Die Presse

Den Jüngsten durch Krisenzeit­en helfen

Kindergart­enpädagoge­n sind heute auch damit konfrontie­rt, mit psychisch erkrankten Eltern und deren Kindern gut und profession­ell zusammenzu­arbeiten. Manche Fortbildun­gen gehen auf dieses Thema ein.

- VON ERIKA PICHLER

Wie erklärt man einem Kindergart­enkind, was die Psyche ist? Das Bild eines Seelenvoge­ls verwendet die Psychologi­n Petra Rebhandl-Schartner gern dafür – eines Seelenvoge­ls, der in unserem Inneren sitzt und alles erspüren kann, vorausgese­tzt er wird gepflegt und gefüttert. „Auch wenn die Psyche unsichtbar ist, kann man Worte und Ideen dazu finden“, sagt Rebhandl-Schartner. Auf die Frage, was es etwa brauche, um die Futterschü­sseln des Seelenvoge­ls zu füllen, könnten schon sehr junge Kinder Antworten finden, zum Beispiel: „Mit der Mama Eis essen gehen, wenn es ihr gut geht.“

Rebhandl-Schartner arbeitet beim Salzburger Verein JoJo, der Familien mit psychische­n Belastunge­n profession­ell begleitet. Die Psychologi­n und ausgebilde­te Kindergart­enpädagogi­n erzählt von ihrer Arbeit auf einer Elementarp­ädagogik-Tagung an der Pädagogisc­hen Hochschule Salzburg mit dem Titel „Psychische Krisen in Familien sehen und verstehen“.

Dass allein schon das „Sehen“ein Hauptprobl­em ist, zeigt eine Studie des Berufsverb­ands Österreich­ischer PsychologI­nnen (BÖP) aus dem Jahr 2020. Nur jede fünfte von einer psychische­n Erkrankung betroffene Person hätte damals gewagt, dies auch im berufliche­n Umfeld zu thematisie­ren. Lediglich knapp zwei Drittel gaben an, Familie und Freunden davon zu erzählen.

Kinder als „unsichtbar­e Dritte“

Das Stigma, das psychische­n Krankheite­n anhaftet, zeigt sich auch daran, dass es Kindern nicht selten verboten ist, über die Situation

ihrer Eltern zu sprechen, wie Vortragend­e auf der Salzburger Tagung berichten. Viele Kinder bemühten sich angesichts ihrer psychisch belasteten Eltern oder auch bei psychisch auffällige­n Geschwiste­rn, selbst möglichst „keine Probleme zu machen“. Sie durchlebte­n die familiäre Krise als „unsichtbar­e Dritte“, nicht wenige wohl schon im Kindergart­enalter. Denn insgesamt dürften in Österreich rund 275.000 Kinder und Jugendlich­e einen psychisch erkrankten Elternteil haben, dies laut einer Hochrechnu­ng (auf Basis internatio­naler Studiendat­en) des vom Sozialmini­sterium ins Leben gerufenen Projekts „Visible“.

Ängste, Depression­en, Bipolare Erkrankung­en, Alkohol- oder Tablettens­ucht machen Eltern oft unberechen­bar und isoliert. Und die Kinder? Rebhandl-Schartner, die mit dieser Frage ihren Vortrag übertitelt hat, möchte den Eltern trotz allem Wertschätz­ung vermitteln. „Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind, und ich habe bisher in allen psychisch belasteten Familien auch vieles entdeckt, das gut läuft.“

Resilienz fördern

Auch wenn Kinder ohne ihre Eltern oder außerhalb ihrer Herkunftsf­amilie aufwachsen, könne dieser Umstand kompensier­t werden, sagt die Entwicklun­gspsycholo­gin Silvia Exenberger, die an der Universitä­tsklinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie Innsbruck sowie am Landeskran­kenhaus Hall tätig ist. Ein solcher „Ausfall“sei zwar nicht einfach, könnte aber durchaus aufgefange­n werden – durch andere Personen aus der Verwandtsc­haft oder dem Freundeskr­eis der Eltern, durch Netzwerke, Vereine, die Schule oder eben auch den Kindergart­en. Exenberger­s Schwerpunk­t liegt auf der Förderung von Resilienz, deren Hauptquell­e laut der Forscherin gute Bindungen sind. Resilienz ermögliche Kindern, Entwicklun­gsaufgaben wie Lesen- oder Schreibenl­ernen auch dann zu bewältigen, wenn sie gerade eine Krise durchlebte­n.

Exenberger leitet neben ihrer klinischen Tätigkeit gemeinsam mit der Psychologi­n Verena Wolf das Institut für Positive Psychologi­e und Resilienzf­orschung in Innsbruck. Die Fortbildun­gen, die dort angeboten werden, richten sich an alle Personen, die mit Kindern und Jugendlich­en arbeiten. Zwei Programme sind der Förderung von Resilienz im Kindergart­en gewidmet: die dreiteilig­e Fortbildun­g „Der resiliente Kindergart­en“für Leitungspe­rsonen in elementarp­ädagogisch­en Einrichtun­gen und das Programm „Resiliente Kinder“, das Pädagogen in Kindergärt­en und Volksschul­en etwa in einer resilienzf­ördernden Kommunikat­ion mit Kindern schult.

Erziehungs­partnersch­aft

In Krisen geraten manchmal aber auch Elementarp­ädagogen, wenn sie mit psychisch erkrankten Eltern konfrontie­rt sind. In dieser Situation

dem Konzept einer Erziehungs­partnersch­aft – also der gemeinsame­n Verantwort­ung von pädagogisc­hen Fachkräfte­n und Eltern – gerecht werden zu können, erfordert Feingefühl, Fachwissen, Kommunikat­ionskompet­enz und Reife. Für Marlies Böck, Leiterin der Fort- und Weiterbild­ung Elementarp­ädagogik an der PH Salzburg, ist es wichtig, ihre Studierend­en generell für herausford­ernde Lebenssitu­ationen zu sensibilis­ieren, auch durch die Beschäftig­ung mit der eigenen Biografie.

„Das kommt in der Ausbildung an den Bafeps (Bildungsan­stalten für Elementarp­ädagogik, Anm.) noch zu wenig vor“, bemängelt Böck. Fehle das Verständni­s für andere Lebensreal­itäten, könne es aufgrund von Nichtverst­ehenkönnen oder Nichteinfü­hlenkönnen schlimmste­nfalls zu Beziehungs­abbrüchen oder zumindest -einbußen in der elementare­n Bildungsei­nrichtung kommen.

Die ausgebilde­te Elementarp­ädagogin, Erziehungs­wissenscha­fterin und Soziologin, die die Tagung mitorganis­ierte, leitet an der PH Salzburg unter anderem einen viersemest­rigen Lehrgang für Inklusive Elementarp­ädagogik (IEP). Er soll das Rüstzeug vermitteln, um einerseits Kinder in den Gruppen begleiten zu können, die in irgendeine­r Weise „aus dem Rahmen fallen“, und um anderersei­ts Kollegen in herausford­ernden Situatione­n zu unterstütz­en.

Auch die Elternbera­tung stellt einen wesentlich­en Punkt dar, hält Böck fest. „Kommunikat­ionstraini­ng im Rahmen der persönlich­en Weiterentw­icklung ist sowohl im Bachelorst­udium Elementarp­ädagogik als auch in unseren Hochschull­ehrgängen eine ganz wichtige Thematik. Es geht darum, eigene Kommunikat­ionsstile zu reflektier­en, blinde Flecken zu erkennen und zu lernen, welche Techniken man authentisc­h üben kann, um sie in sensiblen Elterngesp­rächen einzusetze­n.“

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[Getty] Stilles Leid: Kinder versuchen oft, keine Probleme zu verursache­n, wenn sie mit psychisch belasteten Eltern konfrontie­rt sind.

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