ersten Blick den Zeitgeist der Nachhaltigkeit zu treffen scheinen. Geringer Flächenverbrauch, wenig Energieaufwand, die Verwendung von natürlichen und regionalen Baumaterialien sowie das Angebot von Autarkie-Modulen (zum Beispiel: Wasserkreislauf mit Regenwassernutzung
und GrauwasserReinigung durch Pflanzen, Stromversorgung über die Sonne) – all das spricht für ökologisches und ökonomisches Wohnen auf wenig Raum.
Einen genauen Blick auf das Thema hat der Tiny House-Experte Christian Handwerk von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen geworfen. Seine Aussagen überraschen: „Ein Tiny House ist nicht per se eine ökologische und nachhaltige Form des Wohnens, weil es pro Person oder pro Quadratmeter Nutzfläche einen hohen Bedarf an Material, Grundfläche sowie Heizenergie hat.“Auch den vermeintlich geringen Flächenverbrauch betrachtet er kritisch: „Wenn ich dieses Haus auf einem Grundstück aufstelle, so beansprucht eine kleine Gebäudenutzfläche
die gesamte Grundstücksfläche. In klassischen Gebäuden teilen sich dagegen mehrere Menschen wertvolle Grundstücksfläche.“Das Konzept entspreche somit nicht den Interessen von Gemeinden, die ausgewiesenes Bauland intensiv nutzen möchten oder auf Nachverdichtung im Herzen der Gemeinde setzen.
Fußabdruck wird kleiner
Wesentlich positiver ist hingegen die Sicht der amerikanischen Umweltplanerin Maria Saxton. Anhand realer Daten von 80 Fallbeispielen weist Saxton nach, dass der ökologische Fußabdruck einer Person, die in ein Tiny House zieht, im Durchschnitt um 45 Prozent kleiner wird. Insgesamt, so Saxton, sei das Tiny House trotz aller Detailkritiken
eine eindeutig umweltfreundliche Variante des Wohnens.
Der Weg zum Mikrohaus kann in drei Varianten gegangen werden: Man plant und baut es sich gänzlich selbst, erwirbt vollständige Bausätze mit festem Bauplan oder kauft schlüsselfertig – je nach handwerklichen Fertigkeiten, Zeit- und Lustkapital. Und die gewählte Variante bestimmt auch den Preis. Laut der Tiny-House-Infoseite von Obi liegt der Selbstbaupreis für ein Tiny House mit durchgehender Dämmung und hochwertigen Materialien bei 20.000 Euro, Modelle mit festem Bauplan kosten zwischen 10.000 und 35.000 Euro.
Fix- und schlüsselfertig
Finanziell intensiver wird es, wenn ein schlüsselfertiges Häuschen auf dem Wunschzettel steht, das von
der Planung bis zur Schlüsselübergabe von einem Unternehmen verwirklicht wird. Je nach Art, Größe und Ausstattung bewegen sich hier die Preise zwischen rund 50.000 bis 150.000 Euro. An österreichischen Anbietern, die sich auf Kleinsthäuser spezialisiert haben, herrscht übrigens kein Mangel. Die Palette reicht unter anderem vom Wohnwagon rund um die heimische Szenepionierin Theresa Mai über die Wiener Firma Green Up oder das Grazer Commod House bis hin zu Zimmereien wie dem Familienbetrieb Kaufmann aus dem Bregenzerwald sowie Holzbau Poberschnigg, der Minihäuser im Tiroler Stil anbietet.
Die Lebensdauer eines solchen Tiny House variiert dabei je nach Bauart – das besagt eine Studie der deutschen Beratungsfirma Indi Viva. Einem Häuschen auf Rädern auf dem Stellplatz wird eine Haltbarkeit von zehn bis 15 Jahren attestiert. Eine erheblich längere Nutzungsdauer von mindestens 40 Jahren zeigt sich bei Minihäusern, die mit Baugenehmigung und Materialien in bauordnungsrechtlicher Zulassung errichtet wurden. Wie gut die Häuser saniert werden können, hängt ebenfalls von der Firma, der Art, der Nutzung und dem Zustand ab. Zweifellos gilt: Ein Tiny House ist nicht der Weg zu Immobilieneigentum und Altersvorsorge.
Probewohnen am Waldesrand
Wer den Charme eines Tiny House jedoch erleben möchte, ohne sich gleich eines anzuschaffen, kann in Österreich übrigens ein Probewohnen-Angebot wahrnehmen. So vermietet das Unternehmen Wohnwagon unter anderem im niederösterreichischen Gutenstein mehrere 18 bis 40 Quadratmeter große Mikrohäuser auf einer sonnigen Wiese am Waldesrand. Nach dem Vorbild Deutschlands sind hierzulande außerdem einige Tiny-House-Siedlungen in Planung, beispielsweise in Schneegattern in der oberösterreichischen Gemeinde Lengau. Hier entsteht gerade auf einem knapp 6000 Quadratmeter großen Pachtgrund für 88 Jahre das erste ME & ME Mikrohausdorf mit zwölf Häusern im Eigentum. Das Herzstück des Projekts bildet eine gemeinsame Begegnungszone. „Somit kann jeder für sich sein, hat aber auch die Möglichkeit auf ein Miteinander“, erklärt Designerin Simone Kamleitner. Die Inhaberin der Konzept- & Designagentur ME & ME spricht übrigens aus Überzeugung, lebt sie doch seit fünf Jahren selbst in einem 27 Quadratmeter kleinen Tiny House in Schleedorf.