Wo wohnt die Sprache im Hirn?
US-Forscher suchten nach Unterschieden zwischen mehr und weniger geläufigen Sprachen im Hirn. Das Ergebnis ist paradox.
Es gab das „Jahrzehnt des Gehirns“– ausgerufen Anfang der 1990er-Jahre durch US-Präsident George Bush senior –, es gab diverse „Jahre des Gehirns“– in Österreich etwa 2002, unter dem Motto „.Dein Gehirn kann mehr, als du denkst“–, es gab den „European Month of the Brain“, das war auf Wunsch der EU-Kommission der Mai 2013. Dagegen wirkt es geradezu bescheiden, dass alljährlich um die Iden des März an diversen Instituten eine „Woche des Gehirns“abgehalten wird. Etwa an der MedUni Innsbruck, auf deren Homepage man liest, es sei das Ziel dieser Woche, „der breiten Öffentlichkeit die komplexe Funktion des Gehirns und die Ergebnisse der Forschung auf diesem Gebiet näher zu bringen“.
Ein guter Anlass, sich einmal vor Augen zu führen, wie wenig die Wissenschaft über das Gehirn weiß. Etwa darüber, wie eine einzigartige Fähigkeit des Menschen, nämlich die Sprache, im Kopf zu verorten sei. Gewiss, man kennt einige beteiligte Areale, z. B. das Broca-Areal und das Wernicke-Zentrum. Aber ehrlicherweise spricht man doch am besten pauschal über ein „Sprach-Netzwerk“, das sich über viele Regionen des Schläfen- und Stirnlappens erstreckt, vornehmlich in der linken Hirnhälfte.
Am MIT erforscht eine Gruppe um Evelina Fedorenko dieses „language processing network“, und zwar anhand des Phänomens der Vielsprachigkeit. Die Forscher fanden 34 ausgesprochen polyglotte Menschen, die bereit waren, sich testen zu lassen: Alle sprachen mindestens fünf Sprachen, 16 Teilnehmer zehn oder mehr Sprachen, einer sogar 54. Dabei wurde darauf geachtet, dass alle Testpersonen eine eindeutige Muttersprache hatten, also nicht schon in ihrer Kindheit zwei- oder mehrsprachig waren.
Dann wurden jeder Testperson, während man ihre Hirnaktivität – besonders im Sprach-Netzwerk – mit einem bildgebenden Verfahren (fMRI) maß, Texte aus zwei Quellen vorgelesen: aus der Bibel und aus Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“. Und zwar in jeweils acht Sprachen: in ihrer Muttersprache, in je einer Sprache, die die Person laut eigener Angabe sehr gut, recht gut und mäßig beherrschte, sowie in vier ihr fremden Sprachen, wobei zwei zur selben Sprachfamilie gehörten wie ihre Muttersprache (z. B. Rumänisch und Französisch, wenn die Muttersprache Italienisch war) und zwei nicht.
Muttersprache: Weniger Aktivität
Ein Ergebnis scheint einleuchtend: Je besser eine Person eine Sprache beherrscht, umso aktiver ist ihr Sprachnetzwerk, wenn sie einen Text in dieser Sprache hört. Das gilt aber paradoxerweise nicht für die jeweilige Muttersprache: Sie aktiviert das Netzwerk viel weniger. Offenbar habe dieses mit der Muttersprache weniger Mühe, meint Fedorenko, „vielleicht weil man mehr Erfahrung mit ihr hat“. Nicht gerade eine konsistente Erklärung, hat man doch mit einer Sprache, die man besser spricht, auch „mehr Erfahrung“als mit einer, die man schlechter beherrscht.
Und wie verhält sich das Netzwerk beim Hören eines Texts in einer nicht geläufigen Sprache? Da ist es aktiver, wenn diese zur selben Familie gehört wie die Muttersprache. Das scheint wieder plausibel. Denn dann „versucht“das Netzwerk zumindest, bekannte Strukturen zu finden, bei ganz fremden Sprachen gibt es sozusagen gleich auf.
Offenbar verarbeitet das Gehirn jedenfalls Texte in der Muttersprache anders als Texte in später erworbenen Sprachen, so gut man diese auch beherrscht. Irgendwie naheliegend. Doch es verwundert, dass diese – immerhin in der Fachzeitschrift „Cerebral Cortex“publizierte – Arbeit nicht einmal einen Ansatz dafür gefunden hat, diesen Unterschied zu lokalisieren. Sehen wir es positiv: Stoff für viele Wochen, Monate, Jahre und Jahrzehnte des Gehirns ist gesichert.