Und die Kleinen trifft es doch
Lieferkettengesetz. Kleinere Firmen sind formal von der am Freitag beschlossenen EU-Richtlinie ausgenommen. In der Praxis sind sie trotzdem umfasst.
Wien. Gegen den Widerstand mehrerer Länder, darunter Deutschland und Österreich, haben sich die EU-Staaten am Freitag auf ein Lieferkettengesetz verständigt. Demnach sollen Unternehmen in der EU künftig kontrollieren, ob ihre Geschäftspartner in Drittstaaten menschenrechtliche Standards einhalten – oder ob sie zum Beispiel Kinder oder Zwangsarbeiter beschäftigen.
Die Richtlinie muss nun noch das EU-Parlament passieren und dann von den einzelnen Staaten in nationales Recht umgesetzt werden. Je nach Unternehmensgröße soll es drei- bis fünfjährige Übergangsfristen geben, die mit der Veröffentlichung der Richtlinie im Amtsblatt beginnen.
Bis zuletzt war über die Schwellenwerte verhandelt worden. Nun sollen Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern (davor: 500) und mehr als 450 Mio. Euro Jahresumsatz (davor: 150 Mio. Euro) direkt von der Richtlinie betroffen sein. Die Idee dahinter war, dass kleinere Firmen ausgenommen werden, um sie nicht zu überlasten.
Doch diese Hoffnung wird sich eher nicht erfüllen. Die höheren Schwellenwerte im Kompromissvorschlag würden „relativ wenig“ändern, sagt der Komplexitätsforscher Peter Klimek zur „Presse“. Er leitet das Lieferkettenforschungsinstitut ASCII in Wien, das 2022 gegründet wurde. „Wenn ein Unternehmen unter die Sorgfaltspflicht fällt, ist es ziemlich egal, wo man den Grenzwert ansetzt, kleine Unternehmen werden immer darunter fallen“, sagt Klimek. Denn die Sorgfaltspflichten werden von den größeren an die kleineren Firmen weitergegeben.
Viel Aufwand, keine Lösung
Die Verpflichtungen aus der Richtlinie „werden in die gesamte Lieferkette hineingetragen“, sagt auch Rechtsanwältin Eva-Maria SégurCabanac, Partnerin bei Baker McKenzie, zur „Presse“. Zum Teil seien Unternehmen auch derzeit bereits mit solchen Anforderungen ihrer Kunden konfrontiert, unabhängig vom Inkrafttreten der Richtlinie. „Bei etlichen häufen sich jetzt schon die Fragebögen.“
Das Problem sei, dass es so etwas wie „die eine Lieferkette“eines Unternehmens nicht gebe, sagt Klimek. „Gerade in komplexen Industrien haben die größeren Unternehmen mehrere Tausend Zulieferer.“Da sei schnell ein Großteil der globalen Wirtschaft umfasst. „Die Frage ist also nicht, ob man Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette hat, sondern nur, wie viel Arbeit man investieren muss, um sie zu finden.“
Die Sorge, dass viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von den zusätzlichen Prüfpflichten belastet werden, war einer der Gründe, warum Österreich sich bei der Abstimmung am Freitag enthalten hatte. 99,6 Prozent der Firmen in Österreich sind KMU. Nun gehe es darum, die Richtlinie auf nationaler Ebene umsichtig umzusetzen, „um eine Überforderung heimischer Betriebe aufgrund überbordender bürokratischer Auflagen zu vermeiden“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.
Klimek sieht nun das Risiko, „dass wir eine Regulierung haben, die sehr viel Mehraufwand bringt, aber das eigentliche Problem nicht löst.“Er hatte ursprünglich vorgeschlagen, nicht die Lieferbeziehungen zu überwachen, sondern Listen mit „guten“und „schlechten“Zulieferern zu erstellen, an denen sich die Unternehmen in der EU orientieren können. Firmen in der EU hätten 900 Millionen Lieferbeziehungen, „im Extremfall gibt es 900 Millionen Überprüfungen“, sagt Klimek. Wir wissen aber, dass sich das Risiko von Menschenrechtsverletzungen auf einen sehr kleinen Anteil von Unternehmen reduziert“, sagt Klimek.
Die Großen trifft es härter
Laut Wirtschaftskammer sind in Österreich zumindest 100 Unternehmen direkt vom Lieferkettengesetz betroffen, indirekt aber viel mehr: So werde beispielsweise ein österreichisches Metallverarbeitungs-KMU, das einem internationalen Stahlkonzern direkt zuliefert, durch eigene Risikoanalysen sicherstellen müssen, dass auch seine indirekten Sublieferanten aus Südafrika internationale Standards in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Menschenrechte und Umwelt einhalten. Treten bei einem indirekten Sublieferanten im Rohstoffabbau schwerwiegende Verstöße auf, sei das österreichische KMU mitunter gar verpflichtet, die Geschäftsbeziehung zu kündigen und sich einen neuen Lieferanten zu suchen.
Einen wesentlichen Unterschied zwischen nur indirekt betroffenen Unternehmen und den großen, direkt betroffenen gebe es aber doch, sagt Ségur-Cabanac: Kleinere Zulieferer müssen bei Verstößen zwar mit vertraglichen Konsequenzen rechnen. Unmittelbar unter behördlicher Aufsicht – samt empfindlichen Strafdrohungen – stehen jedoch nur die großen. Nur sie werden sich vor der Behörde auch dafür rechtfertigen müssen, wie sie die nötigen Prozesse aufgesetzt haben. „Das ist schon noch ein anderes Paar Schuhe“, sagt die Anwältin.