Den Jüngsten durch Krisenzeiten helfen
Kindergartenpädagogen sind heute auch damit konfrontiert, mit psychisch erkrankten Eltern und deren Kindern gut und professionell zusammenzuarbeiten. Manche Fortbildungen gehen auf dieses Thema ein.
Wie erklärt man einem Kindergartenkind, was die Psyche ist? Das Bild eines Seelenvogels verwendet die Psychologin Petra Rebhandl-Schartner gern dafür – eines Seelenvogels, der in unserem Inneren sitzt und alles erspüren kann, vorausgesetzt er wird gepflegt und gefüttert. „Auch wenn die Psyche unsichtbar ist, kann man Worte und Ideen dazu finden“, sagt Rebhandl-Schartner. Auf die Frage, was es etwa brauche, um die Futterschüsseln des Seelenvogels zu füllen, könnten schon sehr junge Kinder Antworten finden, zum Beispiel: „Mit der Mama Eis essen gehen, wenn es ihr gut geht.“
Rebhandl-Schartner arbeitet beim Salzburger Verein JoJo, der Familien mit psychischen Belastungen professionell begleitet. Die Psychologin und ausgebildete Kindergartenpädagogin erzählt von ihrer Arbeit auf einer Elementarpädagogik-Tagung an der Pädagogischen Hochschule Salzburg mit dem Titel „Psychische Krisen in Familien sehen und verstehen“.
Dass allein schon das „Sehen“ein Hauptproblem ist, zeigt eine Studie des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP) aus dem Jahr 2020. Nur jede fünfte von einer psychischen Erkrankung betroffene Person hätte damals gewagt, dies auch im beruflichen Umfeld zu thematisieren. Lediglich knapp zwei Drittel gaben an, Familie und Freunden davon zu erzählen.
Kinder als „unsichtbare Dritte“
Das Stigma, das psychischen Krankheiten anhaftet, zeigt sich auch daran, dass es Kindern nicht selten verboten ist, über die Situation
ihrer Eltern zu sprechen, wie Vortragende auf der Salzburger Tagung berichten. Viele Kinder bemühten sich angesichts ihrer psychisch belasteten Eltern oder auch bei psychisch auffälligen Geschwistern, selbst möglichst „keine Probleme zu machen“. Sie durchlebten die familiäre Krise als „unsichtbare Dritte“, nicht wenige wohl schon im Kindergartenalter. Denn insgesamt dürften in Österreich rund 275.000 Kinder und Jugendliche einen psychisch erkrankten Elternteil haben, dies laut einer Hochrechnung (auf Basis internationaler Studiendaten) des vom Sozialministerium ins Leben gerufenen Projekts „Visible“.
Ängste, Depressionen, Bipolare Erkrankungen, Alkohol- oder Tablettensucht machen Eltern oft unberechenbar und isoliert. Und die Kinder? Rebhandl-Schartner, die mit dieser Frage ihren Vortrag übertitelt hat, möchte den Eltern trotz allem Wertschätzung vermitteln. „Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind, und ich habe bisher in allen psychisch belasteten Familien auch vieles entdeckt, das gut läuft.“
Resilienz fördern
Auch wenn Kinder ohne ihre Eltern oder außerhalb ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, könne dieser Umstand kompensiert werden, sagt die Entwicklungspsychologin Silvia Exenberger, die an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Innsbruck sowie am Landeskrankenhaus Hall tätig ist. Ein solcher „Ausfall“sei zwar nicht einfach, könnte aber durchaus aufgefangen werden – durch andere Personen aus der Verwandtschaft oder dem Freundeskreis der Eltern, durch Netzwerke, Vereine, die Schule oder eben auch den Kindergarten. Exenbergers Schwerpunkt liegt auf der Förderung von Resilienz, deren Hauptquelle laut der Forscherin gute Bindungen sind. Resilienz ermögliche Kindern, Entwicklungsaufgaben wie Lesen- oder Schreibenlernen auch dann zu bewältigen, wenn sie gerade eine Krise durchlebten.
Exenberger leitet neben ihrer klinischen Tätigkeit gemeinsam mit der Psychologin Verena Wolf das Institut für Positive Psychologie und Resilienzforschung in Innsbruck. Die Fortbildungen, die dort angeboten werden, richten sich an alle Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Zwei Programme sind der Förderung von Resilienz im Kindergarten gewidmet: die dreiteilige Fortbildung „Der resiliente Kindergarten“für Leitungspersonen in elementarpädagogischen Einrichtungen und das Programm „Resiliente Kinder“, das Pädagogen in Kindergärten und Volksschulen etwa in einer resilienzfördernden Kommunikation mit Kindern schult.
Erziehungspartnerschaft
In Krisen geraten manchmal aber auch Elementarpädagogen, wenn sie mit psychisch erkrankten Eltern konfrontiert sind. In dieser Situation
dem Konzept einer Erziehungspartnerschaft – also der gemeinsamen Verantwortung von pädagogischen Fachkräften und Eltern – gerecht werden zu können, erfordert Feingefühl, Fachwissen, Kommunikationskompetenz und Reife. Für Marlies Böck, Leiterin der Fort- und Weiterbildung Elementarpädagogik an der PH Salzburg, ist es wichtig, ihre Studierenden generell für herausfordernde Lebenssituationen zu sensibilisieren, auch durch die Beschäftigung mit der eigenen Biografie.
„Das kommt in der Ausbildung an den Bafeps (Bildungsanstalten für Elementarpädagogik, Anm.) noch zu wenig vor“, bemängelt Böck. Fehle das Verständnis für andere Lebensrealitäten, könne es aufgrund von Nichtverstehenkönnen oder Nichteinfühlenkönnen schlimmstenfalls zu Beziehungsabbrüchen oder zumindest -einbußen in der elementaren Bildungseinrichtung kommen.
Die ausgebildete Elementarpädagogin, Erziehungswissenschafterin und Soziologin, die die Tagung mitorganisierte, leitet an der PH Salzburg unter anderem einen viersemestrigen Lehrgang für Inklusive Elementarpädagogik (IEP). Er soll das Rüstzeug vermitteln, um einerseits Kinder in den Gruppen begleiten zu können, die in irgendeiner Weise „aus dem Rahmen fallen“, und um andererseits Kollegen in herausfordernden Situationen zu unterstützen.
Auch die Elternberatung stellt einen wesentlichen Punkt dar, hält Böck fest. „Kommunikationstraining im Rahmen der persönlichen Weiterentwicklung ist sowohl im Bachelorstudium Elementarpädagogik als auch in unseren Hochschullehrgängen eine ganz wichtige Thematik. Es geht darum, eigene Kommunikationsstile zu reflektieren, blinde Flecken zu erkennen und zu lernen, welche Techniken man authentisch üben kann, um sie in sensiblen Elterngesprächen einzusetzen.“