Kommt zu uns, wir sind redlich und reinlich!
„Cheap holidays“in „Charming Austria“: Das Haus der Geschichte zeigt, wie der Tourismus hierzulande nach dem Krieg neu durchstartete – und sich über den Kanon der Klischees ein Nationalgefühl herausbildete.
Sei nicht grob, mach kein Gesicht, denn der Gast vergisst das nicht“: So etwas würden heute viele Touristen gern Wiener Kaffeehauskellnern ins Gesicht reimen. Es stammt aber aus einem „Fremdenverkehrsaufklärungsfilm“aus dem Jahr 1951. Die sieben kurzen Folgen mit den Zeichentrickfiguren Tip und Top flimmerten nach der Wochenschau über die heimischen Kinoleinwände und wurden als Lehrhilfe in Schulen eingesetzt. Neben „Sei höflich“waren „Reinlichkeit“und „Redlichkeit“Themen, auch mit drastischen Negativbeispielen. In dem von den Alliierten besetzten Land musste man freundlichen Umgang mit Besuchern aus dem Ausland erst wieder lernen. Von der Wiederbelebung des Tourismus erhoffte man sich eine „wohltuende psychologische Wirkung in der gesamten Bevölkerung“.
So steht es in einem Memorandum von 1949, das die Vorkriegszeit beschwört: „Die österreichische Art bezauberte den Gast“, war ein „unerhörter Werbefaktor“– im Austrofaschismus und nach dem „Anschluss“, als man auf Plakaten zum „deutschen Frühling in die Wachau“lud, mit Hakenkreuzfähnchen vor der Kulisse Dürnsteins …
Fließwasser als Luxus
Auch daran erinnert die Ausstellung „Holidays in Austria“im Haus der Geschichte. In die Tiefe bohrt sie aber für die Jahre 1953 und 1954, als Eric und Joyce auf zwei Sommerreisen zu den Ersten gehörten, die in der Wiederaufbauzeit den Lockrufen von „Charming Austria“erlagen. Die Seiten aus dem Fotoalbum des Londoner Paares sind das Rückgrat der Schau. Sie waren damals frisch verliebt, reisten mit Rucksäcken und stiegen in einfachen Pensionen ab. Dass sie Geld sparen wollten, war ein Grund für die Wahl der Destination – kaum zu glauben, aber Österreich ließ sich damals noch als Billigreiseziel vermarkten. Der sanitäre Standard der Fremdenzimmer bestand aus einem Krug Wasser und einer „Lavoir“genannten Waschschüssel. Nur manche „Ausländerhotels“konnten schon mit einem besonderen Luxus werben: „Fließwasser“oder gar „Warmwasser“.
Aber die Touristen kamen, und sie brachten dringend benötigte Devisen. 1953 war auch das Jahr, in dem die Zonengrenzen wegfielen, die Lebensmittelmarken und Rationierungen für Zigaretten. Die Gästezahlen übertrafen erstmals das Vorkriegsniveau. 110.000 reisten nach Wien (zum Vergleich: 2023 waren es über sieben Millionen). Damals
bildete sich auch der Kanon an Klischees heraus, der seitdem mit Österreich verbunden ist : schöne Landschaft, klassische Musik, barocke Architektur, üppige Kulinarik und pittoreskes Brauchtum. Nur der Appeal von Fronleichnamsprozessionen und sonstiger katholischer Folklore hat deutlich abgenommen. Abgesehen davon wirkt der Kanon bis heute weit über Tourismuswerbung hinaus: Er half den Österreichern, die sich damals fast alle als Deutsche verstanden, ein eigenständiges Nationalgefühl zu entwickeln.
Jede Nation braucht ihre Helden – zu Symbolen des Stolzes wurden Mozart, Beethoven und Schubert erkoren. Aber sie grenzt sich auch ab. 1947 schrieb ein erboster Kritiker nach der Uraufführung von „Dantons Tod“des Komponisten Gottfried von Einem bei den Salzburger Festspielen: „Gott schütze uns, wenn das die Zukunft der Oper wäre!“Denn seine Musik sei „völlig unösterreichisch“.
Eine Pension aus KZ-Steinen
An ferne, glanzvolle Epochen versuchte auch Präsident Renner anzuknüpfen, als er die Hofburg als Amtssitz wählte. Ein SightseeingHighlight war sie damals noch nicht, auch das absurde Theater um Kaiserin Sisi ging erst viel später los (selige Zeiten!). Die Hotspots decken sich nicht immer mit jenen der Instagram-Ära. Statt nach Hallstadt ging es an den Gosausee, wo es heute eher beschaulich zugeht. Leicht verblasst scheint der Glanz der Wachau, die damals durch den Film „Der Hofrat Geiger“(und das Remake „Mariandl“) zum Sehnsuchtsort avancierte.
Eric und Joyce hat es gefallen. Nicht nur ihre eigene Beziehung verfestigte sich, sie fielen auch „in Love with Austria“. So gemütliche und friedliche Leute da, wie versprochen! Von der NS-Zeit wollten auch sie nichts hören, da waren sie sich mit ihren Gastgebern einig. Ein Wirt am Loiblpass baute damals einen Zubau zu seiner Pension mit den Steinen der Baracken des dortigen KZ. Wie geschichtsvergessen wir doch waren! Oder ist auch das ein Klischee? Im Krieg hatte der Wirt als Partisan gekämpft und wurde selbst verfolgt. Hat er sich seine Heimat paradox wieder angeeignet, sich so mir ihr versöhnt? Auch das war Österreich.